Die einzige Gefahr, die vom Wahlsieg der KPÖ ausgeht, ist ein fragwürdiges Geschichtsbild, sagt der Grazer Soziologe Christian Fleck im Gastkommentar.

KPÖ-Wahlgewinnerin Elke Kahr und die Stadträte Robert Krotzer (li.) und Manfred Eber (re.) am Freitag. Die Kommunisten stehen vor Sondierungsgesprächen, Kahr wird wohl Bürgermeisterin.
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Dieser Tage äußern sich Kommentatoren besorgt darüber, dass bei den jüngsten Gemeinderatswahlen eine kandidierende Gruppe, die unter dem Namen Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) auftrat, bei geringer Wahlbeteiligung die relative Stimmenmehrheit erzielte. "Bürgerinnen und Bürger seid beruhigt, aus Graz wird nicht Stalingraz", könnte die Antwort auf die Besorgnis lauten. Denn die in Graz erfolgreiche wahlwerbende ist keine kommunistische Partei. Allerdings weigern sich ihre Funktionäre und Mitglieder nachdrücklich dagegen, aus der Geschichte gelernt zu haben, ja sie scheinen diese nicht einmal zu kennen.

Kommunistische Parteien gibt es seit knapp mehr als hundert Jahren. 1920 formulierten die Bolschewisten anlässlich des Zweiten Kongresses der Kommunistischen Internationale jene Kriterien, die aufnahmewillige Parteien zu erfüllen hätten. Die 21 "Leitsätze" hier zu zitieren würde nicht nur den Rahmen sprengen, es wäre für die Leserschaft auch eine unzumutbare Quälerei durch leninistische Phrasen. Es wäre freilich ebenso töricht, mir entgegenzuhalten, dass das alles Schnee von gestern sei. Mitnichten. Zwar wurde die Komintern 1943 aufgelöst, weil sich Stalin davon einen Vorteil versprach. An die Stelle des vorgeblichen Internationalismus traten Unterordnung und Abhängigkeit der kommunistischen Parteien von der Sowjetunion – bis zu deren Kollaps. Ebendiesen halten die Kader der KPÖ, ganz wie Wladimir Putin, für die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts.

"Hätte die Grazer KPÖ eine politische Ausrichtung, hätte sie darauf gedrängt, die Zahl der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter zu erhöhen."

Also, obwohl die KPÖ Graz weder dem demokratischen Zentralismus genügt (dann hätte das Zentralkomitee der KPÖ in Wien mehr zu sagen) noch Zellen in Betrieben hat und allem Anschein nach auch keinen illegalen Apparat mehr betreibt (um nur drei der 21 Leitsätze zu resümieren), ist sie auch keine postkommunistische Partei. Diese Nachfolgeorganisationen versammelten in den ehemals sowjeteuropäischen Staaten Wendehälse, die vor allem den eigenen materiellen Vorteil im Auge haben. Das kann man der Grazer KPÖ nicht vorwerfen. Sie ist bloß das Relikt einer gescheiterten politischen Richtung, die sich dieses Scheitern nicht eingestehen will und nun statt einer linken Politik Philanthropie betreibt. Also, Rote Caritas statt Roter Hilfe (so hieß eine der Vorfeldorganisationen des Komintern-Universums).

Hätte die Grazer KPÖ eine politische Ausrichtung, hätte sie darauf gedrängt, die Zahl der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter zu erhöhen, um ebenjene Aufgaben wahrzunehmen, denen Elke Kahr und Konsorten in ihren Sprechstunden mit viel Hingabe nachgehen.

Noch kein "Kronstadt"

So gesehen hätten die Grazer KPÖler eigentlich genug Zeit gehabt, sich mit der Geschichte jener Bewegung auseinanderzusetzen, als deren Teil sie sich sehen: des Sowjet-Kommunismus. Die Grazer KPÖ ist ja durchaus nicht geschichtsvergessen, aber sie erinnert sich halt sehr, sehr selektiv. Seit 100 Jahren quittierten unzählige Kommunisten ihre Loyalität gegenüber der Komintern, dem Marxismus-Leninismus und der führenden Rolle der KPdSU. Als Kürzel für die Desillusionierung spricht man von jemandes "Kronstadt", wo 1921 die Rote Armee unter Trotzki aufständische Matrosen, deren Slogan "Alle Macht den Räten (Sowjets) – Keine Macht der Partei" lautete, niederrang, Überlebende hinrichten oder in Lager deportieren ließ. Dass die Grazer KPÖler ihr Kronstadt immer noch nicht erlebt haben, lässt einen an ihrer historischen Bildung zweifeln, da es mehr als einen Anlass gab, die kommunistische Ideologie zu verabschieden.

Unterwürfig Befehle aus Moskau auszuführen gehört sozusagen zur DNA der KPs, wofür man mit Parteischulungen in Moskau, Urlauben auf der Krim und Ähnlichem belohnt wurde. Dafür war man schon einmal bereit, einen unliebsam gewordenen Genossen bei der Tscheka zu melden, die ihn dann beispielsweise 1945 aus Linz abholte und nach Sibirien brachte, wo Karl Fischer als "Politisolant" zehn Jahre ohne Kontakt mit der Außenwelt inhaftiert war, um nur ein Opfer der KPÖ namentlich zu nennen. Bis lang über das Ende der Sowjetunion hinaus profitierten die KPÖ und ihr Firmengeflecht von der Geschäftemacherei der "roten Fini" Rudolfine Steindling. Ohne diese Subventionierung und all die anderen Hilfsleistungen aus der Sowjetunion hätte die KPÖ das Ende der Besatzung 1955 nicht lang überlebt.

Keine Positiva

Die historische Negativliste ist ellenlang, an Positiva hat der Kommunismus nichts zu melden als die dürftige Ausrede, man habe es halt versucht, eine andere Welt zu schaffen, leider, leider sei das beim ersten Anlauf nicht geglückt. In dieser Art Geschichtsbild steckt die eigentliche und einzige Bedrohung, die vom Wahlsieg der Grazer KPÖ ausgeht: Wer immer sie gewählt hat, trug und trägt dazu bei, dass die Wahrheit über den Kommunismus hinter den Sozialspenden der Grazer KPÖ-Gemeinderäte versteckt wird. (Christian Fleck, 2.10.2021)