Am Montag fand in Wien ein Prozess statt, der zwar in Zusammenhang mit dem Wiener Terroranschlag stand, allerdings im weiteren Sinne: Der Angeklagte soll an Treffen einer radikal-islamistischen Gruppierung teilgenommen haben, bei denen auch der spätere Attentäter war.

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Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung betonten zu Beginn des Prozesses am Montag im Wiener Straflandesgericht: "Heute geht es nicht um den Terroranschlag vom 2. November." Aber das Attentat war dann doch immer wieder Thema. Denn der 26-jährige Ali K., der sich wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor Gericht verantworten musste, wurde im Zusammenhang damit am 3. November festgenommen und saß seither in Untersuchungshaft. Er soll einerseits IS-Propagandamaterial verbreitet haben und sich außerdem mit Personen getroffen haben, die der radikalislamischen Szene zuzuordnen sind, darunter auch der Attentäter von Wien, K. F.

Der Mann wurde nicht rechtskräftig zu zwölf Monaten Haft verurteilt, davon drei Monate unbedingt.

Terrorzelle oder Gebetskreis

Einerseits wurde dem gelernten Karosseriebautechniker vorgeworfen, via Whatsapp IS-Propaganda verschickt zu haben. Zweitens wurde ihm angelastet, an den sogenannten "Sonntagstreffen" teilgenommen zu haben. Der Staatsanwaltschaft Wien zufolge seien die Treffen in einer Mietwohnung in St. Pölten "zum Zweck des Teilens und der gegenseitigen Bekräftigung ihrer radikal-islamistischen IS-Gesinnung und Überzeugung sowie zur wechselseitigen Beeinflussung und Radikalisierung zumindest eines Teils der Anwesenden" abgehalten worden, wie es in der Anklageschrift hieß. K. war einer derjenigen, die einen Schlüssel zur Wohnung besaßen. Bei zwei Treffen soll auch der spätere Wien-Attentäter K. F. anwesend gewesen sein.

Wo die Staatsanwaltschaft Treffen einer radikalen islamistischen Gruppierung ausmacht, sieht der Angeklagte harmlose Zusammenkünfte. Der 26-Jährige behauptete, dass in der Wohnung nur gebetet, gegessen und Arabisch gelernt worden sei. "Ich kann mit 100-prozentiger Sicherheit sagen: Als ich in der Wohnung war, wurde nie über den IS geredet."

Das bestätigten am Montag auch der Reihe nach mehrere Zeugen, weswegen die Staatsanwaltschaft in Erklärungsnot geriet und einen weiteren Zeugen laden wollte, der "sehr wohl" bezeugen könne, dass der IS Thema gewesen sei. Der Richter wies den Beweisantrag aber mit dem Hinweis ab, dass auch dieser Mann in seiner Einvernahme gesagt habe, er könne nichts über IS-Gespräche sagen.

Appell der Verteidigung

Verteidiger Sinan Dikme zeichnete von seinem Mandanten das Bild eines zwar streng gläubigen Muslimen, radikale Ansichten vertrete dieser aber nicht. Er habe K. selber gefragt, ob er tatsächlich IS-Propaganda verschickt habe und diese Ansichten teile, "weil dann suchst du dir besser jemand anderen, das habe ich ihm ehrlich gesagt", so der Verteidiger. Bild für Bild führte Dikme aus, warum es sich bei den geteilten Bildern nicht um IS-Propaganda handle. Ein Beispiel: Auf einem Bild ist die tschetschenische Fahne zu sehen, darauf das Glaubensbekenntnissymbol – das, wenn es auf schwarzem Hintergrund abgebildet ist, die IS-Fahne darstellt. Dieser Unterschied sei wichtig, denn das Symbol gebe es seit vielen Jahrhunderten, sagt Dikme. So, wie es sein Mandant verwendet habe, sei es keine Propaganda.

Just für das Teilen dieses Bildes wurde der Tschetschene dann aber verurteilt. In allen anderen Punkten wurde er freigesprochen.

Die Schöffen bat Dikme, sich nicht vom Anschlag in Wien beeinflussen zu lassen. "Das, was im November in Wien passiert ist, war nicht nur ein Anschlag auf uns Wiener und Österreicher, sondern ein Anschlag auf die Demokratie. Nichts kann das wiedergutmachen. Aber wozu wir verpflichtet sind, ist, durch diese Taten unsere Rechtsstaatlichkeit nicht zu untergraben." Heute gehe es nur um seinen Mandaten und was ihm vorgeworfen wird – nicht mehr und nicht weniger. Nur weil er den späteren Attentäter gesehen habe, heiße das nicht, dass er automatisch seine Weltansicht teile.

Religiöse Einstellung auf dem Prüfstand

Naturgemäß ging es in dem Prozess dann über große Strecken um die religiöse Einstellung des Angeklagten – und ob dieser nur ein streng gläubiger Muslim oder ein radikaler Islamist ist.

