In den ersten vier Wochen machten die beratenden Vereine interessante Erfahrungen: Ohne Verpflichtung wären diese Männer nie in die Beratung gekommen. Genau darin liegt eine große Chance.

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Seit vier Wochen sitzen Berater und Beraterinnen von Gewaltpräventionszentren und Männerberatungsstellen einer ungewohnten Klientel gegenüber: Menschen, die gesetzlich verpflichtet sind zu reden – über ihr Gewaltproblem, darüber, was geschehen ist.

Bevor die Polizei gegen sie ein Betretungsverbot für die gemeinsame Wohnung und ein Annäherungsverbot zum Schutz einer anderen Person – zumeist einer Frau – ausgesprochen hat, denen sie Gewalt angetan haben. Am 1. September wurde jener Teil der Gewaltschutznovelle umgesetzt, die eine verpflichtende Beratung für Gewalttäter – meist Männer – vorsieht.

Beschlossen wurde dies schon mit dem Gewaltschutzpaket von 2019. Im Vorjahr, 2018, wurden 41 Frauen ermordet, eine enorm hohe Rate. In den Jahren zuvor wurden zwischen 17 und 36 Frauen durch fremde Hand getötet. Der Druck auf die damalige ÖVP-FPÖ-Regierung, etwas zu unternehmen, stieg. Die schließlich vorgelegte Novelle des Gewaltschutzgesetzes kassierte 60 negative Stellungnahmen von Fachleuten und Opposition. Trotzdem brachte die damalige Regierung das Gesetz durch den Nationalrat.

Berechtigte Kritik

Scharf kritisiert wurde etwa die Erhöhung des Strafrahmens. Auch die nun umgesetzten verpflichtenden Beratungen für Gefährder wurde beanstandet: Die festgelegten drei Stunden Beratung seien zu wenig, dass die Gefährder die Beratung selbst bezahlen müssen, sei eine schlechte Idee.

Diese "berechtigte Kritik", so die grüne Frauensprecherin Meri Disoski, wurde gehört. Nun sind es sechs Stunden, die Kosten dafür übernimmt der Staat. Zudem soll nach einem Jahr evaluiert werden, wie es mit der verpflichtenden Beratung läuft.

Die beratenden Vereine, die schon Erfahrung mit Gewaltprävention und Männerarbeit hatten – allerdings auf freiwilliger Basis –, ziehen nach den ersten vier Wochen ein erstes positives Resümee. Wenngleich die Widerstände ihrer neuen Klienten zum Teil groß sind.

Sie hätten doch nichts getan, warum sie da sein müssten, wie sie dazu kämen, schildert Ursula Luschnig einige Reaktionen. Luschnig leitet eine der neuen Beratungsstellen für Gewaltprävention in Klagenfurt, deren Trägerverein die Caritas Kärnten ist. In den meisten Bundesländern übernimmt der Verein Neustart die verpflichtenden Beratungen, in Tirol ist etwa der Psychosoziale Pflegedienst Tirol zuständig, in Vorarlberg das Institut für Sozialdienste.

Beim Widerstand ansetzen

Derzeit tauchen etwa zwanzig Prozent der Gefährder, jeder Fünfte, nicht bei der Beratungsstelle auf. Auch Neustart, der größte Verein, der Beratungen durchführt, hat für Wien eine ähnliche Einschätzung: Von 264 Zuweisungen bis Ende September haben sich 78 Prozent innerhalb der gültigen Frist von fünf Tagen gemeldet. Tun sie das nicht, müssen sie die Beratungsstellen den Behörden melden – und es kann Geldstrafen bis zu mehreren Tausend Euro geben.

Es sei aber auch dieser Widerstand, bei dem in der Täterarbeit angesetzt werden kann, erklärt Jolanda Stricker vom Psychosozialen Pflegedienst Tirol. "Eines der Ziele ist, mit den Gefährdern einen Wechsel zur Perspektive des Opfers auf die Geschehnisse zu vollziehen und Verantwortungsbewusstsein für die Tat zu schaffen", erklärt sie.

Wütende Anrufe, Verharmlosung der Gewalt, das Argument, er sei "provoziert" worden: Trotz dieser schwierigen Ausgangslage ist man in den Beratungsstellen einig, dass hier Zugang zu Menschen besteht, die das freiwillige Angebot in Männerberatungsstellen oder Gewaltschutzzentren ansonsten nie genutzt hätten.

Angesichts der Zahl an Wegweisungen zeigt sich hier ein großes Potenzial: 2020 wurden 11.652 Betretungs- und Annäherungsverbote ausgesprochen. In diesem Jahr waren es bis inklusive August um die 8860. Weg von einer Täter-Opfer-Umkehr, die Gewalt als solche ernst nehmen, Verantwortung für das Geschehene zu übernehmen: Um diese Themen soll es in den Beratungen gehen.

Knackpunkt Datenaustausch

Doch was ist eigentlich genau geschehen? In dieser Frage steckt ein Knackpunkt, den das aktuelle Gesetz hat. Den Beratungsstellen steht zwar die Dokumentation der Polizei zum Tathergang zur Verfügung und die Schilderung des Gefährders, der bei ihnen sitzt: Um aber auch die Seite des Opfers in die Gespräche integrieren zu können, muss die Zustimmung des Täters eingeholt werden – sofern es sich um keinen Hochrisikofall handelt. Bei diesen ist Gefahr im Verzug und deshalb keine Zustimmung nötig. Bei jeder anderen Gewalttat ist der Datenaustausch mit Opferschutzeinrichtungen aber freiwillig.

Dieser Zwischenschritt sollte nicht notwendig sein und "das Gewaltschutzgesetz dahingehend geändert werden", sagt Micheal Rachlinger, Leiter der Beratungsstelle für Gewaltprävention in Salzburg. So wie sie jetzt formuliert ist, entspricht die Maßnahme auch nicht ihrem Titel, der als "Verpflichtung zur opferschutzorientierten Täterarbeit" festgeschrieben ist.

Gewaltspirale durchbrechen

Denn "opferschutzorientierte Täterarbeit" setzt per Definition den Austausch mit Opferschutzeinrichtungen voraus und dass der Schutz des Opfers oberste Priorität hat. "Die Thematik der Datenweitergabe ist uns bekannt und wird von Juristen derzeit geprüft", heißt es auf Nachfrage aus dem Innenministerium, und: Man wolle sich um eine Lösung bemühen.

Die ersten Wochen mit der neuen Täterarbeit zeigten jedenfalls, dass sich das Problem "Verharmlosung von Gewalt" durchzieht, egal, ob es um Schubsen, Stalking oder Faustschläge gehe, sagt Ursula Luschnig.

"Letztlich sind viele aber froh über die Gespräche, obwohl bei den meisten das Gefühl bleibt, ungerecht behandelt zu werden." Deshalb ist das längerfristige Ziel weitere Betreuung oder Psychotherapie – damit die Gewaltspirale endlich unterbrochen werden kann. (Beate Hausbichler, 2.10.2021)