Schulden statt Pleiten und Arbeitslose. Nach dieser Vorgabe haben sich die Regierungen der Industriestaaten gegen die Auswirkungen der Corona-Pandemie gestemmt. Aber wann sollen die dadurch angehäuften Schuldenberge wieder abgetragen werden? Wenn es nach der Weltbank-Chefökonomin Carmen Reinhart geht, werden die fiskalischen Aufräumarbeiten nun bald in die Wege geleitet. Allerdings wird das für die Bürger wohl nicht ganz schmerzfrei über die Bühne gehen. Vielmehr rechnet sie mit Steuererhöhungen und ausgedünnten Sozialleistungen. Begleitet werde der Schuldenabbau in den Industriestaaten durch anhaltend hohe Inflation, so die Ökonomin.

"Niemand wird es so explizit präsentieren. Keine Regierung sagt: Unsere Strategie besteht darin, die Schulden wegzuinflationieren. Aber irgendwie passiert es genau so", erklärt Reinhart der Neuen Zürcher Zeitung. Die Kehrseite haben freilich Sparer zu tragen, deren Vermögen ebenfalls der schleichenden Erosion durch Inflation ausgesetzt ist, was Reinhart als "finanzielle Repression" durch Zinsen unter der Teuerungsrate bezeichnet. "Dabei handelt es sich um eine sehr undurchsichtige Form der Besteuerung von Sparern", sagt sie. "Es braucht hierzu keine Gesetze und keine Volksabstimmungen."

Nicht nur die Lockdowns der Corona-Pandemie haben die Haushalte der Industriestaaten schwer belastet.
Foto: Imago Images

Neben Steuererhöhungen erwartet die Chefökonomin der Weltbank, dass auch die sozialen Sicherheitssysteme überprüft werden. "Ich sage nicht, dass die Sozialversicherungen zusammenbrechen werden", führt Reinhart aus. "Aber man wird die Qualität der Leistung herunterfahren." Die Industriestaaten seien bei weitem nicht so wohlhabend, wie man glaubte, als die sozialpolitischen Versprechen abgegeben wurden.

Und wie sieht die Lage in Österreich aus, während die Regierung ihre ökosoziale Steuerreform auf Schiene bringt? Sollte die Regierung auch hierzulande auf die Schuldenbremse treten? Schließlich hat Österreich im ersten Halbjahr ein klaffendes Loch in der Haushaltsrechnung ausgewiesen: Bund, Länder und Gemeinden haben ein Minus von 13,9 Milliarden Euro verbucht, das entspricht 7,2 Prozent der Wirtschaftsleistung. Insgesamt betragen Österreichs Staatsschulden nun 334,7 Milliarden Euro oder 86,2 Prozent des BIP.

Langfristiger Handlungsbedarf

Unmittelbar sieht Wifo-Budgetexpertin Margit Schratzenstaller keinen drängenden Handlungsbedarf. Gemäß ihrer Erwartung wird die Verschuldungsquote bis Mitte der 2020er-Jahre fast auf 75 Prozent sinken wegen des erwarteten Wachstums und der niedrigen, oftmals sogar negativen Zinsen auf heimische Staatsanleihen.

Der Druck auf die Sozialsysteme dürfte durch die demografischen Entwicklungen steigen.
Foto: Imago

Allerdings sei diese Erwartung kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen: Langfristig, also bis Mitte der 2030er-Jahre, erwartet die Volkswirtin nämlich sehr wohl immer größeren Druck auf die Sozialsysteme durch die Demografie, etwa bei den Pensionen oder der Pflege. "Es geht aber nicht um kurzfristigen Abbau", stellt Schratzenstaller klar. Vielmehr müssten durch Strukturreformen Effizienzpotenziale gehoben werden, es brauche aber viel Zeit, bis diese ihre Wirkung entfalten. "Das muss man jetzt angehen, auch wenn es noch keinen unmittelbaren Druck gibt."

Historisches Hoch

"Es gibt Riesenherausforderungen. Wir haben historische Höchststände bei den Schulden", sagt Guido Schäfer vom Institut für analytische Volkswirtschaftslehre an der WU Wien über die Lage der Industriestaaten. Derzeit gebe es wegen des Wirtschaftswachstums und der tiefen Zinsen zwar nur geringen Druck auf den Budgetsaldo, wo Einschnitte bei den Ausgaben die Bevölkerung schmerzen würden. Bleibe die Inflation aber längere Zeit hoch, seien die Notenbanken gezwungen, dem durch höhere Zinsen entgegenzusteuern. Dies würde Wachstum und Steuereinnahmen bremsen sowie die Aufnahme neuer Staatsschulden verteuern. "Wenn an der Zinsschraube gedreht wird, werden vor allem die hochverschuldeten Länder Probleme bekommen", prognostiziert Schäfer. (Alexander Hahn, 4.10.2021)