Oft seien die versprochenen Gelder gar nicht ausbezahlt worden, ärgern sich einige Betroffene zudem.

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Eigentlich sollten Mindestlöhne dafür sorgen, dass Arbeiterinnen und Arbeiter nicht ausgebeutet werden. Gerade Tech-Unternehmen haben aber seit einigen Jahren weltweit ein Schlupfloch gefunden: Die sogenannte Gig Economy. Anstatt fest angestellt zu sein, erhalten Beschäftigte Aufträge und fungieren so als Vermittler zwischen Kunden und Händlern. Auf diese Weise verdienten Arbeiter für den Social-Media-Riesen Tiktok in Brasilien 3.85 brasilianische Real pro Stunde, also umgerechnet 70 Cent, wie "The Intercept" in einer Recherche aufgedeckt. Das sind gerade einmal drei Viertel des Mindestlohns in Brasilien.

In Schrift fassen

Konkret heuerte Tiktoks Mutterkonzern, Bytedance direkt selbst an – über Whatsapp. Einen Vertrag oder andere Dokumente, die jeweils die Bedingungen regeln, gab es nicht, erzählt ein Betroffener dem Investigativmedium. Stattdessen wurden die Konditionen über den Messenger kommuniziert: Für jede transkribierte Stunde an Tonaufnahmen gibt es umgerechnet 14 US-Dollar. Mit den Inhalten will Tiktok seine eigene KI trainieren, die künftig Aufnahmen selbst erkennen und in Schrift fassen soll.

Das Problem dabei: Tendenziell sind Tiktok-Videos enorm kurz, meist kürzer als eine halbe Minute. Um genügend Videos zu entdecken, um eine Stunde zu erreichen und diese zu transkribieren, brauchte ein Betroffener nach eigenen Angaben fast 20 Stunden. Auch gilt die Bezahlung von 14 Dollar nur, wenn täglich mehr als 300 Inhalte transkribiert werden – jene, die sich nicht an diese Mindestanforderung halten, bekommen umgerechnet nur zehn Dollar und damit noch einmal weitaus weniger als der gesetzliche Mindestlohn in Brasilien vorschreibt.

Beschwerden

Dazu kommen weitere Nachteile, die sich bei so einer Auftragsarbeit anbahnen: Gig-Arbeiter müssen das gesamte unternehmerische Risiko auf sich nehmen, inklusive der Sozialversicherung oder der Besteuerung der Einnahmen, die sie selbst erledigen müssen. Zusätzlich müssen sie ihr Equipment, um den Job zu erledigen, selbst anschaffen und sich um ihren Arbeitsplatz kümmern.

"The Intercept" konnte auch einen Blick in Whatsapp-Gruppen von Transkriptionsbeauftragten werfen. Darin beschwerten sich dutzende von ihnen über die hohe Arbeitsdichte. Oft seien die versprochenen Gelder gar nicht ausbezahlt worden, ärgern sich einige der Betroffenen. Das brasilianische Büro von Bytedance wollte das Thema nicht kommentierten und verwies auf die PR-Stelle in den USA. Auch dort blieben mehrere Bitten um Stellungnahmen unbeantwortet. (red, 3.10.2021)