Keine Kurtisane: Die Finger und die halbnackte Brust der Flora suggerieren ein Brautbild.
Foto: Gallerie degli Uffizi, Florenz

Wieder steht ein alter Meister im Fokus. Wieder ist es das Werk eines Mannes, der auf Frauen blickt. Mit einem Jahr Verzögerung eröffnet das Kunsthistorische Museum (KHM) am Dienstag seine große Herbstausstellung Tizians Frauenbild. Viele der rund 60 Gemälde des bedeutenden venezianischen Malers und seiner Zeitgenossen wie Jacopo Tintoretto oder Paolo Veronese sind dafür aus internationalen Sammlungen nach Wien gereist. Anschließend zieht die Schau weiter nach Mailand.

Eine Blockbuster-Ausstellung, auf die man lange gewartet hat, wenngleich sie Ende 2019 bei ihrer Ankündigung bereits zu Diskussionen führte. Etwas veraltet und stereotyp hatte der Text dazu geklungen. Der damalige Untertitel Tizian Color Femmina wurde in Schönheit – Liebe – Poesie geändert, und kitschige Formulierungen wie die der "geliebten und begehrten Frau" wurden gestrichen. Aber auch generellere Kritik ließ sich vernehmen: Wieso werden kaum alte Meisterinnen gezeigt, wo es doch andere große Museen vormachen? Die letzte im KHM gab es Mitte der 1990er-Jahre.

Wallendes Haar, seidige Haut: Tizians "Junge Frau bei der Toilette".
Foto: RMN-Grand Palais (musée du Louvre) / Franck Raux

Der Staub bleibt liegen

Nichtsdestotrotz ist es ein interessantes Unterfangen, Tizians über sieben Jahrzehnte reichendes Œuvre anhand seiner Frauendarstellungen zu betrachten. Wenngleich kein leichtes. Zumindest nicht, wenn die Perspektive keine erfrischende ist. Die Ausstellung Titian: Women, Myth & Power in Boston machte es gerade mit einem spannenden Ansatz vor und benannte problematische Aspekte mit heutigem Blick.

Frauen hingegen als "Thema" zu bezeichnen und dabei keine feministische Herangehensweise zu erwägen, kann schnell in einer konservativen Kunstbetrachtung münden. In der neuen Schau im KHM ist leider genau das geschehen.

Eigentlich verwunderlich, wurde diese doch von einem Kuratorinnen-Trio konzipiert: allen voran der ehemaligen Direktorin der KHM-Gemäldegalerie Sylvia Ferino-Pagden sowie ihren Kolleginnen Francesca Del Torre Scheuch und Wencke Deiters. Es sei nicht ihr Anspruch gewesen, Tizians Frauenbild auf heute zu beziehen, betonen sie. Ihnen sei es um eine kunsthistorische Ausstellung gegangen, die Frauen in der Malerei des 16. Jahrhunderts behandelt. Punkt. Wo aber bliebt die Motivation, den Staub abzuschütteln?

Poesien: Links Lambert Sustris "Venus, Amor und Mars", mittig "Venus mit Orgelspieler und Cupido" sowie rechts "Diana und Callisto" von Tizian.
Foto: KHM-Museumsverband

Idealisierte Porträts

Im ersten von vier Säle treten auf goldener Tapete Le Belle veneziane – die "schönen Frauen Venedigs" hervor, deren Identität bis heute nicht bekannt ist. Junge Frauen mit dickem Haar und glänzendem Schmuck, bei der Toilette oder mit Federhut. Inspiriert von der damaligen Literatur, schufen die Maler "poetisch-erotische, idealisierte" Frauenporträts. Hier fehlt allerdings die Reflexion: Was bedeutet die "Erotisierung" der Frau durch den männlichen Blick in den Gemälden?

Zwar erklärt die Schau, dass die Prominenz der Frauen in der Malerei Venedigs des 16. Jahrhunderts auch mit der politisch-sozialen Struktur der Serenissima zu tun hatte, da Frauen etwa bezüglich der Mitgift eigene Rechte zustanden. Jedoch bleiben hier gesellschaftliche Ungleichheiten unterrepräsentiert. In dem streng patriarchalen System waren Frauen Gemahlinnen, Kurtisanen, Geliebte oder Nonnen.

So findet sich der beste Moment der Ausstellung in einem der Seitenkabinette, wo anhand von Schriften und Bildern einiger weniger Dichterinnen die Debatte um Gleichstellung der Geschlechter gezeigt wird – die bereits als "Querelles des femmes" geführt wurde. Viele Frauen wie die Kurtisane Veronica Franco organisierten sich in Salons und forderten Zugang zu Bildung.

Brutales Schicksal der "Lucretia" (hier von Paolo Veronese): Nach einer Vergewaltigung erdolchte sie sich.
Foto: KHM-Museumsverband

Gewalt, nicht Schönheit

Einem neuen Aspekt widmet sich die Schau bei der Widerlegung der "Kurtisanentheorie": Entgegen der Annahme, jene Frauenfiguren mit entblößter Brust wären automatisch Prostituierte, belegen jüngere Studien, dass die "Öffnung des Herzens" als Symbol der Treue zu verstehen sei, wodurch viele der Bildnisse anders zu interpretieren sind.

Neben wenigen in Auftrag gegebenen Realporträts bildeten Tizian und seine Kollegen Frauen oft als Heilige, Göttinnen oder Heroinnen ab. Aus Ovids Metamorphosen schöpfend, zeigte Tizian in seinen Poesien Figuren wie Danae als überirdische nackte Wesen. In zahlreichen Venus-Darstellungen scheint der Wettstreit zwischen Poesie und Malerei auf die Spitze getrieben. Wobei nur kurze Saaltexte unter den Gemälden von den brutalen Schicksalen von Susanna oder Lucretia erzählen, diese aber nicht als sexuelle Gewaltakte von Männern interpretieren. Die Gemeinsamkeiten der Frauen werden lediglich in ihrer Schönheit verortet. Eine ebenfalls vertane Chance der zeitgemäßen Einordnung. Ein geplantes Rahmenprogramm soll hier wenigstens gegensteuern.

Die ausgestellten Gemälde gelten als Meisterwerke der Kunstgeschichte, allen voran die farblich kraftvolle Malerei Tizians. Dennoch wird hier weder ein neuer Zugang geboten noch ein moderner Blick gewagt. Das hätte sich allerdings genau bei diesem "Thema" angeboten. (Katharina Rustler, 2.10.2021)