Sebastian Kurz auf Betriebsbesuch: Seine Regierung will Werktätige entlasten – "die Leistungsträger", wie der Kanzler gerne sagt.
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Bis zu 1551 Euro mehr netto im Jahr: Das verheißen die türkis-grünen Steuersenkungen den Erwerbstätigen. Wer auf diesen Betrag kommen will, muss allerdings ziemlich gut verdienen. Denn die maximale Entlastung stellt sich erst ab einem Monatseinkommen von 6000 Euro brutto ein.

Das ergibt sich aus einer Analyse des sozialliberalen Momentum-Instituts. Die zweite Etappe der Steuerreform ist zwar noch nicht beschlossen, sondern erst im Endstadium der von den Regierungsparteien ÖVP und Grüne geführten Verhandlungen. Doch es gibt den Plan, dass nach dem Eingangssteuersatz im Vorjahr die Sätze der zweiten und dritten Tarifstufe der Lohn- und Einkommenssteuer fallen sollen, und zwar von 35 auf 30 Prozent sowie von 42 auf 40 Prozent. Eine erste Verteilungsrechnung ist deshalb nicht aus der Luft gegriffen.

"Von der Steuerreform profitieren vor allem Menschen mit hohem Einkommen": So fassen die Momentum-Ökonomen Joel Tölgyes und Mattias Muckenhuber ihre Ergebnisse zusammen. Das liegt an der Konzeption: In der ersten Etappe richteten sich die Erhöhung von Absetzbeträgen und ein Sozialversicherungsbonus zwar gezielt an Kleinverdiener, vom niedrigeren Eingangssteuersatz profitierten aber bereits alle Steuerpflichtigen. Die zweite geplante Etappe hingegen nützt nur mehr der Mittelschicht aufwärts.

In Zahlen: Bei Etappe eins stellt sich die maximale Entlastung von 599 Euro bei 1600 Euro brutto im Monat ein, danach schmilzt der Effekt ab. Inklusive zweiter Etappe aber nimmt der Vorteil ab 2200 Euro brutto im Monat stark zu. Bei 2500 Euro winken 651 Euro, bei 3000 Euro sind es 896 Euro, bei 5000 Euro beträgt die Ersparnis 1335 Euro.

Wolle man, wie von der Regierung verkündet, die kleinen und mittleren Einkommen entlasten, dann sei eine Steuersenkung wie diese nicht geeignet, schließt Tölgyes daraus: Die erste Etappe sei definitiv in die richtige Richtung gegangen, doch die zweite greife vor allem ab der oberen Mittelschicht.

Allerdings lässt sich auch argumentieren, die relative Entlastung als Maßstab zu nehmen. Schließlich zahlen Gutverdiener in absoluten Beträgen auch höhere Steuern. Nach dieser Rechnung steigen Erwerbstätige mit kleinem Verdienst besser aus: Bei einem Einkommen von 1600 Euro fällt das Plus mit 3,1 Prozent des laufenden Bruttomonatsgehaltes höher aus als bei 6000 Euro (2,2 Prozent).

Gemessen an der Gesamtbevölkerung über 18 Jahren sieht das Momentum-Institut aber auch in Prozenten gerechnet eine Schieflage. Am besten kommt demnach das vierte Einkommensfünftel weg, das im Schnitt einen Zuwachs zum Nettomonatseinkommen von 2,82 Prozent erwartet. Danach kommen das oberste Fünftel (plus 2,60 Prozent) und das mittlere Fünftel (2,30 Prozent). Für die unteren beiden Einkommensquintile schauen lediglich 0,96 und 1,63 Prozent heraus.

Anders gerechnet: Vom untersten Fünftel profitieren nur 31 Prozent von der Steuersenkung, vom obersten fast alle – vorausgesetzt, die Regierung realisiert ihre Pläne so wie angenommen. Es ist möglich, dass die Senkung der dritten Tarifstufe erst später kommt.

Das Momentum-Institut warnt vor Spätfolgen einer einseitigen Entlastung: Müsse der Staat wegen des Steuerentgangs in ein paar Jahren sparen, um die EU-Budgetregeln zu erfüllen, werde er bei den eigenen Leistungen kürzen – und das treffe Niedrig- und Mittelverdiener. Deshalb sei eine Gegenfinanzierung durch vermögensbezogene Steuern nötig. (Gerald John, 1.10.2021)