Selbst noch so große Kopfhörer sind für manche Männer kein Signal dafür, dass frau nicht reden will.

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Hey du kleine Maus, kommst du heut zu mir nach Haus? Hast du heute keine Unterhose an, du schaust nämlich so aus? Wie viel kostest du, Bärchen? Ich zahl dir ordentlich. Komm schon, kleiner Mann, jetzt hab dich doch nicht so. So hässlich bist du doch gar nicht. Süßer, lächle doch mal für mich. Wohin hast du es denn so eilig? Warte, ich komm mit. Ey, jetzt renn doch nicht so. Bin ich dir etwa zu hässlich, oder was? Bild dir bloß nichts ein! Du könntest wenigstens Danke sagen, weil ich nett zu dir war. Was ist mit dir? Bist du etwa schwul oder was? Hey. Heeey! Deppater Stricher!

Männer kriegen so etwas nicht zu hören. Vielleicht ist es einfach nur das. Seit Jahren wird Catcalling, also das übergriffige, sexualisierte Belästigen von Frauen im öffentlichen Raum, immer wieder problematisiert, aber für Männer scheint das Thema komplett uninteressant zu sein. Einfach, weil es sie nicht betrifft. Betroffene berichten von ihren Erfahrungen, filmen entsprechende Situationen, konfrontieren Täter, bitten um Hilfe, stellen politische Forderungen – nichts.

Nicht so nett, aber auch nicht so schlimm

Catcalling ist das Bündel Tumbleweed, das auf der staubigen, einsamen Straße der männlichen Wahrnehmung von Problemen, die Frauen betreffen, gelegentlich von einer Seite zur anderen gepustet wird. Da hilft es auch nicht viel, wenn man Söhnen zeigt, wie ihre Mütter belästigt werden,

Iris

oder Vätern, wie ihre Töchter auf den Straßen angegangen werden.

Iris

Egal, wie oft es gedreht und gewendet wird, wie viel Aufwand man betreibt, um es in die Köpfe von Männern zu bekommen – ihre Einschätzung dazu bleibt stets dieselbe: Das Ganze ist vielleicht ab und zu nicht so nett und womöglich sogar ein bisschen übergriffig, aber so schlimm nun auch wieder nicht.

Es gibt die Fraktion, die schamlos sexualisiert belästigt und abwertet. Es gibt die Fraktion, die sich darin gefällt, die Aufmerksamkeit von Frauen in öffentlichen Räumen auf sich zu lenken, und sich dabei auch noch für was Besseres hält als die erstgenannte Fraktion. Diese Männer finden sich "geschmackvoll" und "gentlemanlike". Sie "wollen Frauen doch nur ein Kompliment machen". Dafür ziehen sie ihnen in öffentlichen Verkehrsmitteln die Kopfhörer von den Ohren und labern sie endlos voll. "Hey, wie geht’s dir, was machst du hier, du bist voll hübsch." So eklige Sachen wie "diese anderen Arschlöcher" würden sie nie sagen, weil sie nämlich "Frauen respektieren".

Noch nie was mitgekriegt

Darauf angesprochen, dass eine Frau mit Kopfhörern womöglich nicht angelabert werden möchte, sagen sie, dass sie doch nur nett sein wollten und ein freundliches Gespräch gesucht hätten. Wenn sich Frauen darüber beschweren, werfen sie ein, dass Frauen das mögen würden und es immer auf den Mann ankomme. Meistens werden dann irgendwelche gutaussehenden Schauspieler herbeizitiert, über deren "Aufmerksamkeit" Frauen sich voll freuen würden, und damit sei ja wohl klar, wie gemein hier mit zweierlei Maß gemessen werde.

Und dann gibt es natürlich noch die größte Fraktion. Sie beteiligt sich nicht an diesen Formen von Belästigung, kann sie aber auch nicht so richtig ernst nehmen, weil sie davon "noch nie etwas mitgekriegt hat". Fraktionsübergreifend findet Mann, dass Frauen bei der ganzen Sache übertreiben. So schlimm ist es ja nun auch wieder nicht. Damit wir uns hier richtig verstehen: Männer, die sich einreden, dass jede Interaktion eines schwulen Mannes mit ihnen ein Flirtversuch darstellt, und die Sachen sagen wie: "Ich hab nichts gegen Schwule, die sollen mich bloß nicht anmachen!", können sich überhaupt nicht vorstellen, dass Frauen ein derartiges Verhalten übergriffig finden. Das liegt daran, dass sie in einer ganz anderen Welt als Frauen leben.

Nur Gruselgeschichten

In dieser Welt ist es kein vertrautes Gefühl, einen Schlüsselbund in der Faust zu halten. Den ganzen Abend auf seinen Drink zu achten. Eine Partnerin zu erfinden, damit man in Ruhe gelassen wird. Freunden zu sagen, wann man wohin geht, weil ja was passieren könnte. In öffentlichen Räumen ständig den Eindruck von Geschäftigkeit und kommunikativer Überlastung zu erwecken, damit man bloß nicht allein und ansprechbar wirkt. Sich vor Anmachen hinter Kopfhörern als "Bitte nicht stören!" zu verschanzen, nur um sich anschließend von der Polizei anhören zu müssen, dass man sich über sexualisierte Gewalt nicht zu wundern brauche, weil man schließlich "nicht genug aufgepasst hat".

Süßer, du hast keine Ahnung! In deiner und meiner Welt werden Drohungen nicht als Komplimente getarnt. Wir haben auch Frauen nicht gefälligst zur Kenntnis zu nehmen. Wir müssen uns für ihre Interessensbekundungen nicht verfügbar halten. Für uns sind das Gruselgeschichten aus einem Kriegsgebiet, das wir nie betreten haben. Maßlose Übertreibungen. Fake-News.

Wenn Männer endlich aufhören könnten, so eine unfassbare Angst davor zu haben, Frauen nicht zu interessieren, ihnen nichts zu bedeuten und nichts von ihnen zu bekommen, dann würden sie sich vielleicht wirklich für Frauen interessieren und nicht nur dafür, wie und was Frauen für sie zu sein haben. Dann würden sie womöglich aufhören, sie zu bedrohen oder ihre Bedrohungssituation herunterzuspielen. Und zuhören, statt anzulabern. (Nils Pickert, 5.10.2021)