Ein Höhepunkt des Donaufestivals: Der Saxofonist Bendik Giske erzeugte Magie durch Verausgabung.

Foto: David Visnjic / Donaufestival

Die Stimmung ist top im Sepp-Doll-Stadion, wo der Kremser SC gegen Kottingbrunn spielt. Deswegen treffen am Freitag beim Eingang des Messezentrums, das sich gleich neben dem Fußballplatz befindet und einen Schauplatz des Donaufestivals bildet, auch zwei Gruppen aufeinander. Team "Tor" und Team "Diskurs" wissen erst einmal nicht, was die anderen da wollen.

Dort beim Eingang spielt sich wohl die beste Performance des ersten Donaufestival-Wochenendes ab, eben weil sie niemand kuratiert hat: Da sind die, und da sind wir, dort ist das Leben, da die Kunst. Ignoriert man einander? Tauscht man sich aus? Eine irritierende Situation, zu der man sich irgendwie verhalten muss. Der ein oder andere neidvolle Blick unter den Festivalgehenden auf das Stadion lässt sich erhaschen, weil dort das Bier billiger und die Stimmung gelöster ist.

Inhaltliche Widersprüche

Müsste man den ersten beiden Tagen des Donaufestivals ein Adjektiv aufdrücken, käme nur das schöne Wort betroppezt infrage. Die Ausgelaugtheit durch den organisatorischen Spießroutenlauf – ständig änderten sich Einreise- und Sperrstundenregelungen –, um das Festival 2021 überhaupt abhalten zu können, liegt wie ein dunkler Schleier über allem.

Es sind deutlich weniger Besucherinnen und Besucher nach Krems gekommen, als erhofft. Das mag daran liegen, dass für das erste Festivalwochenende kein bezahlbarer, zugkräftiger Headliner aufzutreiben war, vielleicht sind die Leute aber auch einfach noch im emotionalen Lockdown. Es fühlt sich jedenfalls an wie eine Zäsur, eine, die sich schon lange abgezeichnet hat und durch die Pandemie nur befeuert wurde. Sie bringt eine unangenehme Frage aufs Tapet: Haben Festivals wie das Donaufestival eine Zukunft? Gibt es mittlerweile einfach zu viele Festivals mit ähnlicher Ausrichtung? Wird man sich die immer absurder werdenden Gagen für große Namen noch leisten können? Und was macht man mit inhaltlichen Paradoxa?

Die Plastiksackerl-Performance "Upstairs Geology 50/50" des maltesischen Rubberbodies Collective ließ zu wünschen ürbig.
Foto: David Visnjic / donaufestival

Ein Beispiel für Letzteres: Wenn eine – leider hochgradig banale – Performance wie Upstairs Geology 50/50 des maltesischen Rubberbodies Collective eigentlich nichts anderes tut, als die Auswirkungen der Klimakrise zu thematisieren, drängt sich schon die Frage auf, wie man Festivals rechtfertigt, die Nachhaltigkeit predigen, aber nichts anderes tun als Menschen aus aller Welt einzufliegen. Die spielen dann eine Stunde vor einem nicht einmal lokalen Publikum, vor 200 Leuten, die nach dem Zauber in einem Bus in die Hauptstadt, wo sie herkommen, zurückgekarrt werden.

Der Kontakt zur lokalen Bevölkerung wird wenn dann durch Konfrontation gesucht: In der Performance Fictions of the Flesh der norwegische Choreografin Ingri Fiksdal jazzdanct ein junger Mann im futuristischen Perchtenkostüm durch die Kremser Innenstadt und irritiert dort Passantinnen und Passanten. Mit einer Verankerung in oder einer Auseinandersetzung mit der Region hat das wenig zu tun.

"Fictions of the Flesh" in der Kremser Innenstadt.
Foto: David Visnjic / Donaufestival

Nächste Woche Normalität

Das soll nicht heißen, dass einzelne Programmpunkte nicht zu packen vermochten. Anne Imhofs einfache Videoarbeit, die das ganze Festival über zu sehen ist, zeigt eine junge Frau, die stoisch Wellen peitscht, bis die Sonne untergeht. Obwohl die preisgekrönte deutsche Künstlerin hart an der Grenze zum Kitsch operiert – irgendwann setzten auch noch filmische Geigen als Hintergrundmusik ein –, nimmt einen die Geworfenheit der Protagonistin im Angesicht einer übermächtigen Natur richtig mit.

Ein Höhepunkt am Freitag kam früher als gedacht: Gleich der erste musikalische Act, der norwegische Saxofonist Bendik Giske, der im Lichtkegel stehend sich und seinem Instrument mittels Zirkularatmung alles abrang, ließ das Festival mit einem Funken Magie durch Verausgabung beginnen.

Auch das kenianische Duo Duma, das den ersten Abend beschloss, gab alles: Der sympathische Vokalist Martin Khanja alias Lord Spike Heart nahm keine Gefangenen, gröhlte sich in wohlfeiler Black-Metal-Tradition auf Industrial Beats die Seele aus dem Leib und hatte das Publikum, das teilweise nicht wusste, wie ihm geschah, schnell im Griff.

Am Samstag überzeugte die junge tunesische Produzentin Deena Abdelwahed, die ihren melismatischen Gesang verhallt, auf polyrhythmischer Perkussion anrichtete und mit hoher Konzentration und Präsenz glänzte.

Deena Abdelwahed überzeugte.
Foto: David Visnjic / Donaufestival

Kommendes Wochenende wird es publikumsmäßig sicherlich besser ausschauen, denn alle wollen das schwer gehypte Septett Black Country, New Road sehen. Vielleicht herrscht dann in Krems wieder Donaufestival-Normalität. Sie möge bitte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es viel zu tun gibt. (Amira Ben Saoud, 4.10.2021)