Äthiopiens Regierungschef Abiy Ahmed manövriert sich immer tiefer ins internationale Abseits. Seine jüngste Entscheidung, sieben leitende Repräsentanten der Vereinten Nationen aus dem Bürgerkriegsstaat am Horn von Afrika auszuweisen, stieß sowohl im New Yorker UN-Hauptquartier wie bei der US-Regierung in Washington auf heftige Kritik: Es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis US-Präsident Joe Biden bereits im vergangenen Monat angedrohte Sanktionen gegen Äthiopien verhängt. UN-Generalsekretär António Guterres bemühe sich gegenwärtig, Ahmed zu einer Korrektur seiner "schockierenden" Entscheidung zu bewegen, hieß es am Freitag. Doch die bisherigen Erfahrungen im Umgang mit der äthiopischen Regierung erlauben kaum Hoffnung.

Hilfe blockiert

Die Ausweisung der sieben UN-Gesandten hatten Äußerungen von UN-Nothilfekoordinator Martin Griffith ausgelöst, der nach einem Äthiopien-Besuch vergangene Woche von einer "De-facto-Blockade" der Bürgerkriegsprovinz Tigray durch Abiy Ahmeds Regierung gesprochen hatte. Sie sei absichtlich geschaffen worden und könne durch "einen Akt der Regierung" wieder aufgehoben werden. Griffith machte die Blockade für die sich zuspitzende humanitäre Lage in Tigray verantwortlich: Dort sollen bereits 400.000 Menschen unter den Bedingungen einer Hungersnot leben, die Rate der Mangelernährung liegt bei über 22 Prozent. "Ungefähr so hoch wie zu Beginn der somalischen Hungersnot 2011", sagte Griffith. Ihr waren fast eine Viertelmillion Menschen zum Opfer gefallen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Martin Griffith hatte von einer "De-facto-Blockade" der Bürgerkriegsprovinz Tigray durch Äthiopiens Regierung gesprochen.
Foto: AP Photo/Mary Altaffer

Die UN-Hilfswerke verfügen in Äthiopien über ausreichende Vorräte an Nahrungsmitteln. Doch die Blockade verhindert, dass die Hilfe in die Provinz gelangt. Um einer Hungersnot vorzubeugen, müssten nach UN-Schätzungen täglich mindestens 100 Lastwagen in Tigray eintreffen. In den vergangenen zweieinhalb Monaten sollen jedoch lediglich 606 tatsächlich in die Provinz gelangt sein, nur 38 kehrten wieder zurück. Dafür verantwortlich wird die akute Treibstoffknappheit in Tigray gemacht: Derzeit stecken offenbar hunderte Lastwagen in der Provinzhauptstadt Mekele ohne Diesel fest. Regelmäßig werden UN-Konvois aber auch an der Grenze zu Tigray von den Sicherheitskräften an der Weiterfahrt gehindert. Und immer wieder schließen Kampfhandlungen aus, dass die Hilfstransporter weiterfahren können.

Bild nicht mehr verfügbar.

Um einer Hungersnot vorzubeugen, müssten nach UN-Schätzungen täglich mindestens 100 Lastwagen in Tigray eintreffen.
Foto: Claire Nevill/WFP via AP

Tigray ist seit drei Monaten von der Außenwelt abgeschnitten. Die Regierung ließ sowohl das Mobilfunknetz wie auch den Zugang zum Internet kappen. Außerdem ist das Bankenwesen in der Provinz zum Erliegen gekommen, weil Addis Abeba kein Geld mehr nach Tigray lässt. Selbst die Stromversorgung ist weitgehend lahmgelegt, Krankenhäuser haben keine Medikamente mehr. Es soll bereits vorgekommen sein, dass Opfern mit Schussverletzungen die Kugeln ohne Narkose aus dem Körper entfernt werden mussten. Reporter, die über die Zustände in der Bürgerkriegsprovinz berichten könnten, werden schon seit Monaten nicht mehr nach Tigray gelassen.

Organisationen des Landes verwiesen

Äthiopiens UN-Mission in New York bezeichnete die Blockadevorwürfe als "grundlos". Internationale Hilfswerke produzierten Geschichten "mit schrecklichen Bildern und gefälschten Vorfällen", beklagte Vizeregierungschef Demeke Mekonnen kürzlich vor der UN-Vollversammlung. In Äthiopien verfolgten die humanitären Organisationen eine politische Agenda. Bereits im August wurden die niederländische Sektion von Ärzte ohne Grenzen sowie der Norwegische Flüchtlingsrat (NRC) des Landes verwiesen. (Johannes Dieterich, 4.10.2021)