Jedes Jahr zu Silvester wird im Donauwalzer, der heimlichen Hymne Österreichs, der Mythos von der "schönen blauen Donau" erneuert. Dabei ist die Donau gar nicht blau, höchstens hin und wieder, wenn es windstill ist.

Der Wiener Gerichtsrat Anton Bruszkay wusste das genau. Um das Jahr 1900 blickte er jeden Morgen in Mautern ins Donauwasser und meldete die Farben an die Österreichische Geographische Gesellschaft und das Hydrographische Central-Bureau nach Wien: "An 11 Tagen braun, an 46 Tagen lehmgelb, an 59 Tagen schmutziggrün, an 45 hellgrün, an 5 Tagen grasgrün, an 69 Tagen stahlgrün, an 46 Tagen smaragdgrün und an 64 Tagen dunkelgrün". Blau war sie demnach nie. Dennoch: Auf Postkarten und in Tourismusprospekten ist sie immer knallblau. Warum eigentlich?

Knallblau statt schmutziggrün: Bilder wie diese sorgten für einen Imagewandel.
Foto: Anton Holzer

"Die Donau ist erst im 19. Jahrhundert blau geworden, mit dem Strauss-Walzer", erklärt der Fotohistoriker Anton Holzer. 1866 schrieb Johann Strauss einen Walzer für den Wiener Männergesang-Verein und betitelte ihn "An der schönen blauen Donau". Zuvor hatte Österreich bei der Schlacht bei Königgrätz den Krieg gegen Preußen verloren, das darniederliegende Land brauchte eine Aufmunterung für den nächsten Fasching. Der Donau-Walzer wurde ein Ohrwurm.

1889 wurde der schnell hingeschriebene Faschingstext des Vereinsdichters Josef Weyl durch jenen des Komponisten Franz von Gernerth ersetzt: "Donau so blau ..." heißt es seither. Die Farbe Blau, die in zwei Gedichten des ungarischen Dichters Karl Isidor Beck vorkommt, sollte die Donau von der in Ungarn als "blond" bezeichneten Theiß unterscheiden, wird vermutet; Blau steht außerdem für Unschuld, Reinheit, Ferne, Sehnsucht.

Entscheidend für die Einfärbung der Donau war aber nicht nur der neue Walzertext, so Anton Holzer, sondern Bilder. Vor 1900 tauchten kolorierte Lithografien als Sammelbilder auf und um 1900 die farbigen (kolorierten) Bildpostkarten. Die Postkarten wurden in großen Stückzahlen produziert, waren leicht verfügbar und mobil. Sie prägten so weithin das Image des Flusses in der Populärkultur, schreibt der Fotohistoriker in seinem Aufsatz "Der blaue Fluss. Die Farben der Donau in der Fotografie um 1900" für das Journal "Kunstgeschichte".

In den Sammelbildern wurde die Donau nur bis Ungarn als blau gezeigt, ab dem Eisernen Tor, wo nach den damaligen Vorstellungen die exotische Welt des "Orients" begann, als gelb und grau. Allmählich wurde aber die ganze Donau blau.

Seit mehr als hundert Jahren fließt also das imaginierte blaue Wasser die Donau hinunter und wird wieder und wieder in Tourismus und Werbung aufgetragen (nicht mehr per Hand allerdings). In der Literatur wird die "blaue Donau" manchmal zitiert und verhöhnt, meist aber wird der Fluss als grau, braun, gold oder weiß beschrieben, also so, wie er wirklich ist: vielfarbig. (sobe, 6.10.2021)