Dolly Parton wurde in armen Verhältnissen in den US-amerikanischen Südstaaten geboren.

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Dolly Parton sieht aus wie eine Sexarbeiterin Mitte des vergangenen Jahrhunderts. "Ich dachte, sie sieht wunderschön aus", sagte Parton über eine solche Frau aus ihrer Heimatstadt, die auf sie als Kind großen Eindruck gemacht hat, "weil sie diesen Haufen blonder Haare, roten Lippenstift, Nägel und Wangen und hohe Schuhe hatte." Diese Geschichte ist bezeichnend für Parton, denn hinter der Anekdote steckt mehr als nur eine lustige Geschichte.

Andere Mädchen hätten Filmstars als Vorbild gehabt. Nicht aber Parton. Sie wuchs als viertes von zwölf Kindern auf. "Dirt Poor" nennt Parton ihre damaligen Lebensverhältnisse heute. Ihr Vater soll den Arzt, der sie auf die Welt gebracht hat, mit Mehl bezahlt haben. Im Gegensatz zu besser situierten Altersgenossinnen konnte sich ihre Familie keine Kinobesuche leisten. Als sie erzählt habe, dass sie so aussehen wolle wie die Sexarbeiterin, hätten die Leute gelacht und gesagt, dass die Frau "Trash" sei. "Und ich dachte, das will ich sein, wenn ich groß werde: Trash", sagte Parton.

Offenheit über kosmetische Eingriffe

Und sie sollte diesen Look – blonde, toupierte Haare, starkes Make-up, lackierte Nägel und hohe Schuhe – bis heute nicht ablegen, obwohl sie mittlerweile weit entfernt ist von "Dirt Poor". Vielmehr hat Parton aus ihrem Aussehen mittlerweile einen Teil ihrer erfolgreichen Marke gemacht. Dass sie ihre überzeichnete Weiblichkeit selbst nicht ganz so ernst nimmt, gehört ebenfalls zu ihrer Brand. So hat sie öfter über ihre Teilnahme an einem Dolly-Parton-Ähnlichkeitswettbewerb für Drag Queens gesprochen. Dass sie den Wettbewerb verlor, nimmt sie sportlich und lobt die Kostüme der anderen Teilnehmer*innen.

Mit der Zeit unterzog sich Parton auch Schönheitsoperationen. Ein Thema, über das der Star offen in Medien sprach, als Body-Positivity noch ein Nischenthema war. Als 2003 Talkshow-Host Oprah Winfrey sie fragte, ob sie Eingriffe hat vornehmen lassen, antwortete Parton in ihrem charakteristischen Südstaaten-Singsang: "Ja, hatte ich. Und ich werde noch mehr haben, wenn ich sie brauche."

Tausende Lieder komponiert

Doch Partons Erfolg fußt nicht nur auf einem einzigartigen Aussehen und gutem Schmäh. Sie ist vor allem arbeitsam. Die Musikerin hat rund 3.000 Lieder komponiert, darunter Hits wie "Coat of Many Colors", "Jolene" und "I Will Always Love You". Die beiden letztgenannten Lieder hat Parton übrigens am selben Tag geschrieben. Allein für ihre Arbeit in der Musikindustrie erhielt sie zahlreiche Preise, darunter elf Grammy Awards und zwei Oscar-Nominierungen für Filmmusik.

DollyPartonVEVO

Nur die Musik für Filme beizutragen war Parton irgendwann nicht genug. Sie spielte in Komödien wie "Warum eigentlich … bringen wir den Chef nicht um?" und "Das schönste Freudenhaus in Texas" mit. In "Magnolien aus Stahl" spielte sie auch im Drama-Genre.

Politisch äußerte sich Parton in all den Jahrzehnten ihrer Karriere selten direkt. Selbst auf die Frage, ob sie Feministin sei, ließ sie sich jahrelang nicht festnageln. Erst 2020 sagte sie in einem Interview: "Ich schätze, ich bin Feministin, wenn ich glaube, dass Frauen alles tun können sollten, was sie wollen." Dabei durchzieht all ihre Werke ein Thema: der Kampf von Underdogs in einem unfairen System.