Der Tschetschenen beantwortete die Frage selbst so: "Ich bete fünfmal am Tag, beim Ramadan faste ich, und ich gehe zum Freitagsgebet." Mit dem IS habe er sich auseinandergesetzt, sagte der Angeklagte: "Ich glaube, das hat jeder Muslim gemacht, um zu verstehen, warum sie gemacht haben, was sie gemacht haben." Was in Syrien passiert sei, sei "echt traurig" gewesen. "Das sind Terroristen, ganz klar." Jeder normale Mensch sollte sich von solchen Sachen distanzieren, meinte der Mann auf Fragen seines Anwalts. Jemanden zu töten sei nicht mit seiner Religion vereinbar, die Scharia solle man in Österreich nicht einführen, erläuterte der Mann zu seiner religiösen Einstellung: "Hier gibt es eigene Gesetze – wenn jemandem das nicht passt, soll er gehen."

Diese Darstellung überzeugt den Richter offenbar nicht. Weswegen der Angeklagte beispielsweise wenige Stunden nach dem Wiener Terroranschlag in einem Whatsapp-Gruppenchat geschrieben habe: "Wenn man mich fragt, würde ich das nicht machen", und zwei Minuten später: "In Frankreich verstehe ich es", hakt er nach. "Ich habe die Proteste vieler Muslime nach der Karikatur, die in 'Charlie Hebdo' erschien, gemeint", sagt der Tschetschenen dazu. In der Nacht habe doch niemand über irgendwas anderes als über das Attentat gesprochen, entgegnet der Richter – der 26-Jährige antwortet nur: "Was soll ich sagen". – "Na was anderes bitte, etwas, das man glauben kann. Das ist ja lächerlich", entgegnet der Richter. Aber der 26-Jährige bleibt dabei.

Satire statt Salafismus

Dass einschlägiges Material auf seinen Mobiltelefonen gefunden wurde, rechtfertigt der Tschetschene großteils damit, dass alle Inhalte, die ihm geschickt wurden, automatisch gespeichert worden seien – an vieles davon erinnere er sich gar nicht. Und die weitergeleiteten Inhalte? Etwa ein Video mit dem Text: "Es ist traurig, dass viele Menschen Muslimen nicht vertrauen. Und die Medien über Muslime immer schlecht berichten. Nicht alle Muslime sind Terroristen, aber ich schon", dass er am 2. November an einen Bekannten verschickt habe? Das sei ein satirisches Video von Instagram gewesen, sagt der Mann.

In der Wohnung habe man gebetet, gegessen, Arabisch gelernt, der IS sei kein Thema gewesen – das sagten auch mehrere am Montag geladene Zeugen, manche von ihnen sitzen derzeit im Zusammenhang mit dem Terroranschlag selber in Untersuchungshaft. Dass unter den Teilnehmern auch Männer waren, die bereits wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt wurden – wie etwa K. F. –, war für die anderen Teilnehmer zwar teilweise klar, ein Problem stellte das für den Angeklagten und andere Zeugen aber nicht dar. Die Männer hätten ihre Strafe ja bereits abgesessen, wurde sinngemäß im Prozess entgegnet. Laut Sachverständigem habe es in der Wohnung außerdem eine "gut sortierte salafistische Bibliothek" gegeben. Der Angeklagte habe die Bücher wegen fehlender Arabischkenntnisse aber nicht gelesen, gab dieser an.

"Inshallah kommt er raus"

Nachdem die Zeugen – die meisten davon Bekannte oder Freunde des Angeklagten – befragt worden waren, nahmen viele von ihnen Platz in den Zuschauerrängen des Großen Schwurgerichtssaals. "Inshallah kommt er raus", sagte einer davon. Dieser Wunsch sollte am Ende des Tages trotz der Verurteilung in Erfüllung gehen. Denn da die U-Haft auf die Strafe angerechnet wurde, kam der 26-Jährige unmittelbar nach der Verhandlung auf freien Fuß.

In weiten Teilen folgte das Gericht nach einem umfangreichen Beweisverfahren insofern dem Angeklagten, als am Ende festgestellt wurde, bei den inkriminierten Fotos sei mit einer Ausnahme "kein Bezug zum IS herzustellen". Man müsse die Beweislage "nüchtern und ohne Emotionen betrachten", betonte der Vorsitzende in der Urteilsbegründung. Das gelte auch für die Treffen in der St. Pöltener Wohnung, in der es zwar "eine gut ausgestattete salafistische Bibliothek" gegeben habe und zwei wegen terroristischer Vereinigung verurteilte Männer – darunter der spätere Attentäter – verkehrt hätten. Die Angaben des Angeklagten, dass dort nicht die Lehren des IS gepredigt wurden, seien aber "trotz einiger Hinweise nicht zwingend zu widerlegen", so der Richter. (Lara Hagen, APA; 4.10.2021)