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Vor zwei Jahren wurde Luke Mockridge als bester Komiker beim deutschen Comedypreis 2019 ausgezeichnet. Dieses Jahr war er der Elefant im Raum.

Foto: dpa/Henning Kaiser

Es war ein kleiner und später Funken an Kritik, der vergangenen Freitag bei der Verleihung des deutschen Comedypreises in Köln die Ehrenrettung der Veranstaltung übernahm. Die Kabarettistin Maren Kroymann wurde für ihr Lebenswerk ausgezeichnet und sprach bei ihrer Rede am Ende der Gala den Elefanten im Raum an. "Ein Kollege von uns hat Übergriffe gemacht, und eine junge Kollegin hat das gesagt." Einen Namen musste sie nicht nennen, denn er war allen Teilnehmenden bekannt: Seit Monaten sorgen Vorwürfe der sexuellen Nötigung gegen den Comedian Luke Mockridge für Diskussionen.

Maren Kroymann solidarisierte sich in ihrer Rede beim deutschen Comedypreis mit den Opfern sexueller Gewalt: "Ich hätte gerne gehabt, dass Verantwortliche hier für diesen Preis und auch von dem Sender die Eier gehabt hätten zu sagen: Wir solidarisieren uns nicht nur mit unserem beliebten Künstler, sondern mit den Frauen, die betroffen sind."
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Begonnen hatten die Anschuldigungen ursprünglich nicht öffentlich, oder zumindest nur teilweise: Mockridges Ex-Freundin, die deutsche Podcasterin und Komikerin Ines Anioli, hatte im April 2019 in ihrem Podcast "Besser als Sex" von Erfahrungen mit toxischen Beziehungen erzählt. Dabei ging sie auch auf einen Vorfall mit einem nicht näher genannten früheren Partner ein, der an einem Abend sexuell übergriffig geworden sei und ihre Grenzen wiederholt nicht respektiert habe.

Erst viel später, im Frühjahr 2021, bekam der Fall öffentliche Beachtung. Fans von Anioli dürften die toxische Beziehung schon länger mit Mockridge verknüpft haben, auch innerhalb der Kölner Entertainmentszene, mit der sowohl Mockridge als auch Anioli verbunden sind, war einigen besagter Vorfall bekannt. Und die Diskussion landete – ohne Zutun der eigentlichen Protagonisten Mockridge und Anioli – im Netz: Der Hashtag #KonsequenzenFürLuke trendete tagelang auf Twitter. Unterstützer*innen von Anioli verbreiteten den Ausschnitt aus dem Podcast und forderten, dass Opfern sexueller Belästigung Gehör verschafft werden müsse, andere pochten hingegen auf die Unschuldsvermutung und orteten eine Vorverurteilung des bekannten Comedians.

Aussage gegen Aussage?

Sogar die Staatsanwaltschaft hatte sich in der Zwischenzeit mit dem Fall beschäftigt: Anioli hatte Mockridge noch 2019, nach dem Ende der Beziehung, wegen des Versuchs sexueller Nötigung angezeigt, die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen 2020 allerdings nach zahlreichen Befragungen ein, wie der "Spiegel", der Akteneinsicht erhielt, schreibt. Die Chancen auf einen Erfolg Aniolis waren gering, im Prozess wäre Aussage gegen Aussage gestanden.

Dass die Empörung über Mockridge dennoch nicht abreißt, liegt nicht nur an den Emotionen, die in Auseinandersetzungen auf Social Media hochkochen. Für viele ist der Fall ein Aushängeschild dafür, wie viel sich bekannte Persönlichkeiten erlauben können und dass sich die Unterhaltungsbranche noch immer hinter Beschuldigte stellt, wenn diese beliebt und mächtig genug sind – #MeToo hin oder her. Überdies dürfte Anioli nicht die einzige Frau sein, die übergriffige Erfahrungen mit Mockridge gemacht hat. Der "Spiegel" berichtete Ende September von mehr als zehn weiteren Frauen, die anonym Begegnungen mit ihm geschildert hätten, in denen er etwa einer ihm fremden Frau an den Hintern gefasst oder eine andere dazu gedrängt habe, ihn zu küssen. Auch eine weitere Ex-Freundin von Mockridge erzählte davon, dass er kein Nein akzeptiere und sich ihr gegenüber oft aggressiv verhalten habe. Die Aussagen der Frauen "zeichnen das Bild eines Mannes, der sich nicht im Griff hat", schreiben die "Spiegel"-Autorinnen.

