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Die Kanadierin Margaret Atwood zählt heute zu den erfolgreichsten Schriftstellerinnen der Welt.

Foto: AP / Alastair Grant

Sechzehn war ich im Jahr 1955, und ich lebte in Kanada. Es war die Zeit von Elvis Presley, von Rock ’n’ Roll, von Tellerröcken und Penny Loafers und förmlichen Schulbällen mit schulterfreien Kleidern – obwohl ich nie so weit gegangen bin.

Es mag Sie überraschen, aber in der zwölften Klasse ging ich zusammen mit meiner Kameradin Sally für unsere Schule beim Wettbewerb "Consumers Gas Miss Homemakers" ins Rennen. Wir mussten in einem Gasofen gebackene Kartoffeln zubereiten und ein Hemd mit einem Gasbügeleisen bügeln. Wir belegten zwar nicht den ersten Platz, aber wir bekamen äußerst hübsche Bettelarmbänder geschenkt.

Eines würde ich meinem jüngeren Ich auf jeden Fall raten, nämlich einen Kurs in Sekretariatswesen zu belegen, um das Schreiben nach dem Zehnfingersystem zu lernen. Mit der Maschine schreiben kann ich bis heute nicht. Bei der Berufsberatung gab es eine kurze Liste mit Berufsmöglichkeiten für Mädchen – Grundschullehrerin, Krankenschwester, Flugbegleiterin und Hauswirtschafterin, was in Richtung Ernährungsberaterin oder Schneiderin ging.

Nichts davon interessierte mich, doch da ich ein geldhungriges Kind war, schaute ich mir die Löhne an und sah, dass die Hauswirtschafterinnen am meisten verdienten. Ich belegte also diese Kurse und lernte, einen Reißverschluss anzunähen – aber nicht das Schreibmaschinenschreiben.

"Vergiss es einfach"

Ich würde der sechzehnjährigen Margaret sagen, sie solle aufhören, sich um ihr Haar zu sorgen: "Es ist, was es ist, und du kannst nichts dagegen tun, also vergiss es einfach." Im echten Leben bin ich zu dieser Akzeptanz erst mit ungefähr dreißig gelangt, nach einigen unglücklichen Experimenten.

Als Jugendliche habe ich sehr viel gelesen, hatte aber auch diverse andere Beschäftigungen. Ich habe mir Kleider genäht und in der Schule ein Puppentheater veranstaltet. Wir bauten die Puppen und die Bühne selbst und sprachen sämtliche Stimmen. Da ich über einen großen Unternehmergeist verfüge, habe ich damit auch Geld verdient.

Am Ende nahmen wir uns einen Agenten und traten auf Weihnachtsfeiern für Kinder auf. Außerdem wirkte ich als Autorin und Sängerin in einer Oper der Hauswirtschaftsfakultät mit und war in der Basketballmannschaft – damals musste man dafür noch nicht so groß sein. Ich machte gerne überall mit.

Abends dann Meisterwerke

Als die wichtigen Prüfungen nahten, wurde aus mir ein ängstlicher Teenager, aber es nahm zum Glück nicht überhand. Wegen der Jungs hingegen war ich kaum besorgt – sie schienen im Überfluss vorhanden zu sein. In diesem Lebensabschnitt praktizierten wir die serielle Monogamie und gingen fest miteinander, und die Pille kannten wir noch nicht. Um Sex mussten wir uns also keine Gedanken machen, weil wir sowieso keinen haben würden – so viel stand fest.

Sechzehn war das Alter, in dem ich zu schreiben begann. Meine Freundin kann sich noch erinnern, wie ich das in der Schulkantine verkündete. Sie meinte später zu mir: "Es war so mutig von dir, allen ganz geradeheraus zu sagen, dass du Schriftstellerin werden willst!" Dabei war mir schlicht nicht klar gewesen, dass sich diese Aussage nicht gehört. Ich weiß nicht, woher diese Eingebung kam.

Es gab keinerlei Vorbilder, und ich wusste rein gar nichts über diesen Beruf, doch ich las Hemingway und Orwell sowie eine Menge Science-Fiction und in der Schule die Klassiker des neunzehnten Jahrhunderts.

Ich legte mir ein Buch namens Writer’s Market zu, in dem Verkaufsmöglichkeiten für die eigenen Texte aufgeführt waren. Darin stand, dass sich mit Liebesabenteuern das meiste Geld verdienen lasse, also war der Plan, mich damit zu finanzieren und abends dann die wahren Meisterwerke zu verfassen. Anfangs taugten meine Texte nichts, aber ich war von ihnen überzeugt, und so machte ich weiter.

