Ganz China feiert gerade das Herbstfest. Es ist nach dem Frühlingsfest zu Jahresbeginn das größte Ferienereignis der Volksrepublik. Eine halbe Milliarde Menschen macht sich auf den Weg, um ein paar Tage Urlaub zu genießen. Wenn sie kommende Woche zurückkehren, dürften auch die Probleme um den zweitgrößten Immobilienkonzern Evergrande wieder an Fahrt aufnehmen. Und nicht nur diese.

Aus der vermeintlichen Explosion ist nun ein Schwelbrand geworden, der die chinesische Wirtschaft und die globalen Märkte noch lange beschäftigen wird. Evergrande hatte zuletzt mehrere Zinszahlungen ausfallen lassen, am Montag kündigte der Konzern an, seine Hausverwaltung zu verkaufen. Das soll fünf Milliarden Dollar einbringen.

Ein Tag mit Folgen

Der Montag war für die Branche jedenfalls kein guter Tag: Mit der Fantasia Holding meldete ein weiterer Immobilienkonzern Zahlungsschwierigkeiten. 206 Millionen Dollar Zinsen für eine Anleihe konnten nicht bedient werden, ebenso wenig ein Kredit von 100 Millionen Dollar, der am Montag fällig gewesen wäre. Die Ratingagentur Fitch stufte daraufhin Fantasia um mehrere Stufen herab. Hinter Fantasia steckt die Nichte von Zeng Qinghong, dem ehemaligen stellvertretenden Ministerpräsidenten. Mit einem Marktwert von 415 Millionen Dollar ist Fantasia zwar ein kleiner Spieler. Allerdings deutet die Zahlungsunfähigkeit darauf hin, dass sich die Probleme im Sektor ausweiten.

Evergrande hat tausende Wohnungen gebaut, deren Besitzer nun hochnervös sind. Auch andere Immo-Konzerne geraten immer mehr in Not.
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Auch der Immo-Entwickler Sinic steht im Feuer. Fitch und S&P Global haben die Kreditwürdigkeit von Sinic zurückgestuft und vor Zahlungsausfällen gewarnt. Sinic befinde sich in einer ernsten Liquiditätskrise, und die Fähigkeit zur Schuldenbedienung sei fast erschöpft, begründeten die Experten von S&P ihre Rating-Senkung. Mitte Oktober werden bei Sinic Anleihezinsen von mehr als 246 Millionen Dollar fällig.

Schuldenobergrenze

Evergrande geriet in Schwierigkeiten, als die Regierung im Vorjahr eine Schuldenobergrenze für Immobilienkonzerne einzog. Gerüchte über Zahlungsausfälle des Konzerns im Sommer hatten das Vertrauen in das 1996 gegründete Unternehmen erodieren lassen. Die Gesamtschulden belaufen sich auf 300 Milliarden Dollar – etwa zwei Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung. Die Frage ist, ob Evergrande zu einem Flächenbrand wird oder die Regierung rechtzeitig eingreift.

Derzeit sieht es so aus, als würde Peking einen Mittelweg wählen. Die überschuldeten Immo-Konzerne und der überhitzte Markt sind der Regierung schon länger ein Dorn im Auge. Ein Interesse, Evergrande zu retten, besteht offenbar nicht. Lieber will man den Konzern dazu bringen, möglichst viele seiner Beteiligungen und Tochterunternehmen zu verkaufen (dazu gehört auch der Fußballclub Guangzhou), um Schulden zu bedienen. Chinesische Privatanleger und Hauskäufer dürften höchstwahrscheinlich entschädigt werden, ausländische Gläubiger dagegen leer ausgehen.

Ein Bankrott ist auch insofern im Sinne des Regimes, als er ein Zeichen für zahlreiche Konkurrenzunternehmen setzt: Die Zeit des unkontrollierten Wachstums und zunehmender Verschuldung ist vorbei. Das fügt sich auch in die Politik der vergangenen Monate ein, in der die Regierung ihren Einfluss auf Tech-Konzerne und andere Wirtschaftssektoren ausdehnte.

Wohnraum wird teurer

Hohe Immobilienpreise gefährden zudem die gesellschaftliche Stabilität, da sich immer weniger Chinesen Wohnungen in begehrten Städten an der Ostküste leisten können. Darauf zielten auch die Maßnahmen ab, die Evergrande erst in die aktuelle Schieflage gebracht hatten. Die "drei roten Linien" besagten, dass das Verhältnis der Verbindlichkeiten zu Vermögenswerten unter 70 Prozent liegen muss, der Verschuldungsgrad nicht höher als 100 Prozent sein darf und das Verhältnis von liquiden Mitteln zu kurzfristigen Verbindlichkeiten größer als Faktor eins sein muss.

Die Immo-Branche ist für Chinas Wirtschaft der wichtigste Wachstumstreiber – aber auch eine Black Box. Weil Staatsunternehmen bei der Kreditvergabe systematisch bevorzugt wurden, wichen Privatunternehmen auf Schattenbanken und private Geldverleiher aus. So entstand ein grauer Kreditmarkt. (Philipp Mattheis aus Peking, 5.10.2021)