Halbwegs munter bei der Präsentation am Sonntag: In den letzten Tagen der Verhandlungen kam die Regierungsspitze kaum zum Schlafen.
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Am Mittwoch, so ist das fast jede Woche, essen Kanzler und Vizekanzler gemeinsam zu Mittag und tauschen sich aus. Es ist der Tag, an dem der Ministerrat stattfindet. Meistens bleiben Sebastian Kurz und Werner Kogler dann gleich im Kanzleramt und führen beim Lunch eines dieser Vier-Augen-Gespräche, für die sonst oft zu wenig Zeit bleibt. Vergangenen Mittwoch ging es dabei um mehr als sonst – oder etwas pathetisch formuliert: Thema war die ökosoziale Steuerreform und damit nicht weniger als der Fortbestand der Koalition.

Bereits seit Monaten wurde über die Steuerreform verhandelt, wegen der geplanten Budgetrede Mitte Oktober drängte die Zeit. Es war klar, dass das türkis-grüne Prestigeprojekt alsbald präsentiert werden muss. Kurz soll Kogler bei diesem Mittagessen noch einmal eingebremst haben: Ein höherer CO2-Preis als in Deutschland komme für ihn und die ÖVP nicht infrage. Im Nachbarland wird man kommendes Jahr bei 30 Euro pro Tonne ankommen – ein Preis, der den meisten Experten deutlich zu niedrig ist.

Und die folgenden Verhandlungstage hatten es dann noch in sich.

Zwischenzeitlich stand das Projekt am Wochenende sogar noch kurz vor dem Scheitern, heißt es aus dem grünen Umfeld. Auch deshalb, weil sich der Kanzler persönlich erst recht spät in die grüne Causa prima eingemischt habe – dann aber so manche Vorstellungen hatte, über die noch zu reden war. Die Verhandlungen liefen Freitag und Samstag Tag und Nacht. Bis zuletzt wurde etwa debattiert, ob der CO2-Preis bei 30 oder 35 Euro starten soll. Es wurden dann 30 Euro ab Juli 2022 – analog zum deutschen Modell.

Beide mussten Federn lassen

Zu Beginn der Verhandlungen vor vielen, vielen Wochen sei die grüne Einstiegsforderung ein CO2-Preis zwischen 80 und 100 Euro gewesen. Da war freilich auch den Grünen klar, dass so viel mit den Türkisen nicht durchsetzbar ist. Doch auch die ÖVP musste schließlich "Federn lassen", wie es ein Grüner nennt: Die Körperschaftssteuer wird – anders als im Regierungsprogramm festgehalten – nicht um vier, sondern nur zwei Prozentpunkte gesenkt. Wobei die ÖVP im Gegenzug einige andere Goodies für diese Klientel – etwa verschiedene Freibeträge – herausverhandeln konnte. Neue Vorteile gibt es auch für Bauern: ein Comeback des begünstigten Agrardiesels sowie eine Förderung für autarke Höfe.

Ansonsten war der Volkspartei die spürbare Entlastung für jene wichtig, "die arbeiten gehen". Die Grünen konnten hineinverhandeln, dass auch Arbeitslose und Mindestsicherungsbezieher den Klimabonus bekommen. Kurz sei hier zuerst strikt dagegen gewesen. Schlussendlich sagen aber beide Seiten: Die Positionen waren schwer vereinbar, und dafür verliefen die Verhandlungen professionell und eigentlich gut. Die "Achse Kurz– Kogler" funktioniert, hört man aus dem Kanzleramt. Es sei vor allem Finanzminister Gernot Blümel gewesen, mit dem die Hauptarbeit erfolgt sei, sagen Grüne.

Zum Abschluss der Sekt

Die Nacht von Samstag auf Sonntag haben die halbe Regierung plus ihrer wichtigsten Mitarbeiter dann durchgemacht – also verhandelt bis zum Schluss. Irgendwann zwischen fünf Uhr morgens und halb acht war alles im Kasten, da verschwimmen die Erinnerungen. Quasi zum Frühstück sei dann aber noch eine Flasche Sekt entkorkt worden – für alle, die nicht zur Pressekonferenz mussten.

Aber haben die Grünen genug erreicht, um ihre Rolle in der Koalition mit der ÖVP zu rechtfertigen?

Ökonomen wie Umweltgruppen halten den CO2-Preis von anfänglich 30 Euro pro Tonne für zu gering, um die Menschen zum Umstieg auf Öffis oder klimafreundliche Heizungen zu bewegen. Das zentrale Gegenargument der grünen Führungsriege lautet: Entscheidend sei, dass der Einstieg gelungen ist. Österreich werde auch dann nicht mehr von der Ökosteuer zurückkönnen, sollten die Grünen einmal aus der Regierung fliegen.

Jeder hat "mehr herausgeholt"

Großer Wermutstropfen ist für die Ökos die Beibehaltung des sogenannten Dieselprivilegs, des Steuervorteils für Diesel. Dass sich "die ÖVP trotz unbestreitbarer Fakten keinen Millimeter bewegt" habe, sei "unverständlich und enttäuschend", ließ der grüne Nationalratsabgeordnete Hermann Weratschnig ausrichten. Nicht gelungen ist dem kleinen Koalitionär auch, die Pendlerpauschale so zu reformieren, dass sie nicht von unten nach oben umverteilt. Da hingen zu viele Interessen daran, um das auch noch zu stemmen, heißt es.

Für falsch halten die Grünen eigentlich auch das Konstrukt des Familienbonus, das Besserverdiener begünstigt – erhöht wird das populäre Modell dennoch. Immerhin wird aber auch der als Kompensation für Kleinverdiener gedachte Mehrkindbetrag ausgebaut, dazu kommt eine Senkung der Krankenversicherung.

Schlussendlich, hört man aus Verhandlerkreisen, habe es bei den Grünen zwei Fraktionen gegeben: die "Ökologie-Orientierten" und die "sozial Orientierten". Durchgesetzt habe sich eher die zweite Gruppe. Auf Führungsebene sind bei ÖVP wie Grünen aber alle überzeugt: Die eigene Partei hat immerhin mehr herausgeholt als deren Koalitionspartner. (Katharina Mittelstaedt, Gerald John, Oliver Das Gupta, 4.10.2021)