Morddrohungen vom Ku-Klux-Klan

Der eingängige Song "9 to 5" handelt etwa davon, wie schwierig das Arbeitsleben als kleinstes Rädchen ist. "Coat of Many Colors" dreht sich um ihr Aufwachsen in Armut. Mit dem Lied "Down From Dover" schrieb Parton 1970 ein melancholisches Stück über eine junge Schwangere, die auf die Rückkehr ihres Partners wartet. Sie hofft, dass er zurückkehrt, bevor die Schwangerschaft sichtbar wird. Denn: Die Protagonistin fürchtet, von ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden. Doch ihr Partner kehrt nicht zurück. Ihre Familie verstößt sie. Sie bekommt das Baby allein im Krankenhaus – es ist eine Totgeburt. "Es ist eins meiner besten Lieder", sagte Parton später über den Song, der nicht im Radio gespielt wurde. Nicht wegen des toten Kindes weigerten sich die Radiostationen, sondern weil das Mädchen schwanger geworden ist, ohne verheiratet zu sein.

Jeff Pike

Mit "Travelin' Thru" schrieb und sang Parton ein Lied für den Film "Transamerica". Dass es in dem Film um eine Transfrau geht, die bei einem Roadtrip eine Beziehung zu ihrem entfremdeten Sohn aufbaut, kam nicht bei allen Dolly-Parton-Fans gut an. Parton erhielt für ihre Mitarbeit an dem Film sogar Morddrohungen. Für sie nicht das erste Mal: Der Ku-Klux-Klan hatte sie bereits bedroht, weil sie in ihrem Vergnügungspark Dollywood einen Gay Day veranstaltet hatte. Selbst hier positionierte sich Parton öffentlich nicht klar. "Ich will mich nicht erklären. Ich liebe alle", sagte sie stattdessen zu den Drohungen – und veranstaltete weiterhin den Gay Day. Der Vergnügungspark, der sich um Partons Leben, Arbeit und Lieder dreht, ist kein reines Egoprojekt. Vielmehr hat die Entertainerin mit dem Dollywood einen der größten Arbeitgeber in ihrer Herkunftsregion Sevier County aufgebaut.

"Blondes have more fun"

Wie ihr politisches Handeln sind auch Partons Wohltätigkeitsbemühungen stark mit ihrer Herkunft verknüpft. Ihr eigener Vater habe hart gearbeitet, aber nicht lesen und schreiben können. Partons Projekt "Dolly Parton's Imagination Library" schickt teilnehmenden Kindern deshalb von ihrer Geburt bis zum Kindergarten monatlich kostenlos ein Buch. Wie auch beim Vergnügungspark handelt es sich hier nicht um ein Projekt, das ihre Eitelkeit bedienen soll. 2018 hat die Organisation ihr 100.000.000. Buch gespendet.

Und dann wäre da noch Partons Beitrag zur Covid-Impfung. Während sich hierzulande Stars, sagen wir mal, eher kreativ mit der Datenlage zur Corona-Impfung auseinandersetzen, hat Parton im Frühjahr 2020 rund eine Million Dollar an das Vanderbilt University Medical Center gespendet. Dank dieser Spende war die Entwicklung der mRNA-Vakzine von Moderna möglich. Dass sich Parton auch noch zur Melodie von "Jolene" "Vaccine" singend impfen ließ, dürfte wohl doch den ein oder anderen unentschlossenen Fan überzeugt haben, sich immunisieren zu lassen.

Jahrzehnte nachdem sie eine Sexarbeiterin wunderschön gefunden hatte, lukrierte Parton aus ihrem Aussehen und vor allem ihrem Arbeitsethos Erfolg – und hat ihn mit jenen geteilt, die weniger Glück haben. Allen, die sie nur für ein dummes Blondchen halten, hat Parton schon in den 1960ern eine Antwort gegeben. In "Dumb Blonde" singt sie: "You called me a dumb blonde / Ah, but somehow I lived through it." Und sie wäre nicht Dolly Parton, hätte sie dieser simplen Wahrheit nicht noch einen Witz angehängt: "And you know if there's one thing this blonde has learned / Blondes have more fun." (Ana Grujić, 8.10.2021)