"Entfernung" heißt die neue Länderausstellung in der Gedenkstätte Auschwitz, die nach über 30 Jahren erstmals modernisiert wurde

Foto: Parlamentsdirektion/Wieser

Entfernung: Es ist nicht weit von Wien nach Oświęcim. Knapp über vier Stunden sind es in die polnische Stadt. Gut 390 Kilometer Entfernung. Auch am 17. Juli 1942. Von Wien fährt an diesem Tag der Zug mit etwa 1.000 Menschen ab – direkt in das Vernichtungslager Auschwitz. Dorthin, wo Menschen von den Nazis systematisch ausgelöscht wurden. Bis zu 20.000 Österreicherinnen und Österreicher, die in das Vernichtungslager deportiert und dort ermordet wurden. Mehr als 1,1 Millionen Menschen insgesamt. Aus der Mitte des Lebens gerissen. Menschen, die brutal "entfernt" wurden.

Auschwitz: Der Name steht heute für Elend und Massenmord. Und wurde zum Synonym für den Holocaust.

Neben der ständigen Ausstellung zur Geschichte des Konzentrations- und Vernichtungslagers erzählen heute die sogenannten Länderausstellungen das Schicksal jener Staaten, aus denen Menschen in den Lagerkomplex deportiert wurden. Der Österreich-Teil wurde 19. März 1978 im Block 17 der Gedenkstätte eröffnet – und zeit seines Bestehens nicht verändert.

Doch mit den Jahren wurde die Kritik stetig lauter. Vor allem der Punkt, dass sich Österreich am Gedenkort konsequent in der Opferrolle präsentierte. In den 2000er-Jahren keimten dann die ersten Bestrebungen einer Neugestaltung. Die 2006 begonnenen Untersuchungen und Analysen mündeten schließlich in einen vom Nationalfonds geförderten Projektendbericht. 2009 dann der offizielle Sanktus der Regierung zu einer musealen Neugestaltung. Doch die tatsächliche Realisierung sollte noch zwölf Jahre dauern.

Eröffnung mit Staatsbesuch

Am Montag reiste die versammelte Staatsspitze, allen voran Bundespräsident Alexander Van der Bellen, mit Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) sowie der Zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) und zahlreichen Ministern nach Auschwitz, um die neue österreichische Länderausstellung "Entfernung – Österreich und Auschwitz" zu eröffnen.

Mit der völlig neu gestalteten Ausstellung soll künftig der Opfer in Auschwitz gedacht, aber auch erstmals die Mittäterschaft und Verantwortung von Österreich an den Verbrechen des Nationalsozialismus dargestellt werden. Dabei wird der Bruch zwischen der damaligen Realität von Leben und Sterben in Auschwitz-Birkenau und dem vorher beziehungsweise außerhalb des Lagers geltenden Bezugssystem in Österreich betont.

"Mehr Raum für Reflexion"

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka sagt dem STANDARD, dass mit der neuen Ausstellung "mehr Raum und mehr Möglichkeit der Reflexion geschaffen wurde". Sobotka: "Die Gestalter haben ganze Arbeit geleistet. Es ist der Ausstellungsraum nicht mehr so vollgepfropft." Eine besondere Herausforderung sei vor allem auch der Denkmalschutz gewesen: "Es wurde das Gebäude selbst umfangreich saniert."

Aber die eigentliche Hürde war wohl der neue Zugang zum Thema. Es bedurfte dementsprechend langer Diskussionen, ob man wieder eine neue Opferausstellung schafft – oder eben, wie letztlich beschlossen, bewusst auch die österreichischen Täter in die Ausstellung holt.

Täter aus Österreich

Bundespräsident Alexander Van der Bellen erinnert in seiner Rede, dass "der Rassismus und Antisemitismus nicht vom Himmel gefallen" seien. Van der Bellen: "Auch die Konzentrations- und Vernichtungslager sind nicht vom Himmel gefallen. Auschwitz ist nicht vom Himmel gefallen." Antisemitismus und Rassismus seien in der österreichischen Gesellschaft schon vor dem März 1939 "sehr präsent" gewesen. "Der Boden war bereitet, der Samen gesät – und die Saat ging auf."

Auch wenn Österreich als Staat nicht mehr existierte, sondern als "Ostmark" ein Teil des sogenannten Dritten Reichs gewesen sei, "so waren doch viele Menschen unseres Landes, teils an führender Stelle, unter den Tätern und Täterinnen in diesem Vernichtungsprogramm".

Van der Bellen: "Wir alle kennen die Geschichte, und doch war es lange Zeit Staatsdoktrin, dass Österreich das erste Opfer des Nationalsozialismus sei." Dies habe sich auch in der Ausstellung von 1978 widergespiegelt. "An ihre Stelle tritt jetzt eine Ausstellung, die die Erinnerung an das Schicksal der österreichischen Opfer und den Widerstand von österreichischen Häftlingen wachhalten und zugleich die Involvierung von Menschen unseres Landes als Täter und Täterinnen darstellen soll." Das Staatsoberhaupt mahnte in seiner Rede ein, dass man dem Andenken der Opfer des Holocaust nur gerecht werde, "wenn wir dafür sorgen, dass Menschenverachtung, Sündenbockdenken und Gewalt nie wieder als politisches Instrument eingesetzt werden". (Markus Rohrhofer, 4.10.2021)