Impfaktion im Modul: Die Impfbereitschaft ist hoch, die wirklich Unwilligen erreicht man so aber nicht.

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Dem Paprikahendl kommt der Koch abhanden. In weißer Kochjacke, mit Haarnetz auf dem Kopf und geknotetem Tuch um den Hals verlässt Maximilian die Küche und marschiert in langsamen Schritten in das Servierzimmer der Tourismusschule Modul.

Der holzvertäfelte Raum im Erdgeschoß wurde an diesem frühen Morgen zur Impfstation umgemodelt, zwei Mitarbeiter und eine Mitarbeiterin der Hilfsorganisation Johanniter bauen ihre Stationen auf: Sie stapeln gelbe Impfpässe, fahren einen Laptop für die digitale Datenerfassung hoch, legen Stempel und Heftgerät für die analogen Eintragungen bereit, sortieren Kanülen, öffnen die Box mit dem zwischen Coolbags gekühlten Impfstoff von Biontech/Pfizer, entnehmen ein Fläschen und ziehen die ersten Spritzen auf. Es ist kurz nach neun Uhr früh, hinter einer weißen Tafel injiziert die mitgereiste Ärztin gerade der zweiten Schülerin die Flüssigkeit in den Arm.

Als Maximilian dazustößt, hat er Skepsis in den Augen und Sabine Hofbauer an seiner Seite, eine der drei Sekretärinnen der Wiener Schule, die sie hier die "gute Seele des Hauses" nennen. Sie legt die Hand auf Maximilians Schulter. Druck, sich impfen zu lassen, sagt er, "habe ich keinen verspürt". Er ist 19 Jahre alt. Wer über 14 ist, darf diese Entscheidung in Österreich selbst treffen.

"Ich habe den Impfstoff hinterfragt, wegen möglicher Langzeitnebenwirkungen. Eigentlich hinterfrage ich ihn immer noch." Seine Eltern seien aus dem Grund ebenfalls nicht geimpft. Seine Angst vor den in Rekordtempo entwickelten Vakzinen sei eigentlich größer als jene vor Corona: Freunde seien an Covid-19 erkrankt, Bekannte sogar daran gestorben.

Aufklärungsgespräch

Letztlich habe er aber "aus Selbstschutz" beschlossen, sich anzumelden. Und so drückt Maximilian nun einem Johanniter-Mitarbeiter den ausgefüllten Impfbogen und seine E-Card in die Hand. "Noch Bedenken?", fragt die Ärztin Ruth Konetzky, während Maximilian seine Jacke aufknöpft: "Na ja."

Konetzky spult routiniert das Aufklärungsgespräch ab: Er bekomme keinen klassischen, sondern einen neuartigen Totimpfstoff ("Ach so!), möglicherweise spüre er für ein paar Tage ein Gefühl von Abgeschlagenheit oder Schmerzen an der Einstichstelle (er nickt), für einige Zeit sei auf Sport zu verzichten ("Nach Hause radeln darf ich aber schon, oder?"). 15 Minuten bleibt Maximilian zur Beobachtung noch sitzen, dann kehrt er zurück zu seinem Paprikahendl.

Umkämpftes Gebiet Schule

In ganz Österreich ist das Impftempo ins Stocken geraten. Um es wieder in Schwung zu bekommen, wartet die Bundeshauptstadt mit einer Reihe von Angeboten auf. Die Gruppe der Kinder und Jugendlichen wird dieser Tage besonders umgarnt. Vakzine gibt es für sie nicht nur in den großen Impfzentren zu holen, sondern unter anderem auch in Jugendzentren, bei Konzerten, im Schwimmbad, an Universitäten und eben auch in Schulen wie dem Modul.

Von Mitte bis Ende September wurden die 50 größten Bildungseinrichtungen plus einige zusätzliche, die sich eigenständig darum bemüht haben, von mobilen Impfteams angefahren. 2000 Schülerinnen und Schüler hat die Stadt so erreicht. Seit Schulbeginn stieg die Impfquote bei den 16- bis 19- Jährigen um 7,5 Prozent, bei den Zwölf- bis 15-Jährigen sind es sogar 15,6 Prozent.

Als Nächstes will Wien auf bekannte Gesichter setzen, die in sozialen Netzwerken wie Tiktok und Instagram für die Impfung unter Kindern und Jugendlichen werben sollen. Noch im Oktober könnte die Gruppe der impfbaren Bevölkerung weiter anwachsen: Die Zulassung des Biontech/Pfizer-Impfstoffes für die Alterskohorte der Fünf- bis Zwölfjährigen wird in den kommenden Wochen erwartet.

