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Nach den Aussagen eines Beschuldigten wollte K.F. zwischenzeitlich sogar zwei bis drei Waffen über ihn kaufen.

Foto: Reuters/LEONHARD FOEGER

Adam M. sitzt auf dem Beifahrersitz eines 7er-BMWs und wühlt in einer Schachtel mit glänzenden Patronen. Gebracht hat sie ihm der 29-jährige Slowene Marsel O., der am Steuer sitzt. Die beiden fahren gemeinsam zu einem Treffpunkt, dort steigt Adam M. aus und übergibt dem Käufer ein Plastiksackerl. Ein illegaler Deal wie viele, die O. und M. mutmaßlich gemeinsam durchgeführt haben. Doch dieses Mal ist etwas anders: Der junge Mann, der die Patronen kauft, ist kein Mitglied einer Bande und auch kein Kleinkrimineller. Es ist der Jihadist K. F., der mit genau diesen Patronen nur wenige Wochen später, am 2. November 2020, in der Wiener Innenstadt wahllos vier Menschen erschießen und zahlreiche weitere verletzen wird.

Wenn sich die Wege von organisierter Kriminalität und radikalem Jihadismus kreuzen, wird es brandgefährlich. Das gilt in der Nachbetrachtung fast aller Terroranschläge, und das gilt auch für das Attentat in Wien. Adam M. befindet sich seit spätestens 2018 "in einem kriminellen Umfeld" und könne "mit dem An- sowie Verkauf von Waffen in Verbindung gebracht werden", stellen Ermittler später fest. Sie werten noch immer sein iPhone aus, auf dem mehr als 200.000 Chatnachrichten sichergestellt werden konnten.

Eiserne Anzüge

Darin geht es immer wieder um Waffendeals: In einem Chat unterhält sich M. beispielsweise mit einem potenziellen Käufer über einen "eisernen Anzug" für 1000 Euro, den dieser auch zurückgeben könne, falls er nur für eine "Hochzeit" gebraucht werde. Die Ermittler gehen davon aus, dass es sich um Codewörter handelt und der Anzug eigentlich eine Faustfeuerwaffe sei.

M. soll vor allem als Vermittler tätig sein, die Waffen kämen zum Beispiel vom Slowenen Marsel O., der nach wie vor alle Vorwürfe bestreitet. Er habe keine Waffe oder Munition verkauft. Adam M. habe er vor etwa sechs Jahren kennengelernt und mit ihm geplant, Geschäfte mit gestohlenen und gefälschten Kreditkarten abzuwickeln, sagte er aus. Dazu sei es am Ende aber nie gekommen. Die Ermittler halten in Berichten fest, dass sie O.s Aussagen für "völlig unglaubwürdig" halten. Außerdem seien dessen Einkommensverhältnisse und Geldflüsse "absolut nicht nachvollziehbar", eine U-Haft verhängten die slowenischen Behörden aber bislang offenbar nicht.

"Inhalt war mir bewusst"

O. wird allein rund um den Terroranschlag von Wien mit zwei Waffendeals in Verbindung gebracht. Nicht nur die Patronen soll er über Adam M. einige Wochen vor dem Anschlag an den Attentäter verkauft haben, auch das Sturmgewehr soll O. besorgt haben – und zwar schon im Juni 2020. M. erzählte in seiner Einvernahme, er habe "die Tasche, welche einem Rucksack ähnelte, zwar nicht geöffnet, aber um was es sich bei dem Inhalt handelt, war mir bewusst". In der Umgebung des Wiener Praters habe die Übergabe stattgefunden. Der Attentäter K. F. habe in einem Kuvert 2500 oder 3000 Euro übergeben – 500 davon als Provision für M.

Es ist jene Waffe, für die sich K. F. später Munition in der Slowakei besorgen wollte, sie aber mangels eines Waffenscheins nicht bekam. Eine Meldung der slowakischen Behörden darüber löste in Wien keinen Alarm aus, das wird dem Verfassungsschutz nun als Behördenversagen ausgelegt.

"Außerdem hat er (...) gesagt, er will einen Anschlag machen am Stephansplatz."
Ein Kindheitsfreund des Attentäters, Ishaq S., über die Pläne, die K. F. in der gemeinsamen Haftzeit äußerte.

Zurück zu Adam M.: Wie fanden der radikale Jihadist und der Händler illegaler Waffen zueinander? Hier zeigt sich ein weiteres riesiges Problem, das sowohl den Sicherheits- als auch den Justizbehörden schon jahrelang Kopfzerbrechen bereitet: die Vernetzung im Gefängnis. Seit Jahren gilt die Deradikalisierungsarbeit als massiv unterdotiert, sowohl in der Haft als auch nach der Entlassung. Acht Millionen Euro mehr sollen hier künftig Löcher stopfen – das kündigte die Regierung nach dem Anschlag an.

