Erst mit steigendem Alter hinterfragen wir, ob uns andere wirklich mögen oder insgeheim doch unsympathisch finden.

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In den meisten Situationen hinterlassen wir einen wesentlich besseren Eindruck bei anderen, als wir glauben. Denken wir an Begegnungen zurück, neigen wir oft dazu, all die Freundlichkeit und netten Gesten unseres Gegenüber auszublenden und vermeintlich unangenehme Momente stärker in Erinnerung zu rufen.

Diese Diskrepanz zwischen unserer Wahrnehmung und unserer tatsächlichen Außenwirkung wird in der Forschung als Liking Gap bezeichnet. Wie andere psychologische Phänomene, ist auch diese Form der verzerrten Wahrnehmung nicht so einfach zu korrigieren – neue Forschungsergebnisse liefern jedoch Wege, sie zu überwinden, schreibt David Robson auf BBC Worklife.

Verbreitetes Phänomen

Die ersten Studien zum Liking Gap gehen auf die beiden Psychologen von der University of Pennsylvania, Erica Boothby und Gus Cooney, zurück. Für eine Untersuchung wurden Studierende in Zweiergruppen aufgeteilt, um sich für fünf Minuten zu unterhalten. Danach sollten sie bewerten, wie sympathisch sie ihr Gegenüber fanden, ob sie sich wieder mit der Person unterhalten wollen oder sich vorstellen könnten, künftig befreundet zu sein. Die Teilnehmenden wurden auch gefragt, wie ihr Gesprächspartner antworten würde: Möchte sie oder er sich noch einmal unterhalten oder gar befreundet sein?

Die zentrale Erkenntnis: Die meisten Studierenden hatten eine pessimistsche Einstellung, wie ihr Gegenüber sie bewerten würde. Insgesamt haben alle Teilnehmenden einen besseren Eindruck hinterlassen, als sie es selbst von sich dachten. Eine weitere Studie, für die Mitbewohner eines Studentenheims befragt wurden, zeigt, dass ein Liking Gap sogar über mehrere Monate besteht. Erst als die Studierenden eine engere Beziehung zueinander aufgebaut hatten, konnten sie ihre Mitbewohner besser einschätzen – und damit auch, wie diese sie wahrnehmen.

Um sicherzustellen, dass es sich um ein allgemeines Phänomen handelt, wurde das psychologische Experiment auch mit Teilnehmenden aus der Gesamtbevölkerung wiederholt – mit ähnlichen Ergebnissen. Einen Unterschied zwischen den Geschlechtern gibt es beim Liking Gap übrigens nicht.

Weniger Zusammenarbeit

Doch woher kommt dieses Gefühl, von anderen weniger gemocht zu werden, als es eigentlich der Fall ist? Eine Studie unter Kindern zeigt, dass dieses Denken im jungen Alter wenig verbreitet ist. Einen Grund dafür sehen Psychologinnen und Psychologen darin, dass Kinder davon ausgehen, dass andere sie mögen, wenn sie sich ihnen gegenüber nett verhalten. Erst mit steigendem Alter hinterfragen wir, ob das Verhalten anderer wirklich Ausdruck davon ist, wie sie uns wahrnehmen, oder ob sie uns insgeheim doch unsympathisch finden.

Die neueste Studie von Boothby und Cooney beschäftigt sich mit dem Liking Gap in Gruppen. Die Ergebnisse zeigen, dass das Phänomen in Teams ebenso präsent ist – und einen bedeutenden Einfluss auf die Arbeitswelt hat. Denn je mehr Menschen denken, andere würden sie nicht mögen, desto weniger suchen sie den Austausch, fragen sie nach Feedback oder arbeiten zusammen an Projekten.

Was hilft?

Im geringen Ausmaß ist es vollkommen okay, unser Verhalten und die Wahrnehmung dessen auf andere zu hinterfragen, schreibt Robson. Studien belegen jedoch: In der Regel denken wir zu negativ – und diese falsche Einschätzung hält uns davon ab, Beziehungen zu anderen aufzubauen.

Und was hilft dagegen? Laut aktuellen Forschungsergebnissen ist es vor allem: Übung. Je öfter wir mit Fremden oder uns weniger gut bekannten Personen sprechen, desto weniger denken wir an jede einzelne Begegnung zurück und verlieren uns in Details. Außerdem sollten wir nicht zu hart zu uns selbst sein. Ganz ehrlich: Wie oft erinnern wir uns an jede Kleinigkeit, die unser Gesprächspartner möglicherweise falsch gemacht hat?

Und wenn es tatsächlich zu einem Fauxpas gekommen ist, kann man daraus für das nächste Mal lernen. Meist sind solche sozialen Ängste jedoch vollkommen unbegründet und die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass unser Gegenüber uns sympathischer findet, als wir denken. (red, 7.10.2021)