"Vorwürfe haben niemanden überrascht"

Mockridges Verhalten dürfte auch in der Kölner Comedybranche kein Geheimnis sein. Zwar haben sich nur wenige seiner Kolleg*innen in der Causa zu Wort gemeldet. Dennoch: "Die Vorwürfe haben niemanden in der Szene überrascht", meint Komiker Thomas Spitzer, der mit seiner Frau, der Schweizer Kabarettistin Hazel Brugger, ebenfalls in Köln lebt. "Es ist das eine, Geschichten über jemanden gehört zu haben. Aber das andere, ganz viele Geschichten gehört zu haben, die alle ein stimmiges Bild ergeben", erklärt er in einer Folge seines Podcasts "Good Vibes Only", in der er die Anschuldigungen gegen Mockridge einordnet. Als einer der wenigen Prominenten, die sich öffentlich auf die Seite Aniolis gestellt haben, habe er zudem Zuschriften von vielen weiteren Betroffenen erhalten, die von rücksichtslosem Verhalten Mockridges berichten.

Spitzer, der gemeinsam mit Brugger zum Comedypreis in T-Shirts mit der Aufschrift "Konsequenzen für Comedian XY" erschien, sieht in der Causa Mockridge nicht einen Einzelfall, sondern einen "Medienskandal". Denn er sieht, wie viele andere Aktivist*innen und Unterstützer*innen von Anioli, die Unterhaltungsbranche in der Verantwortung, Opfern Gehör zu schenken. Produktionsfirmen, Manager, Agenten, Anwälte und TV-Sender hätten aber vielmehr versucht, die Vorwürfe zu vertuschen, meint Spitzer. Betroffenen und auch mehreren Journalist*innen sei etwa von Mockridges Anwälten eine Anzeige über zweistellige Millionenbeträge angedroht worden, wenn sie sich äußern sollten. Tatsächlich berichtet auch der "Spiegel" von solchen Drohungen. Dabei gehe nicht es darum, Einzelpersonen an den Pranger zu stellen, sondern den Finger in die Wunde von Strukturen zu legen, die sexuelle Gewalt ermöglichen oder sogar begünstigen, schrieb der Komiker nach der Verleihung auf Twitter.

Mockridge verlängerte Auszeit

Mockridge selbst meldete sich lange nicht zu Wort, veröffentlichte jedoch im August nach Monaten, in denen #KonsequenzenFürLuke immer wieder hochkochte, ein Video auf seinem Instagram-Kanal. Darin sprach er davon, dieses Jahr nicht mehr aufzutreten und seit ein paar Monaten professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, um die Vorwürfe zu verstehen. Unter dem Beitrag solidarisierten sich bekannte Kollegen wie Oliver Pocher mit dem Künstler. Einen Monat später, nach der "Spiegel"-Recherche, die auch die Vorwürfe anderer Frauen veröffentlichte, sagte Mockridge alle Sat.1-Shows für 2022 ab, um seine Auszeit zu verlängern. Sein "Haussender" Sat.1 hatte Mockridge kurz zuvor – nach seiner ersten Videostellungnahme – als Moderator für mehrere Shows angekündigt.

Ob die verlängerte Auszeit von Sat.1 unterstützt oder sogar angeordnet war, ist nicht bekannt. Auch beim deutschen Comedypreis, der von Sat.1 übertragen wurde, machte der TV-Sender noch sehr kurzfristig, nämlich einen Tag vor der Verleihung, einen Rückzieher: Die Netflix-Serie "ÜberWeihnachten" mit Mockridge in der Hauptrolle war nicht länger nominiert. "Aufgrund der öffentlich geführten Diskussionen" hätten sich Veranstalter, Sat.1, Netflix sowie Mockridge auf den Rückzug geeinigt, um die Beteiligten aus Cast und Crew zu schützen, hieß es in einer Presseaussendung. Der Comedian selbst blieb der Verleihung fern.

Das perfekte Opfer sein

Ines Anioli wiederum hat sich wie Mockridge öffentlich kaum zu den Vorwürfen geäußert und auch nur indirekt auf die Statements des Comedians reagiert. Sie berichtete etwa von zahlreichen Hassnachrichten, die sie nach seinen Stellungnahmen erreicht hätten. In einer Instagram-Story kritisierte sie daraufhin den Umgang vieler mit von sexueller Belästigung Betroffenen: "Dass eine gewisse Gruppe von Menschen sich das Recht herausnimmt zu beurteilen, wie sich Betroffene zu verhalten haben, [...] das ist einfach nicht richtig." Sie meinte weiter: "Als mir das passiert ist und als mir das bewusst geworden ist, habe ich mir 24/7 Gedanken darüber gemacht, wie ich das perfekte Opfer bin."

Für Aktivist*innen zeigt der Fall Mockridge, dass #MeToo in Deutschland nicht viel verändert hat. So schreibt etwa die Autorin Margarete Stokowski in ihrer Kolumne im "Spiegel": "Könnten Sie zehn berühmte Männer in Deutschland nennen, die wegen Fällen von Belästigung oder Vergewaltigung seitdem ihren Job verloren haben, öffentlich gecancelt wurden, richtig tief gefallen sind? Ich auch nicht." Mockridge selbst denkt offenbar nicht an eine Auszeit für immer. Die Ankündigung in seiner Stellungnahme beendete er mit "Wir sehen uns wieder. Euer Luke". (Davina Brunnbauer, 6.10.2021)