Die Loire-Schlösser, diese märchenhaften Renaissancebauten mit ihren Tanzsälen, Gemäldegalerien und Baldachinbetten, mit ihren fein geknüpften Tapisserien, den intarsiengearbeiteten Sekretären und verzierten Kassettendecken – all das lassen wir dieses Mal links liegen.

Auf einer viertägigen Fahrradtour längs der Loire wollen wir endlich einmal den Fluss selbst und sein Umland in den Blick nehmen – also all das, was bei einer Busfahrt von Schloss zu Schloss gerne übersehen wird.

Die Schlösser kann man an der Loire ruhig einmal links liegen lassen.
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Im Loire-Tal ist man nun schon seit geraumer Zeit bemüht, den Druck des Overtourism, sprich: der Besuchermassen, rund um die Schlösser abzumildern und "Slow Tourism"-Alternativen bereitzustellen. Immer mehr Menschen, die an und von der Loire leben, arbeiten nachhaltig und bieten entsprechende Aktivitäten an. Einer von ihnen ist der Fahrrad- und Wanderführer Grégoire Paquet, mit dem wir von Tours nach Villandry – Sitz des gleichnamigen Renaissanceschlosses – radeln.

Großteils unreguliert

"Die Loire ist einer der letzten wilden Flüsse Europas", sagt er. Das stimmt nicht ganz, denn im oberen Verlauf gibt es Regulierungen wie den Stausee von Villerest und den Damm von Lapalisse. Aber der größte Teil ist tatsächlich unreguliert, und das bedeutet: schöne uneingehegte Ufer mit Sandbänken und Aulandschaften, die bei Hochwasser als Entlastungsgerinne dienen, sowie häufig sich ändernde Pegelstände. Durch angeschwemmten Treibsand bilden sich auch zahlreiche Loire-Inselchen, die wieder verschwinden, sobald der Sand fortgerissen wird.

Wir sind im Umkreis der Städte Tours und Blois unterwegs und fahren somit nur einen Bruchteil des 900 Kilometer langen, gut ausgeschilderten Radwegs "Loire à Vélo". Aber hier bekommen wir das Hinterland der Loire abseits der großen Verkehrsrouten zu sehen: die von Charles Trenet besungene "douce France", also das liebliche, abgelegene Frankreich, wo das Leben noch gemächlicher fließt. Ein Rhythmus, der gut zu der kontemplativen Stimmung passt, in die man durch mehrstündiges Radeln kommt – vorausgesetzt, man hat ein bequemes E-Bike.

Feld und Freude

Auf einfachen Wegen gelangen wir nach Bréhémont, wo Ambroise Voreux und Romain Gadais, zwei junge Leute von 32 und 25 Jahren, gemeinsam das Fischrestaurant La Cabane à Matelot betreiben. Ambroise ist für die Küche zuständig, Romain für den Fisch. Er ist der einzige Berufsfischer der Gegend, sein behördlich zugewiesenes Revier reicht bis Saumur, 34 Kilometer westlich: "Die Loire ist mein Feld für die Ernte, aber auch meine Freude. Das Licht ist jeden Tag anders und somit die Farben. Auch der Wasserstand ändert sich von Tag zu Tag und dadurch die Menge und Zusammensetzung meines Fangs. Daher können wir nie im Voraus sagen, was auf die Speisekarte kommt."

Es sind jedenfalls gut 40 Arten, die Romain ins Netz gehen können, darunter Aale, Krabben, Welse, Döbel, Barben. Einige, wie die Meeräschen und die Maifische, kommen vom Atlantik stromaufwärts geschwommen.

Die Loire ist überraschend ungezähmt und ein wilder, aber seichter Fluss.
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Auf die Nachhaltigkeit des Fischfangs angesprochen, ergänzt Ambroise: "Wir schauen darauf, die Entnahmen und die natürliche Erneuerung des Bestands im Gleichgewicht zu halten. Und wir fischen in traditioneller Weise mit Netzen und Angel." Auch Regionalität ist in der Cabane kein leeres Wort. Das Lokal – eine frühere Herberge für Schiffsleute – steht direkt am Loire-Ufer.

Schifffahrt

In Chaumont besuchen wir nicht das mächtig auf einem Hügel sitzende Schloss, das die Gebäudereihe unterhalb wie Zwergenhäuschen wirken lässt, sondern steigen auf ein Boot. Immerhin wird auf der Loire seit den Zeiten der Gallier Schifffahrt betrieben.

Romain Montbrun ist einer der Bootsführer des Vereins Millière Raboton, der in Chaumont diese Tradition auferstehen lässt. Bei Romains Ausflügen wird einfach, aber gut gepicknickt, und er zeigt den Passagieren Reiher, Biber und Otter – sofern diese sich zeigen. Auf Wunsch kann man mit ihm auch auf einem der Inselchen samt Lagerfeuer biwakieren.

Die gut zehn Meter langen und mit Segeln ausgestatteten Ruderboote sind Nachbauten jener, die bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts auf der Loire unterwegs waren, ehe der Bau der Eisenbahn dem ein Ende machte. "Wir wollen dieses Erbe bewahren. Der einzige Unterschied zu damals ist ein Bordmotor", sagt Romain.

Es sind ausgesprochen flache Boote, denn die Loire war immer schon seicht. Aber seit durch die Bauindustrie massiv Sand des Flussbetts abgetragen wurde, ist sie so flach, dass man im Sommer an vielen Stellen durchwaten könnte.

Die Loire kann entlang eines 900 Kilometer langen Radwegs erkundet werden – oder mit historischen Booten.
Foto: CRT Centre-Val de Loire / D. Darrault

Kommerzieller und touristischer Schiffsverkehr ist daher auf der Loire unmöglich, was ja auch sein Gutes hat. So öffnen sich ungetrübte Blicke auf den längsten Fluss Frankreichs. Ruhig ist er dennoch nicht unbedingt, eher im Gegenteil. Wegen der vielen Strudel ist das Schwimmen nur an wenigen markierten Stellen erlaubt.

Grüne Sterne

Bei Christophe Hay würde man die ökologische Ausrichtung seines Betriebs nicht auf den ersten Blick vermuten – auch wenn vor der Tür des Restaurants Maison d’à Côté sein Hybrid-Maserati steht. Der Mittvierziger, ein Bocuse-Schüler, war 2019 Koch des Jahres, seit langem verteidigt er 18 Gault Millau-Punkte und zwei Michelin-Sterne.

Sein Lokal ist auch unter der Woche um die Mittagszeit voll und von Gästen aus der Stadt bevölkert. Woher kommen die alle in die kleine Ortschaft namens Montlivault? "Viele von weit weg – man nimmt eben einiges auf sich, um uns zu besuchen", sagt Hay, der seine Maison nach grünen Gesichtspunkten führt.

"Gemüse und Kräuter kommen aus unserem Gemüsegarten im Ort", erklärt der Koch. "Mein Chefgärtner und ich beleben aber auch alte heimische Sorten wie die violette Sellerie und die Sucrin-Melone aus der Touraine wieder. Alle Fische stammen freilich ausschließlich aus der Loire. Mein Grundsatz ist: Alles, was bei uns auf die Teller kommt, muss in einem Radius von 50 Kilometern leben." Da das beim Rindfleisch nicht möglich war, hat Hay auch hier kurzerhand eine eigene Produktion aufgezogen. Seither gibt es an den Ufern der Loire 60 Angusrinder zu bestaunen. (Harald Sager, RONDO, 8.10.2021)