Es war Zeit, die kalte Progression zumindest teilweise durch eine Senkung auszugleichen und irgendetwas in Richtung "Bepreisung von CO2" zu unternehmen. Mehr ist aber nicht. Und was immer man von Bundeskanzler Sebastian Kurz zu grundsätzlichen Fragen hört, erweckt nicht den Eindruck, dass er sich gedanklich auf der Höhe der Zeit befindet.

Die letzten Jahre haben ein paar Dinge klargemacht: Der Klimawandel ist ernst, ja eine existenzielle Herausforderung. Er bedingt im Grunde einen "industriellen Umbau" von gigantischen Ausmaßen. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass die Infrastruktur vieler Staaten auf so ein Elementarereignis nicht gut vorbereitet war, vom gesamten Gesundheitsapparat über die staatliche Verwaltung bis hin zur Krisenkommunikation mit der Bevölkerung.

Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Eine Pandemie dieser Art kann jederzeit wieder auftreten. Die politischen Folgen sowohl des Klimawandels als auch der Pandemie sind ebenfalls beunruhigend: das Entstehen von irrationalen, teilweise aggressiven, jedenfalls aber demokratiefeindlichen Bewegungen als Reaktion auf eine tiefe Verunsicherung.

Kurz zeigt nicht, dass er sich dieser tiefgreifenden Veränderungen richtig bewusst wäre. Er verharmlost nur noch, wie in einem Heute-Interview: "Die Impfquote sollte noch ein paar Prozent höher werden. Insgesamt sind wir aber gut unterwegs." Nein, sind wir nicht. Die Impfquote ist zu niedrig, und die Regierung hat ganz offensichtlich jeden Versuch aufgegeben, sie zu erhöhen.

Modernisierung des Gesundheits-und Sozialsystems

Die "industrielle und technologische Modernisierung" im Gefolge der Klimakrise, die der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz in einem Spiegel-Interview als sein Programm benennt, wird nicht ohne massive Unterstützung des Staates gehen. Ebenso wenig die Modernisierung des Gesundheits-und Sozialsystems, mit der wir uns auf die nächste Pandemie vorbereiten sollten.

Gesellschafts- und sozialpolitisch spielt Kurz jetzt wieder die alte Leier von den "Menschen, die früh aufstehen und arbeiten" und dafür belohnt werden sollten, und wenn nicht, dann werde man ihnen eben die Sozialleistungen kürzen. Aber die unbequeme Wahrheit ist, dass ein Teil der Arbeitsfähigen immer auf den Sozialstaat angewiesen sein wird, weil dessen Qualifikationen der modernen Arbeitswelt nicht entsprechen.

Der große Umbau muss auch auf europäischer Ebene erfolgen. Aber Kurz sagte kürzlich: "Wir wollen nicht die Schulden der Italiener zahlen." Das ist besonders hinter der Zeit zurück: Die EU hat ein gigantisches Konjunkturprogramm zur Bekämpfung der Pandemiefolgen aufgestellt, und das beruht auf gemeinsamem Schuldenmachen.

Die großen Krisen haben die Rolle des Staates wieder in den Vordergrund gebracht. Die Sparphilosophie früherer Jahre, die ihre Berechtigung hatte, muss neu überdacht werden. Vielleicht hat Kurz das geheim getan, aber man merkt davon nichts.

Zu guter Letzt: Für Scholz lautet das "herausragende Anliegen: Wie kann das Auseinanderdriften der Gesellschaft verhindert werden?" Angesichts von verkappt demokratiefeindlichen Parteien und Bewegungen wäre das sehr wohl auch ein Thema für einen österreichischen Bundeskanzler. Aber der spaltet eher. (Hans Rauscher, 5.10.2021)