Die Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck sollen das zehnköpfige Verhandlungsteam der Grünen anführen.

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Berlin – Die Grünen wollen ihre rund 120.000 Mitglieder über einen möglichen Koalitionsvertrag und ihre personelle Aufstellung in einer neuen Bundesregierung abstimmen lassen. Einen entsprechenden Antrag des Parteivorstands beschlossen die etwa 100 Delegierten eines kleinen Parteitags in Berlin am Samstag bei nur einer Enthaltung. Nach Angaben von Bundesgeschäftsführer Michael Kellner soll die Abstimmung weniger als zwei Wochen beanspruchen.

Der beschlossene Leitantrag beinhaltet auch die personelle Aufstellung der Grünen für die anstehenden Sondierungsgespräche. Ein zehnköpfiges Team unter Führung der Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck soll mit SPD, Union und FDP die beiden Koalitionsoptionen ausloten. Es kommen eine sogenannte Ampel-Koalition mit SPD und FDP oder ein sogenanntes Jamaika-Bündnis mit Union und FDP in Frage. Klarer Maßstab sei die Erneuerung – für Klimaschutz, für eine liberale Gesellschaft, für echten gesellschaftlichen Zusammenhalt, sagte Baerbock. "Das heißt, in Gespräche offen zu gehen."

Habeck: "Wenn wir uns nicht dämlich anstellen, werden wir mitbestimmen"

Die Gespräche mit anderen Parteien sollen jedenfalls vertraulich behandelt werden. "Bei den letzten Sondierungen war es so, dass manchmal die Kommunikation über Twitter relevanter war als das, was im Raum geschehen ist", sagte Kellner unter Verweis auf die Jamaika-Gespräche mit der Union und der FDP 2017. Dies wollten die Grünen umkehren.

"Wenn wir uns nicht komplett dämlich anstellen, werden wir in den nächsten vier Jahren diese Regierung nicht nur mittragen, sondern maßgeblich mitbestimmen", sagte Habeck. Die Grünen wollten helfen, aus der Bundestagswahl etwas Gutes zu machen: "Man spürt eine Lust, vielleicht einen Wagemut im Land, dass aus diesem Wahlergebnis auch etwas Gutes werden kann."

Baerbock: Dreier-Konstellation hat es in diesem Land noch nie gegeben

Kellner räumte vor den Delegierten des Länderrats ein, dass die Partei bei der Bundestagswahl verfehlt habe, als größte Partei die künftige Regierung anzuführen. "Unsere Ziele waren größer", sagte der Bundesgeschäftsführer. Dennoch dankte er Baerbock mit Überschwang. "Deine Kandidatur war historisch", rief Kellner. Die Delegierten klatschen minutenlang stehend Beifall. Die Grünen hatten sich bei der Bundestagswahl mit 14,8 Prozent deutlich verbessert.

"Wir leiten aus dem Wahlergebnis einen klaren Auftrag ab, Verantwortung für die Gestaltung des Landes zu übernehmen und eine progressive Regierung zu bilden", heißt es im Leitantrag. Habeck räumte allerdings ein, die Arbeit in einer künftigen Regierung werde nicht ohne Debatten, Zumutungen und Anstrengungen vonstatten gehen. "Das wird anstrengend sein, das wird uns fordern." Auch Baerbock warnte: "Das Ganze ist komplex. Eine Dreier-Konstellation hat es in diesem Land noch nicht gegeben."

Die SPD dringt indes aufs Tempo: Scholz will möglichst schnell in konkrete Verhandlungen über die Bildung einer Ampel-Koalition mit Grünen und FDP einsteigen. Die Parteispitze will schon am Sonntag für jeweils etwa zwei Stunden zu ersten Beratungen mit FDP und Grünen über eine Regierungsbildung nach der Bundestagswahl zusammenkommen. Vorgesehen ist zunächst das Treffen mit der FDP um 15.30 Uhr und dann mit den Grünen um 18.00 Uhr in einem Büro- und Konferenzgebäude in Berlin, wie die SPD am Samstag mitteilte.

CDU berät nach Wahlniederlage über Zukunft

In der CDU, die am Dienstag erstmals auch mit den Grünen über ein mögliches Jamaika-Bündnis beraten will, schwelt währenddessen weiter eine Personaldebatte um Bundesvorsitzenden und Spitzenkandidaten Armin Laschet. Dieser hat am Samstag in der Unions-Zentrale in Berlin Spitzenpolitiker seiner Partei zur Vorbereitung der Gespräche mit FDP und Grünen getroffen. In der CDU hieß es, es sei Vertraulichkeit vereinbart worden. Stellungnahmen nach dem Treffen werde es nicht geben. Laschet und die anderen Teilnehmer betraten das Adenauerhaus wortlos. Nach der Wahlniederlage der Union drängen indes immer mehr CDU-Politiker auf einen inhaltlichen und personellen Neuanfang.

"Jetzt geht es um die Aufstellung für die Zukunft, einfach so weitermachen ist keine Option", sagte Parteivize Jens Spahn der "Welt am Sonntag". Aus dem Umfeld des CDU-Politikers Friedrich Merz wurde eine neue Mitgliederbefragung über den Parteivorsitz ins Gespräch gebracht. Spahn forderte einen Sonderparteitag bis Ende Januar und zwar unabhängig von der Frage, ob es der Union doch noch gelingen sollte, eine Regierung unter ihrer Führung zu bilden. (APA, 2.10.2021)