Halb Loriot, halb James Bond, Hauptsache, jenseits von Gut und Böse: Sebastian Blomberg (re.) liegt gerne dort, wo er sich bettet.

Foto: Polyfilm

Wahrheit gilt gemeinhin als erstrebenswert. Allerdings ist sie nicht immer leicht zu finden, und in manchen Fällen kann sie auch unangenehm werden. In Johannes Nabers Curveball wimmelt es zu Beginn geradezu vor Wahrheit. Ein Insert verrät, dass der Film "eine wahre Geschichte" erzählen möchte, und fügt dann auch gleich noch eine Qualifizierung des Bedauerns hinzu, denn die Geschichte von Arndt Wolf, einem Agenten des Bundesnachrichtendienstes, wäre vielleicht besser nicht wahr.

"Leider" ist sie es doch. Dann ist auch noch Wolfs Stimme zu vernehmen, die bedeutungsschwanger fragt: "Was ist Wahrheit?" Und die Antwort gleich mitliefert: "Eine Illusion." Der deutsche Verleih hat zu diesem Zeitpunkt die Pointe des Films sowieso schon ausgeplaudert, denn er hat zu Curveball noch einen Untertitel dazugetan: "Wir machen die Wahrheit." Der österreichische Verleih hat die Überdeutlichkeit beibehalten.

Nerd im Pyjama

Unbestreitbar ist vieles an Curveball auf irgendeine Weise wahr, zum Beispiel, dass Arndt Wolf von seinen Kollegen beim BND in Pullach "Wüstenfuchs" genannt wird, weil er einmal an einer Mission im Irak teilgenommen hat. Oder dass Sebastian Blomberg, der Wolf als einen allmählich in die Asozialität abgleitenden Nerd spielt, in vielen Szenen (auch außer Haus) einen Herrenpyjama trägt, der entweder jenseits von gut und böse ist oder auf Loriot und James Bond gleichzeitig verweisen soll. Curveball spielt in den Jahren rund um 9/11, in denen die Welt den Irak als einen Schurkenstaat sah, von dem aus womöglich sogar deutsche Gartenpartys mit Anthrax angegriffen werden könnten. So malt es sich jedenfalls einer der Vorgesetzten von Wolf in einer grässlichen Szene aus, von der man erst später begreift, dass sie lustig gemeint war. Der ganze Film beruht nämlich auf einem Prinzip der Täuschung: Er beginnt als Thriller, legt aber bald Spuren ins Komische aus.

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Und in diesen Spuren verheddert er sich dann gründlich. Arndt Wolf bekommt es nämlich mit einem Mann aus dem Irak zu tun, der in Deutschland um Asyl ansucht und der das Entgegenkommen des Rechtsstaats mit Informationen (oder Erfindungen) über Biowaffenprogramme unter Saddam Hussein anregt. Er bekommt den Codenamen Curveball. Die wesentliche Auskunft hat den Umfang einer Serviette, sie klingt sehr bedrohlich. Endlich einmal hat Pullach etwas an der Angel oder in der Mangel, was auch die amerikanischen Kollegen drüben in Langley interessieren könnte. Der BND hat nämlich, zumindest bei Johannes Naber und seinem Drehbuchpartner Oliver Keidel, einen ganz unerhörten Minderwertigkeitskomplex gegenüber der CIA.

Lola in Bronze

In durchaus analoger Weise hat das deutsche Kino, jedenfalls das gremialisierte und staatlich gegen gröbere Risiken gefeite, einen Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem populären Kino vor allem aus Amerika. Curveball ist eine der eigentümlichsten Therapien für diesen Komplex: ein Film, in dem ein solider Politthriller steckt, der aber lieber eine Farce sein möchte, die auf einen Showdown in Oberammergau hinausläuft. All das wird dem erwarteten Genre mehr oder wenig untergejubelt und mit ein paar Charakterköpfen für jede Jahreszeit aufgemöbelt. Thorsten Merten wurde für seine Rolle in Deutschland letzte Woche mit einer Lola als bester Nebendarsteller ausgezeichnet, für den Film insgesamt gab es eine Lola in Bronze. Am Ende wird – wieder im Pyjama – gerodelt. Joschka Fischer hat seinerzeit zu Donald Rumsfeld vor dem Irakkrieg ein großes Wort gesprochen: "I am not convinced." Er war nicht überzeugt. In vergleichbarer Weise könnte man auch auf Curveball reagieren. (Bert Rebhandl, 6.10.2021)