Die Gaspreise sind in den vergangenen Monaten explodiert.

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Moskau – Russland erhöht nach den Worten von Präsident Wladimir Putin seine Gaslieferungen nach Europa. Russland nutze dabei auch verstärkt Pipelines in der Ukraine, sagte Putin am Mittwoch. Die Gaslieferungen nach Europa könnten in diesem Jahr auf einen Rekordwert steigen. Russland sei bereit, zur Stabilisierung der Lage der weltweiten Gasmärkte beizutragen.

Die Gaspreise sind in den vergangenen Monaten explodiert. Ein Ende ist nicht in Sicht. Der Brennstoff ist knapp, und die Speicher sind nicht so stark gefüllt wie im vergangenen Jahr. Grund dafür ist unter anderem die deutlich gestiegene Nachfrage nach dem Höhepunkt der Corona-Krise und der weltweiten Konjunkturerholung. Zudem gehen viele Lieferungen nach Asien, wo die Gaslieferanten noch höhere Preise als in Europa erzielen können.

Schuldfragen

Die Verantwortung für den starken Anstieg der Gaspreise sieht Russland jedenfalls nicht bei sich – und richtet hingegen das Augenmerk auf die Klimapolitik in der EU. "Wir bestehen drauf, dass Russland keine Rolle dabei spielt, was auf dem Gasmarkt in Europa vor sich geht", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Mittwoch der Agentur Interfax zufolge. Er wies EU-Vorwürfe, dass Russland den Gaspreis manipuliere, um eine schnelle Inbetriebnahme der Ostseepipeline Nord Stream 2 zu erwirken.

"Nur Nichtprofis, Leute, die das Wesen der Vorgänge nicht verstehen, können hier Russland in diesem Zusammenhang erwähnen", meinte Peskow. Der Vertraute Putins wies vielmehr darauf hin, dass in der EU einige Faktoren zusammenkämen, die Einfluss hätten auf die Energiepreise. So sei einerseits der Energiebedarf nach dem Ende von Einschränkungen in der Corona-Pandemie wieder hoch, die Wirtschaft nehme an Fahrt auf, sagte Peskow. Andererseits setze die EU auf erneuerbare Energien, die wie im Fall der Windenergie unberechenbar seien. Russland warnt immer wieder davor, sich zu sehr auf erneuerbare Energien zu verlassen. In der Gas- und Ölgroßmacht liegt der Anteil an erneuerbaren Energien bei gerade einmal einem Prozent.

Gut fürs Geschäft

Die russische Seite erfülle jedenfalls alle Verträge, betonte Peskow. Die Lieferungen seien schon jetzt im Rekordbereich. Zudem sei der Staatskonzern Gazprom bereit, mit Kunden neue langfristige Verträge abzuschließen, hieß es. Der Energieriese hatte zuletzt darauf hingewiesen, dass er einen schneereichen und kalten Winter erwarte, der gut fürs Geschäft sei.

Gazprom und der Kreml hatten auch erklärt, dass eine rasche Inbetriebnahme der fertigen Gaspipeline Nord Stream 2 dabei helfen könne, um etwas gegen die "Energiekrise" in Europa zu tun und die Lage auf dem Gasmarkt zu entspannen. Dem widersprechen Experten: Eine Öffnung von Nord Stream 2 würde bei den Preisen kaum für große Erleichterung sorgen. Der Gasbedarf sei enorm.

Streit um Start von Nord Stream 2

Durch die Pipeline soll bald Erdgas von Russland nach Deutschland und weitere Länder transportiert werden. An der Finanzierung der Gaspipeline ist auch die OMV beteiligt. Zu den Gegnern der milliardenschweren Doppelröhre gehören unter anderem die USA. Sie argumentieren, dass diese zu einer starken Abhängigkeit Europas von russischen Gaslieferungen führt.

Einen Starttermin für die fertige Pipeline gibt es bisher nicht. Hier bahnt sich ein Streit zwischen den Betreibern und den deutschen Aufsichtsbehörden an. Zuletzt wurden Befürchtungen laut, dass Gazprom die rund 1.200 Kilometer lange Röhre bereits vor einer Zertifizierung durch die deutsche Bundesnetzagentur in Betrieb nimmt. Die Bonner Behörde hat für die Prüfung noch bis Anfang Jänner Zeit, danach übermittelt sie ihren Entscheidungsentwurf planmäßig an die Europäische Kommission, die wiederum zwei Monate Zeit für eine Stellungnahme hat. Sollten die Pipeline-Betreiber vorpreschen, drohe ihnen eine Geldbuße, so die Bundesnetzagentur.

Rechtsstreit

Den Betreibern sind die Regeln in Deutschland, wo sie sich für den deutschen Teil der Pipeline EU-Recht unterwerfen müssen, ein Dorn im Auge – weil sie dort den Transport und den Vertrieb gegen ihren Willen trennen müssten. So will es die geänderte EU-Gasrichtlinie. Dagegen versucht die Nord Stream 2 AG auch gerichtlich vorzugehen. Die Pipeline-Betreiber ziehen daher vor den deutschen Bundesgerichtshof, um von der Regulierung durch die Bundesnetzagentur freigestellt zu werden. Das Oberlandesgericht hat dieses Ansuchen bereits zurückgewiesen.

Auch ein erster Versuch, gegen die EU-Gasrichtlinie vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorzugehen, ist bereits gescheitert. Der EuGH sah die deutsche Justiz zuständig – zu Unrecht, wie ein EuGH-Gutachten nun feststellte. Das Unternehmen ist nach Ansicht des Generalanwalts durchaus vor dem EuGH klagebefugt. Die Nord Stream 2 AG kann also wieder hoffen. (red, Reuters, APA, 6.10.2021)