Im Gastkommentar kritisiert die Grünenpolitikerin die Frauenpolitik der Frauenministerin. Susanne Raab mache es sich zu einfach, wenn sie "das zutiefst strukturelle, gesamt-gesellschaftliche Problem der Männergewalt lediglich auf die 'Einwanderungsgesellschaft' reduziert und es ethnisiert".

In der Kritik: Susanne Raab.
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Es vergeht kaum ein Monat, in dem nicht mindestens ein Frauenmord bekannt wird. Bereits 21 Frauenleben wurden heuer ausgelöscht. Damit liegt Österreich über dem EU-Durchschnitt. Zuletzt wurden im September zwei Frauen in Wien ermordet, weil sie Frauen waren. Erneut handelte es sich bei dem mutmaßlichen Täter um den Ex-Partner eines der beiden Opfer.

Während Hinterbliebene und Frauenvereine Spenden für die Begräbniskosten und für die Unterstützung der verwaisten Tochter sammeln, herrschte vonseiten der Frauenministerin Susanne Raab erst einmal lautes Schweigen. Kein Wort der Anteilnahme. Kein Wort darüber, was jetzt zu tun wäre. Was nach dem Schweigen folgte, waren Aussagen, wie sie zu befürchten waren und schon bekannt sind: So sei jeder zweite Frauenmörder "Ausländer" und dass man "die Augen nicht vor den Fakten verschließen" dürfe.

Bekannte Problemlage

Diese Aussage wirft die Frage auf, was sie bezwecken soll, denn nachweislich verschließen weder Gewaltschutzexpertinnen und -experten noch Feministinnen und Feministen die Augen vor der Problemlage. Vielmehr machen sie seit Jahrzehnten auf die tatsächlichen Problemlagen in Bezug auf Männergewalt gegen Frauen aufmerksam.

Die Frauenministerin macht es sich zu einfach, wenn sie das zutiefst strukturelle, gesamtgesellschaftliche Problem der Männergewalt lediglich auf die "Einwanderungsgesellschaft" reduziert und es ethnisiert. Denn das führt dazu, dass eine tiefergehende Auseinandersetzung mit einem sehr weit verbreiteten Problem in der Gesamtgesellschaft verhindert wird. Männer – insbesondere mit österreichischer Staatsbürgerschaft – werden somit weiterhin nicht dazu aufgefordert zu reflektieren, was ihr Anteil an einer patriarchalen, gewalttätigen Gesellschaft ist, in der Frauen nach wie vor nicht gleichgestellt und von struktureller und psychischer Männergewalt betroffen sind.

Bloße Ablenkung

Diese bewusste Ablenkung ist für die ÖVP aus zweierlei Gründen angenehm: Erstens greift sie damit FPÖ-Stimmen ab, und zweitens lenkt sie damit von den eigentlichen Gründen für Männergewalt an Frauen ab: Patriarchat, toxische Männlichkeit, Sexismus und strukturelle Ungleichbehandlung von Frauen. Denn unabhängig davon, welche Staatsbürgerschaft die mutmaßlichen Täter haben, gibt es zwei große Gemeinsamkeiten:

Erstens: Die mutmaßlichen Täter sind Männer, die Frauen töten, weil sie Frauen sind. Es handelt sich bei Femiziden um geschlechtsspezifische Gewalt und die extremste Form der Machtausübung von Männern gegenüber Frauen.

Zweitens: Alle Täter standen in einem (ehemaligen) Nahverhältnis mit den Opfern. Das männliche Besitz- und Anspruchsdenken geht in dieser Vorstellung von Männlichkeit so weit, dass Männer glauben, über Frauenkörper verfügen zu können, als wären sie ihr Privatbesitz. Somit bleibt der soziale Nahbereich weiterhin der gefährlichste Ort für Frauen.

Aktive Frauenpolitik

Das Einzige, was etwas gegen Männergewalt gegen Frauen und Femizide bewirken kann, ist eine aktive und fortschrittliche Frauenpolitik. Eine feministische Politik, die die vollständige Gleichstellung der Geschlechter verfolgt und Frauenpolitik zur obersten Priorität macht. Eine feministische Politik, die sich im Bereich Gewaltschutz und Gewaltprävention am internationalen Abkommen der Istanbul-Konvention orientiert.

Aber genau das lehnt die ÖVP ab. Nicht umsonst schweigt die Frauenministerin bei Frauenmorden, wenn die Täter Österreicher sind und die Opfer Migrantinnen. Nicht umsonst ist Raab eine Frauenministerin, die sich bewusst nicht als Feministin bezeichnet. Nicht umsonst stellt sich die ÖVP seit Jahrzehnten gegen Maßnahmen, die die ökonomische Situation der Frauen nachhaltig verbessern würde, und gegen die ausreichende Finanzierung von Frauenvereinen im Integrationsbereich, die jeden Tag wertvolle Arbeit leisten.

Die ÖVP und Ministerin Raab sind diejenigen, die die Augen vor dem Problem verschließen. Dieses Problem heißt universelles Patriarchat, und es gehört jeden Tag bekämpft. (Viktoria Spielmann, 2.10.2021)