Carles Puigdemont vor dem Gericht auf Sardinien.

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Dutzende Menschen feierten den ehemaligen katalanischen Regierungschef Carles Puigdemont, als er am Montag kurz nach 15 Uhr das Gerichtsgebäude in Sassari auf Sardinien verließ. Sie riefen "Freiheit, Freiheit" und schwenkten sardische, korsische sowie katalanische Unabhängigkeitsfahnen. Kurz darauf gab das Gericht das Ergebnis der Verhandlung bekannt: Puigdemont wird erst einmal nicht an Spanien ausgeliefert.

Es ist einmal mehr eine klare Absage an Richter Pablo Llarena vom Obersten Gerichtshof in Madrid. Dieser lässt den Verfechter der Unabhängigkeit für Katalonien per europäischen Haftbefehl suchen. Puigdemont wird in Zusammenhang mit dem am 1. Oktober 2017 gegen den Willen der spanischen Regierung abgehaltenen Unabhängigkeitsreferendum "Aufruhr" und die Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen. Mehrere seiner Mitstreiter wurden dafür zu bis zu 13 Jahren Haft verurteilt und mittlerweile – teils nach Haft – begnadigt.

Warten auf Luxemburg

Die italienische Richterin Plinia Azzena folgte der Staatsanwaltschaft. Diese empfahl, erst einmal abzuwarten, bis der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entschieden habe, ob Puigdemont als Europaabgeordneter Immunität genießt oder nicht. Die endgültige Entscheidung ist damit ohne erneute Ladung aufgeschoben. Puigdemont darf gehen, wohin er will.

Der katalanische Politiker war am 23. September auf dem sardischen Flughafen in Alghero festgenommen worden, als er zu einer Kulturveranstaltung anreiste. Einen Tag später wurde er ohne Auflagen freigelassen. Er verbrachte das Wochenende auf der italienischen Mittelmeerinsel und flog dann nach Belgien zurück, wo er seit 2017 im Exil lebt.

Italien folgt anderen Staaten

Zum Gerichtstermin in Sassari reiste Puigdemont erneut an. Ihn begleiteten zwei seiner ehemaligen Minister, die wie er von Richter Llarena mittels eines europäischen Haftbefehls gesucht werden und in Belgien und Schottland leben. Die italienische Polizei ließ sie dennoch unbehelligt.

Es ist nicht das erste Mal, dass Puigdemont nicht an Spanien überstellt wird. Zuvor hatten bereits die deutsche und die belgische Justiz eine Auslieferung abgelehnt. Die Rechtslage ist seither noch verworrener geworden. Denn Puigdemont ist, ebenso wie seine beiden Mitstreiter, die ihn begleiteten, seit 2019 Mitglied des Europaparlaments. Er war 2019 in dieses Amt gewählt worden, konnte es aber nicht antreten, da er dafür in Spanien – wo man ihn festnehmen würde – angelobt werden müsste. Daher hatte das Europaparlament im März dieses Jahres die Immunität der drei ausgesetzt, doch prüft der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) derzeit noch, inwieweit dies rechtens sei.

Einen Eilantrag auf Rückgabe der Immunität wurde im Juli abgelehnt. Die Richter in Luxemburg hielten sich aber ausdrücklich die Möglichkeit offen, im Falle einer Festnahme einen erneuten Anfrage zur Wiedereinsetzung der Immunität zuzulassen. Die Anwälte Puigdemonts haben eine solchen Antrag vergangenen Freitag gestellt

Puigdemont fordert politische Lösung

"Seit 2017 sind wir mit drei europäischen Haftbefehlen in drei verschiedenen Gerichtsbarkeiten konfrontiert. In keiner von ihnen hat Spanien seine politischen Ziele erreicht", erklärte Puigdemont auf einer Pressekonferenz. Er forderte "eine politische Lösung für einen politischen Konflikt".

Während die spanische Regierung sich bisher ausschweigt, wirft der konservative Oppositionschef Pablo Casado dem Chef der Linksregierung Pedro Sánchez einmal mehr vor, nicht alles zu tun, um Puigdemont habhaft zu werden. Wenn er erst einmal regiere, "werden wir Puigdemont bringen und wenn wir ins letzte Land Europas reisen müssen", erklärte er am Sonntag auf einem Parteimeeting, als gebe es keine rechtsstaatliches Prozedere. Puigdemonts Anwälte nutzen diese Aussage vor der Richterin in Sassari, um den Vorwurf er sei Opfer einer "politischen Verfolgung" zu untermauern.

Die drittstärkste Kraft im spanischen Parlament, die rechtsextreme Partei Vox versuchte in Sassari als Nebenklägerin aufzutreten. Das Gericht lehnte dies – anders als Richter Llarena in Spanien – ab. "Dieses Mal waren wir wirklich in einem Justizpalast und es wurde Recht gesprochen", erklärte Puigdemonts Anwalt Gonzalo Boyé. (Reiner Wandler aus Madrid, 4.10.2021)