Eigenständiges Denken

Wenn ich die sechzehnjährige Margaret heute träfe, würde ich mich fragen, von welchem fremden Planeten sie wohl kommt. Ich war anders als meine Gefolgschaft, denn ich bin in den Wäldern groß geworden und scherte mich nicht so sehr um die Meinung der anderen.

Ich war ziemlich sarkastisch und spöttisch, redete klug daher und machte mich über alles lustig. Heute würde man meine Freunde und mich wohl als recht barsch einstufen, aber wir hatten diese Attitüde in Kinofilmen aufgeschnappt.

Mein eigenständiges Denken geht teilweise auf meine Eltern zurück. Meine Mutter hat sich ebenso wenig an weibliche Musterrollen gehalten und mir nie weisgemacht, ich dürfe aufgrund meines Geschlechts irgendetwas nicht tun. Mit der Schriftstellerin-Idee war sie allerdings nicht sonderlich glücklich, denn wie wollte ich damit Geld verdienen?

Dann zog ich in Betracht, Journalistin zu werden, bis meine Eltern einen befreundeten Journalisten mit nach Hause brachten, der mir erzählte, ich würde im Endeffekt bloß für die Frauenseiten und die Todesanzeigen zuständig sein. Von diesem Kurs haben sie mich also erfolgreich abgebracht. Hin zur Wissenschaft konnten sie mich jedoch auch nicht steuern, wo sie mich am liebsten gesehen hätten.

Sei nicht so melodramatisch!

Wenn ich der jüngeren Margaret einen Rat geben dürfte, würde ich sie ermahnen, ihren Terminkalender nicht zu überladen. Doch das sage ich schon seit fünfzig Jahren. Außerdem würde ich ihr ins Gewissen reden, etwas gegen ihr Helfersyndrom zu unternehmen – irgend-wie muss ich dagegen angehen, es nimmt einfach zu viel Zeit in Anspruch, und allen auf der Welt kann ich sowieso nicht helfen.

Da sich die jüngere Margaret nicht so schnell beeindrucken ließ, könnte ich mit meiner späteren Karriere kaum Eindruck bei ihr schinden. Konfrontiert mit meinem Erfolg, würde sie sagen: "Ja, und wenn schon." Report der Magd (Handmaid’s Tale) würde ihr von meinen Romanen wahrscheinlich am besten gefallen. Sie las gerne düstere Science-Fiction wie Fahrenheit 451 und 1984.

Meinem jüngeren Ich würde ich noch sagen: "Sei nicht so melodramatisch – alles wird gut. Ab dreißig wird es besser laufen, und ab vierzig sogar noch viel besser." Mit zwanzig kannte ich den Handlungsablauf meines Lebens noch nicht und wurde von Ängsten geplagt – werde ich Mr. Right kennenlernen, wird es mit dem Beruf klappen, werde ich glücklich sein?

Vorfreude

Mit vierzig kannte ich wenigstens schon den halben Handlungsablauf meines Lebens. Und einer vierzigjährigen Frau, die schon etwas erreicht hat, schenkt man eher Gehör als einer Zwanzigjährigen. Wenn man das Alter von über siebzig erreicht hat, sind eine Menge Menschen verstorben, denen man nicht alles gesagt hat, was man ihnen hätte sagen wollen.

Gegen Ende ihres Lebens waren meine Eltern nicht mehr zu solchen Gesprächen in der Lage, aber ich hatte sie zum Glück schon weit vorher angeregt. Man kann einfach nie wissen.

Wenn ich zurück in die Zeit reisen könnte, würde ich mich vielleicht noch einmal auf eine unserer Touren in die Arktis begeben – dort ist es erstaunlich schön. 1991 haben wir außerdem eine Zeitlang in Frankreich gewohnt; gerne würde ich einen der herrlichen Herbsttage dort wiedererleben. Oder einen Sommer in Nordkanada – sie sind traumhaft schön.

Was mich morgens aber wirklich aus den Federn treibt, ist die Vorfreude auf das, was als Nächstes kommt. Verbringst du zu viel Zeit in der Vergangenheit, landest du schneller im Schaukelstuhl, als dir lieb ist. (Margaret Atwood, Vorabdruck, ALBUM, 2.10.2021)