Der spätere Wiener Attentäter K. F. ist schon seit Jahren ein IS-Anhänger, als Jugendlicher wollte er sogar nach Syrien reisen. Er wird in der Türkei geschnappt und in Österreich verurteilt, verbringt dann einige Monate in Haft. Dort trifft er auf einen alten Bekannten: Ishaq S., der mit ihm in Wien-Liesing aufgewachsen ist. S. ist selbst mehrfach wegen Terrorpropaganda vorbestraft, meldet sich aber zwei Tage nach dem Anschlag bei den Ermittlern – und erzählt, dass K. F. schon in Haft von einem Anschlag auf dem Stephansplatz fantasiert habe. Die anderen Insassen nahmen das angeblich nicht besonders ernst. Sie hätten darüber gelacht und beim späteren Attentäter eher an einen "Haftschaden" gedacht, sagte Ishaq S. aus.

Als K. F. im Dezember 2019 frühzeitig aus der Haft entlassen wird, meldet sich dieser wieder bei Ishaq S.: Er wolle nun eine Kalaschnikow kaufen, ob S. "jemanden kennen würde". Das tut der junge Österreicher mit ägyptischen Wurzeln: Er ist nun samt illegalem Handy in der Justizanstalt Hirtenberg in Niederösterreich, wo er einen anderen Häftling kennengelernt hat. Der weiß, wie man an Waffen gelangt: über Adam M., den Tschetschenen.

DNA auf der Munition

So kommt die unheilvolle Verbindung schließlich zustande, an deren Ende Tote und Verletzte in der Wiener City stehen. Laut Adam Ms. späteren Einvernahmen wollte der Attentäter sogar zwei bis drei Waffen kaufen; der einzige Grund, warum das nicht zustande gekommen sei, seien Grenzkontrollen wegen der Corona-Pandemie gewesen. Er glaube nicht, dass es unter normalen Umständen für Marsel O. ein Problem gewesen wäre, diese Waffen zu besorgen, sagte M. aus.

Aber Adam M. könnte nicht nur mit dem AK-47-Sturmgewehr und dessen Munition, sondern auch mit der Pistole der Marke Tokarew des Attentäters zu tun haben: Auf deren Patronen wurde M.s DNA gefunden. Diese feuerte der Attentäter laut aktuellem Ermittlungsstand lediglich zweimal ab und lud sie zu keinem Zeitpunkt nach. Aus diesem Grund besteht für die Verfassungsschützer der "dringende Verdacht", dass Adam M. die Pistole "in geladenem Zustand" an K. F. verkauft habe.

Und: Smartphone-Daten zeigen, dass sich Adam M. am Tag vor dem Anschlag für eine halbe Stunde in unmittelbarer Nähe der Wohnung des Attentäters aufgehalten hat. Er begründet das damit, dass er vor einem Hotel mit Freunden im Auto gesessen sei und auf eine Freundin gewartet habe. Auch Ishaq S., der Vermittler des Vermittlers, soll den Attentäter kurz vor dem Anschlag getroffen haben: tags zuvor bei einer Dönerbude. Man habe aber über nichts Außergewöhnliches gesprochen, sagte S. aus.

Ein wichtiges Ergebnis steht noch aus

Adam M. sitzt seit Dezember 2020 in Untersuchungshaft, Ishaq S. seit April dieses Jahres. Anders ist das beim Slowenen O., der heuer im Mai direkt über seine aktuelle Wohnadresse zur Beschuldigtenvernehmung geladen werden konnte. Ob er in Untersuchungshaft ist, blieb unklar. Eine Anfrage dazu beantwortete das slowenische Innenministerium bis Redaktionsschluss nicht.

Auffällig war jedenfalls, dass O. ohne Handy zur Einvernahme kam, auf dem sich aus Sicht der Behörden möglicherweise relevante Beweise befunden hätten. Für den Verfassungsschutz in Wien ist das ein Indiz dafür, dass er sich vorbereitet habe und etwas verdunkeln wollte. Das Handy legte er erst nach einer Vereinbarung mit dem Richter tags darauf vor. Die Daten werden nun forensisch untersucht und ausgewertet.

Im August wurde von Marsel O. jedenfalls ein DNA-Abstrich genommen, weil Ermittler im Zuge der Spurensicherung an Waffen und Munition insgesamt mehr als zehn DNA-Profile verifizierten, "die bis dato keiner Person zugeordnet werden konnten". Die Probe befand sich Anfang September noch im Labor. Ein Ergebnis ist noch nicht veraktet. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Die Anwältin von Adam M., Astrid Wagner, will aus prozesstaktischen Gründen zu den Vorwürfen gegen ihren Mandaten vorläufig keine Stellungnahme abgeben. (Vanessa Gaigg, Jan Michael Marchart, Johannes Pucher, Gabriele Scherndl, Fabian Schmid, 1.10.2021)