Natur trifft Dermatologie: Wer entscheidet, was hässlich ist?
Foto: Ines Doujak

Drei blasse Würmer winden und drehen sich um ihre eigene Achse. Heraus kommen sie aus einem freigelegten Anus, der uns frech entgegengestreckt wird. Eine fein geschnitzte nackte Styroporskulptur hat sich vornübergebeugt und präsentiert ihr auseinandergezogenes Hinterteil samt dessen tierischen Bewohnern.

Erwartet hat man das tatsächlich nicht. Kurz ist man irritiert, dann amüsiert. Es war eine "karnevaleske Freude am Undisziplinierten", die Ines Doujak zu der Erschaffung der Figur antrieb. Als finale Steigerung steht diese am Ende ihrer vom WHW-Kollektiv kuratierten Einzelausstellung, die nun in der Kunsthalle Wien zu sehen ist. Verschiedene Tiere lässt sie darin immer wieder auftreten: Ratten, Tauben, Fliegen.

Es sind eher unbeliebte Tiere, die auch als Krankheitsüberträger gelten. Wobei das natürlich je nach Kulturkreis variiert, wie die Fledermaus als aktuelles Beispiel zeigt. Wichtig dabei ist, dass Doujak die animalischen Protagonisten ganz und gar nicht als den Ursprung allen Übels darstellt, sondern in Verhältnis zu uns Menschen setzt. Die Botschaft lautet: Würden wir uns der Umwelt gegenüber bewusster verhalten, würde es auch nicht zu Pandemien kommen.

Mit einem Podcast im Gepäck wird die Ratte insgesamt fünfmal in den öffentlichen Raum gerollt.
Foto: Ines Doujak

Pusteln am Pick-up

Krankheiten und ihre Verbindungen zu ökonomischen Systemen (wie die Verbreitung von Viren entlang von Handelsrouten) finden sich schon lange in den Arbeiten der 1959 in Klagenfurt geborenen Künstlerin, die seit den 1990er-Jahren multidisziplinär arbeitet. So werden begleitend zur Ausstellung fünf Podcasts zu politischen Begriffen wie "Fleisch" oder "Klasse" bis Ende Oktober produziert – und mithilfe einer riesigen Ratte auf Rädern auch unter die Menschen in die Stadt gebracht.

Ja, richtig gehört: Das Nagetier soll in einer Performance durch das Museumsquartier und über die Mariahilfer Straße rollen, aus auf den Rücken geschnallten Lautsprechern Texte und Lieder der Podcasts ertönen. Ob Doujaks Vorhaben wirklich mehr Menschen in die Ausstellung locken wird, bleibt fraglich. Ein absurder Hingucker wird es allemal!

In der Kunsthalle wird im Inneren eines alten Pick-ups einer der Podcasts abgespielt. Auf seiner Ladefläche hat sich eine ganze Bande an Kreaturen versammelt. Diese nach ihrem Äußeren zu beurteilen, sollte man tunlichst unterlassen – ihre Körper entsprechen weder der Norm noch einer heilen Fabelwelt. Vielmehr scheinen sie Kategorien und bekannte Grenzen zu sprengen.

Die Geistervölker: Figuren und Tiere mit Hautkrankheiten am Pick-up.
Foto: Markus Wörgötter

Übersät von Pusteln, Wucherungen und Ausschlägen haben sie ihren Ursprung in fantastischen Collagen, die Doujak aus botanischen und dermatologischen Lehrbüchern fusioniert. Mit ihnen steht auch der Titel der Schau Geistervölker in Verbindung. Der anthropologische Begriff beschreibt Zivilisationen, die wegen kaum erhaltener Funde weitgehend unbekannt sind.

Aufwendig recherchiert, widmen sich Doujaks Werke politischen Themen, an denen sie subtil und witzig Kritik üben. Durch die gesamte Schau tanzen kleine Plünderer, die als Unterdrückte in einem System existieren, das von Konsum, Ausbeutung und maßlosem Reichtum nicht genug bekommt. Wer sich traut, sollte sich das hier aus der Nähe ansehen! (Katharina Rustler, 5.10.2021)