Werner Schnabl, Direktor des Moduls, vor seiner Schule: "Jeder Stich zählt."
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Heikles Terrain

Das Thema Impfen polarisiert, und Schulen sind ein besonders heikles Terrain. Vermehrt haben es auch Impfgegnerinnen und -gegner für sich entdeckt. Sie machen an mehreren Schulstandorten Propaganda und versuchen, mit auf Flyern abgedruckten Falschinformationen Kinder und Jugendliche von der Impfung abzubringen. Das Bundesland Kärnten hat zuletzt angekündigt, die für Herbst angedachte Impfaktionen an den Schulen wieder abzublasen, um, so argumentiert die dortige Bildungsdirektion, "keine Konflikte in die Schule zu tragen".

Ein, zwei ablehnende E-Mails von Eltern habe er erhalten, sagt Modul-Direktor Werner Schnabl: "Aber diese Diskussion halten wir aus. Jeder Stich zählt." Die völlig Unwilligen – Eltern wie Kinder – erreiche man ohnehin nicht, sagt Schnabl. Die Ärztin des mobilen Teams, die auch in Impfstraßen aushilft, sekundiert stark nickend: "Unmöglich, da kann man sich den Mund noch so wundreden."

50 Personen standen ursprünglich auf Schnabls Anmeldeliste. An die 30 werden es am Ende sein. Allerdings nicht weil die Bereitschaft gering ist, im Gegenteil: 90 Prozent der älteren und zwei Drittel der jüngeren von insgesamt rund 500 Schülerinnen und Schüler sind laut Schnabl in der Zwischenzeit bereits geimpft worden. Die meisten hätten sich in der Zwischenzeit selbst um ihre Immunisierung gekümmert.

Schrittweise begleitet Sabine Hofbauer, "die gute Seele", all jene hinein, die heute nachziehen. Anna etwa, die "schon längst" impfen gehen wollte, bisher aber nicht wirklich dazugekommen sei, wie die 18-Jährige in Schuluniform (grauer Wollpullover, weißes Hemd, schwarze Stoffhose) meint.

Voraussetzung für das Berufsleben

Oder die 16-jährige Schülerin Dimitra, die in Begleitung einer Freundin kommt, weil sie ein bisschen nervös ist. Sie sei froh, dass sie jetzt dran sei, sie wolle ohnehin schon lange eine Impfung: "Für meine Eltern, die Risikopatienten sind, und generell für die Menschheit." Ähnlich geht es Madeleine (25), Kollegstudentin am Modul: "Es soll endlich alles zur Normalität zurückkehren, vor allem für uns in der Gastronomie und Hotellerie."

Tornike (15) holt sich seine zweite Teilimpfung, "weil sie für das Berufsleben notwendig ist": Bei Bewerbungen werde sie oft als Voraussetzung verlangt. Die 16-jährige Sarah hingegen müsste als Genesene noch nicht geimpft werden, sie will aber: Ihre Familie sei im März erkrankt, der Vater sei beinahe gestorben. "Wenn es etwas gibt, das man gegen die Pandemie tun kann, dann mache ich das."

Das Modul liegt im 19. Bezirk, inmitten des grünen Cottageviertels, das auch den 18. Gemeindebezirk umfasst. Währing und Döbling gehören zu jenen wohlhabenderen Stadtteilen, die aufgrund der unterschiedlichen Arbeits- und Lebensrealitäten bei der Durchimpfungsrate tendenziell vor den weniger reichen Bezirken liegen.

Die Impfbereitschaft sei generell aber eher hoch, berichtet Johanniter-Impfkoordinator Robert Lorenz: "Die Leute freuen sich meistens und sind erleichtert." Dass kaum jemand das Angebot nütze, komme so gut wie nie vor, erzählt Lorenz.

Nun verlagere die Stadt den Schwerpunkt gezielt dortin, "wo die Rate hinterherhinkt". Vergangene Woche impfte ein Team vor der Disco Praterdome, ab Montag steht Lorenz vor dem Billa Plus im Columbus-Einkaufszentrum in Favoriten.

"Indirekt zur Impfung gezwungen"

Der Alltag wird für Ungeimpfte immer unbequemer, zumal in der Hauptstadt mit ihren vergleichsweise strengeren Zutrittsregeln. Wer in Wien Bars und Discos besuchen oder ins Fußballstadion gehen möchte, muss geimpft oder genesen sein. "Wir werden indirekt gezwungen zur Impfung", sagt Ilayda (16). Ihre Klassenkollegin Sophie stimmt ihr ebenso zu wie Sophies Schwester Lisa (17).

Noch ein Grund: Bei einem positiven Fall in der Klasse fällt für Geimpfte die Quarantäne weg. Die beiden mussten die Eltern erst von ihrem Vorhaben überzeugen. Sie gehören nun zu jener Gruppe, die extra aus dem 13. Bezirk angereist ist.

Da im Modul Impfungen übriggeblieben seien, informierte ihr Direktor kurzerhand die Tourismusschule in der Bergheidengasse. Und so trudeln gemeinsam mit ihrem Geografie- und Geschichtslehrer die letzten 15 Impfwilligen ein, stellen sich in Reih und Glied auf und krempeln einer nach dem anderen die Ärmel auf. (Anna Giulia Fink, 2.10.2021)