Aktuell starte ich als Nachhilfelehrer in das dritte Schuljahr in dieser Pandemie. Vieles wurde in unserer Zunft während dieser Zeit auf den Kopf gestellt. Umgekehrt konnten sich viele neue Chancen erst dadurch ergeben. Unterm Strich: Es ist unser Job, die passende Unterstützung unseren Kunden und Kundinnen zuteilwerden zu lassen. Und dieser Kernaufgabe stand auch diese Pandemie nicht im Weg.

Ein Punkt ist für mich allerdings neu wie auch fragwürdig: Das Aufsteigen via Corona-Klausel. Es geht also um den Eingriff der Politik in die Leistungsbeurteilung.

Erhebliche Stofflücken

Für mich als Praktiker stellte sich die Situation recht einfach dar: Ein Nicht genügend im Schuljahr 2019/20 wurde durch die Covid-19-Schulverordnung „ausgehebelt“ und dem Aufstieg stand nichts mehr im Wege. Und das Schuljahr 2020/21 lief nochmals so ab. Natürlich stehe ich jetzt zwischen den Stühlen: Auf der einen Seite bin ich ja kein Unmensch und gönne allen ihren Aufstieg ins nächste Schuljahr. Auf der anderen Seite kann ich als professionelle Unterstützungseinheit und beruflich-bedingter Erbsenzähler im „Nachhilfe-Nummer-1-Fach“ Mathematik nicht darüber hinwegsehen, dass nun ein serielles Augen-zu-und-durch-Aufsteigen für einige Schüler und Schülerinnen erhebliche Stofflücken mit sich gebracht hat.

Ich habe in meinem Institut nun ein paar dieser „Schicksale“ im Fach Mathematik kennengelernt. Das klassische Muster lässt sich leicht skizzieren. Das Absolvieren des Schuljahres 2019/20 wurde durch ein quasi geschenktes Rest-Semester anlässlich des ersten Lockdowns massiv erleichtert. Und dann ermöglichte die Corona-Klausel ein Weiterkommen trotz eines Nicht genügend im Schuljahr 2020/21. Schlussendlich fehlen bis zu zwei Schuljahre, was Schüler und Schülerinnen mit erheblichen Lücken zurücklässt. Diese werden aber erst im Laufe des aktuellen Wintersemesters spürbar, wenn die Schularbeiten in den siebenten und achten Klassen zu einem großen Teil alten Stoff abfragen.

Besonders in der Oberstufe im Fach Mathematik hört sich der Spaß auf, diese enormen Stofflücken schließen zu müssen. Für mich stellt sich auch die Frage, inwieweit diese politische Entscheidung der Corona-Klausel irgendwas besser oder einfacher gemacht hat oder nur zur Besänftigung des elterlichen Wahlvolkes beizutragen hatte.

War die Corona-Klausel überhaupt notwendig?
Foto: istockphoto.com/de/portfolio/LouwCinematics

Eine andere Leistungsbeurteilung?

Zurück zu den Stofflücken: Wer wird sie schließen? Die Schule? Die Schülerinnen und Schüler selbst? Wir Nachhilfelehrer und -lehrerinnen? Besonders in den höheren Schulstufen reicht die Unterrichtszeit schon jetzt nicht aus, um den planmäßigen Stoff zu unterrichten, zu festigen, zu üben und vernetztes Denken für die Grundkompetenzen zu fördern. Wann soll jetzt auch noch früherer Stoff wiederholt und geübt werden, damit auch die zuvor beschriebenen „Schicksale“ erreicht werden? Damit bleibt es wahrscheinlich bei den klassischen Mitteilungen an die Eltern, dass das Kind „sich noch dieses und jenes Thema nochmal genauer anschauen müsste“. Wohl niemand wird als Lehrkraft unbezahlt Zusatzstunden anbieten. Ob die Fördermillionen von Minister Heinz Faßmann jetzt wohl treffsicher(er) ankommen?

Zurück nun zur sogenannten Corona-Klausel: Warum war diese überhaupt notwendig? Keine Frage, der Unterricht wurde seit März 2020 ein paar Mal ordentlich durchgeschüttelt und ein holpriger Online-Unterricht war besser als gar keiner. Aber meiner Meinung nach war trotzdem genug Möglichkeit zur Leistungsbeurteilung gegeben, um fair und gerecht, also im Verhältnis zum Klassenverband, Noten zu vergeben.
Da es nach dem ersten Lockdown im Sommersemester 2020 keine Schularbeiten mehr gab, zählten dafür plötzlich Mitarbeit, Hausübungen und Kompetenzchecks. Alle hatten daher eine gute Chance, das Schuljahr positiv abzuschließen. Wer diese Minimalanforderungen nicht erbrachte, hätte einfach ein reguläres Nicht genügend bekommen können, dessen Ausbessern mittels regulärer Nachprüfung dann ja möglich gewesen wäre. Da das österreichische Schulsystem sich seit jeher in keinster Weise für das Lernen und Vorbereiten auf die Nachprüfung(en) interessiert, wäre auch trotz Pandemie eigentlich alles beim Alten geblieben, oder?

Und zu guter Letzt müssen wir auch einen Blick auf die betroffenen Schüler und Schülerinnen werfen. Auf welches Fundament sollen sie nun das aktuelle Schuljahr bauen? Wer wird sich um sie kümmern? Und inwieweit sind diese sogenannten „Leistungsprognosen“ bei Klassenkonferenzen überhaupt aussagekräftig, sodass sogar ein Aufstieg bei zwei Nicht genügend mittels normaler Aufstiegsklausel zusätzlich zur Corona-Klausel überhaupt gerechtfertigt werden kann? Ich bin gespannt. (Rainer Saurugg, 8.10.2021)

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