Bild nicht mehr verfügbar.

Diesmal alles richtig machen: das grüne Duo Habeck (vorne), Baerbock, FDP-Chef Lindner.

Foto: Reuters / Annegret Hilse

Diesmal gab es kein Selfie oder besser "Ussie". Die Grünen-Chefs Robert Habeck und Annalena Baerbock sowie der FDP-Vorsitzende Christian Lindner ließen sich am Freitag persönlich blicken. Nur FDP-Generalsekretär Volker Wissing, der einige Tage zuvor das bereits legendäre Foto der grün-gelben Sondierer gemacht hatte, war beim Pressestatement nicht dabei.

Begonnen hatte das zweite Treffen mit einer kleinen Finte. Um elf Uhr würden sich die Verhandlerteams von Grünen und FDP in einem Coworking-Space gegenüber dem Berliner Zoo einfinden – hieß es in der Pressemitteilung. Tatsächlich kamen die Verhandler dann aber schon um 8.30 Uhr. Es gibt offenbar ein neues Spiel mit den Medien, man setzt rote Linien, will nur wenig preisgeben und Vertraulichkeit wahren.

Jamaika-Moment

Denn auch wenn sie politisch in unterschiedliche Richtungen gehen – eines eint Grüne und FDP-Vertreter: Sie wollen tunlichst nicht noch einmal einen Jamaika-Moment erleben, wie es ihn am 19. November 2017 gab. Damals nach der vorletzten Bundestagswahl hatten Union, Grüne und FDP schon eine Zeitlang sondiert. Doch es waren ständig Indiskretionen aus den Runden nach draußen gedrungen. Die FDP wurde immer unwilliger, fühlte sich von Union und Grünen übergangen und nicht gut behandelt.

Für Vertreter von Grünen und Union überraschend verließ FDP-Chef Christian Lindner dann am 19. November 2017 am späten Abend die Verhandlungen und ließ sie schließlich mit dem berühmten Satz platzen: "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren."

Gegen den Status quo

Derlei soll nicht noch einmal passieren. Darum haben sich Grüne und FDP am Freitag erneut abgestimmt, bevor nun am Wochenende die Gespräche der beiden "Kleinen" mit Sozialdemokraten und Union beginnen.

"Diese Wahl hat uns allen einen Auftrag gegeben, ein neues Bündnis zu schaffen", sagte Baerbock nach der vertraulichen gelb-grünen Runde. Es gehe darum, "jetzt einen neuen Aufbruch zu schaffen, in einer Dreierkonstellation".

Für Lindner war die Bundestagswahl eine "Zäsur". Die Menschen hätten sich gegen den Status quo entschieden, "es soll etwas Neues entstehen". Jetzt führe man also Gespräche, "wie das gemeinsam Trennende überwunden werden kann, welche Brücken gebaut werden können". Lindner ist überzeugt davon, dass diese ersten Sondierungstreffen von Grünen und Liberalen eine positive Wirkung haben: "Wir spüren, dass allein die Art und Weise, wie wir miteinander sprechen und uns um Lösungen bemühen, für viele Menschen Anlass zur Hoffnung und Motivation ist."

Tempolimit als Thema

Schöne Worte, aber den meisten Journalisten ist das zu wenig. Sie wollen wissen: Worum ging es genau? Wurden schon strittige Themen abgeräumt? Oder eher für den Schluss aufgespart? Wie sieht die Taktik für die kommenden Tage aus, wenn die beiden kleineren Parteien mit Sozialdemokraten und Union zusammenkommen?

Einen ersten Hinweis auf thematische Flexibilität hatte der Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Anton Hofreiter, bereits gegeben. Er erklärte, ein Tempolimit auf der Autobahn sei für die Grünen keine Bedingung für einen Eintritt in die nächste Bundesregierung. Im Wahlprogramm der Ökopartei steht allerdings eine Obergrenze von 130 km/h auf Autobahnen. Dort gilt derzeit in Deutschland grundsätzlich: "Freie Fahrt für freie Bürger". Ein generelles Tempolimit missbilligt vor allem die FDP.

Doch Baerbock, Habeck und Linder sind bei Inhalten weniger auskunftsfreudig, ihre Antworten recht mager. "Wir werden auf alle weiteren Fragen – ob es auf den Brötchen Käse oder Wurst gab oder wie wir strategisch weiter vorgehen – nichts sagen", erklärte Baerbock.

Lob für die gute Stimmung

Auch Habeck will nichts verraten, sondern lieber die gute Stimmung loben: "Es ist enorm, was in den letzten Tagen passiert ist. Das, was nach dem Wahlkampf eben auch drohte – großes Kuddelmuddel, Orientierungslosigkeit –, ist eher einer Neugier gewichen." Habeck begründet auch, warum sich FDP und Grüne so gründlich vorbereiten: "Wenn man die Schraube schräg einsetzt, wird sie nie wieder gerade. Diese Schraube ist jedenfalls in den ersten Tagen sehr gerade eingesetzt worden."

In Vorbereitung sind natürlich auch Sozialdemokraten und Union. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz erläutert im "Spiegel", wie in den Sondierungsgesprächen ein neues Miteinander gelingen soll: "Echte Zuneigung entsteht, wenn man sich ernsthaft aufeinander einlässt." Er ist davon überzeugt, dass am Ende aller Gespräche er mit einer Ampelkoalition aus SPD, Grünen und Liberalen ins Kanzleramt einzieht. Denn: "Die drei Parteien verbindet die Idee des Fortschritts in der Gesellschaft."

Er selbst wolle "die Welt ein Stück besser machen", sagt Scholz und verrät auch, wo er Gemeinsamkeiten mit der scheidenden Kanzlerin Angela Merkel hat: "Frau Merkel und ich wissen beide, dass man in der Politik einen langen Atem braucht. Dass man Dinge, die einem wichtig sind, lange verfolgen muss."

"Denkfaule Union"

Weniger schöne Worte sind in der Union zu hören. Der frühere Fraktionschef Friedrich Merz, der den Wiedereinzug in den Bundestag geschafft hat, wirft seiner Partei nun vor, "denkfaul" zu sein. Und Carsten Linnemann, Vorsitzender der Mittelstandsunion, glaubt nicht, dass Armin Laschet noch Kanzler in einem Jamaika-Bündnis wird, und sagt: "Die Wahrscheinlichkeit, dass es eine Ampel geben wird, ist nicht nur offenkundig, sondern sehr groß."

Einen Kanzler Scholz wünschen sich auch die meisten Deutschen: laut einer ZDF-Umfrage 76 Prozent. Nur 13 sind für Laschet als Kanzler. (Birgit Baumann, 1.10.2021)