Die Historikerin Andrea Komlosy gestaltete das Programm.

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Wien – In den sozialen Medien sorgt die Ringvorlesung "Corona – eine transdisziplinäre Herausforderung" schon seit Tagen für Kontroversen: "Aufklärung hat verloren", kommentierte etwa der Poster Derford auf Twitter die von 7. Oktober bis 27. Jänner an der Uni Wien stattfindende Veranstaltung.

Anlass für die Kritik ist, dass einige der zehn Online-Vorlesungen von Referentinnen und Referenten bestritten werden sollen, die äußerst kritisch zu den ergriffenen Corona-Maßnahmen stehen. Sie schätzen die Gefahren durch die Seuche geringer ein und beurteilen dafür die Schäden durch die Schritte, die gesetzt wurden, um ein weiteres Um-sich-Greifen von Infektionen zu beschränken, als weit dramatischer.

Referentenauswahl "kein Thema des öffentlichen Interesses"

Organisiert wird die Veranstaltungsreihe von Andrea Komlosy, Historikerin am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Uni Wien. Auf eine Mail-Anfrage des STANDARD antwortete sie, dass sie "die Auswahl meiner Gastreferenten und -referentinnen einer Ringvorlesung für kein Thema des öffentlichen Interesses" halte.

Es handle sich um ein "breites Spektrum von Ansätzen und Positionen", schreibt Komlosy. Zu Semesterbeginn habe sie zudem "wahrlich anderes zu tun, als Social Media zu beobachten".

Sönnichsen: "Ins rechte Eck geschoben"

Mit dabei ist zum Beispiel Andreas Sönnichsen, Professor für Public Health an der Med-Uni Wien. Er ist auch Teil des Ringvorlesungs-Vorbereitungskomitees. Im Oktober 2020, als sich die zweite Covid-19-Welle aufbaute, forderte er zusammen mit mehreren anderen Medizinern ein Ende aller Seuchen-Eindämmungsmaßnahmen.

In der Folge distanzierte sich die Med-Uni Wien von seinen "persönlichen Ansichten und Aussagen zum Thema Corona-Infektion". Das Problem sei, "dass heute jeder, der sich Corona-kritisch äußert, ins politisch rechte Eck geschoben" werde, worauf man sich von ihm distanziere, sagte Sönnichsen zum STANDARD.

Netzwerk Wissenschaftsfreiheit

Als Vortragende sind darüber hinaus der Medienforscher an der Uni München, Michael Meyen, sowie der Arzt für ganzheitliche Medizin, Christian Schubert von der Med-Uni Innsbruck*, geplant. Beide sind Mitglieder des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit, eines Sammelbeckens für Kritiker und Kritikerinnen einer angeblich um sich greifenden akademischen Cancel-Kultur, etwa durch die Genderforschung.

Das macht eine andere als Vortragende vorgesehene Wissenschafterin hellhörig. Birgit Sauer, Professorin für Politikwissenschaften an der Uni Wien, kritisiert das Naheverhältnis des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit zu antifeministischen und rechtspopulistischen Positionen, Letztere unter anderem in Corona-Fragen. Sie will das Gespräch mit Organisatorin Komlosy suchen.

Komplexitätsforscher Thurner sagte ab

Bereits zu einem Schluss gekommen ist ein weiterer noch als Referent angeführter Wissenschafter. Er nehme an der Ringvorlesung doch nicht teil, sagt Stefan Thurner vom Complexity Science Hub Vienna. Grund dafür: "Ich hatte mich vorab nicht gründlich genug mit dem Umfeld beschäftigt." Zwar sei ein Diskurs mit kontroversen Positionen nötig, aber: "Es muss sich um Positionen handeln, die auf Wissenschaft fußen." (Irene Brickner, 4.10.2021)