Sebastian Kurz soll sich geschönte Umfrageergebnisse ausgehandelt haben.

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Einer der Vorwürfe, die sich aus der Razzia im Bundeskanzleramt am Mittwoch ergeben, betrifft mutmaßlich gekaufte und frisierte Polit-Umfragen in der Tageszeitung "Österreich" und auf oe24.at. Ende 2016 soll es zu einem Deal gekommen sein, wonach in den Medien von Wolfgang Fellners Verlagshaus vorrangig Ergebnisse publiziert werden, die "im Sinne" Sebastian Kurz' waren.

Laut den beschlagnahmten Chats soll Thomas Schmid, ehedem Kabinettschef und Generalsekretär im Finanzministerium, Kurz damals durchgegeben haben: "Habe echt coole News! Die gesamte Politikforschung in Österreich wird nun zur B. wandern. Damit haben wir Umfragen und Co. im besprochenen Sinne."

ÖVP-Baisse unter Mitterlehner

B. steht hinter dem Meinungsforschungsunternehmen Research Affairs. Nachdem "Österreich" lange Jahre mit dem Gallup-Institut kooperiert hatte, erschien am 10. Dezember 2016 dessen letzte Sonntagsfrage im Boulevardblatt. Danach kommt dort ausschließlich Research Affairs zum Zug.

In den ersten Monaten des Jahres 2017 sind die Ergebnisse nicht besonders erfreulich für Reinhold Mitterlehner und seine ÖVP. Unter 20 Prozent dümpelt sie in Research-Affairs-Umfragen herum – also am unteren Ende des Spektrums der im selben Zeitraum publizierten Umfragen.

ÖVP-Hausse nach Kurz-Übernahme

Mit der Übernahme der Partei durch Sebastian Kurz im Mai 2017 ändert sich das schlagartig. Nun sieht Research Affairs die Volkspartei bei 35 Prozent, während ihr die Konkurrenzinstitute anlässlich des Führungswechsels durchwegs geringere Gewinne zuschlagen. "Österreich" titelt "Plus 14 Prozent: Kurz-Turbo für ÖVP" und eröffnet den Bericht nahezu euphorisch: "Die ÖVP-Granden hatten allen Grund, sich dem neuen Parteichef zu unterwerfen – er liefert ihnen in der ersten ÖSTERREICH-Umfrage nach seinem Sprung an die ÖVP-Spitze ein wahres Feuerwerk (Research Affairs 600 Befragte von 16. bis 18. 5. 2017): 14 Prozentpunkte – das ist der Unterschied von Reinhold Mitterlehner zum neuen Obmann Kurz."

Bis zur vorgezogenen Nationalratswahl im Oktober fallen die Werte für die nunmehr von Kurz geleitete Partei in den Sonntagsfragen von "Österreich" tendenziell überdurchschnittlich aus, nur in einigen Fällen werden sie von anderen übertroffen.

Lesebeispiel: In den folgenden Grafiken sind die Umfrageergebnisse von ÖVP und SPÖ während der Jahre 2016, 2017 und 2018 zu sehen. Die einzelnen Punkte stellen die Prozentwerte dar, die die jeweilige Partei in einer Umfrage erreicht hat. Die Werte, die aus Umfragen des Instituts Research Affairs stammen, sind dunkel hervorgehoben. So hat Research Affairs der ÖVP am 28. April 2017 22 Prozent der Stimmen zugeschlagen und am 19. Mai 2017 dann 35 Prozent.

Ähnlich augenfällig verhält es sich mit den Umfragewerten der SPÖ. Vor Mai 2017 dominiert sie in Research-Affairs-Umfragen die Mitterlehner-ÖVP deutlich. Als dort aber De-facto-Kanzlerkandidat Kurz an die Macht kommt, stürzen die Sozialdemokraten unter dem eigentlichen Bundeskanzler Christian Kern plötzlich von 30 auf 20 Prozent ab. Alle anderen Meinungsforschungsinstitute sehen das weit weniger drastisch. Zwar baut die SPÖ auch dort ab, doch viel langsamer und niemals bis auf 20 Prozent.

Ein Beweis einer Einflussnahme sind die veröffentlichten Ergebnisse freilich nicht, jedoch weichen bei Research Affairs speziell die Umfragewerte der SPÖ im Zeitraum der Machtübernahme von Sebastian Kurz auffällig von den Ergebnissen anderer Institute ab. Wichtig zu beachten ist auch, dass die oben dargestellten Ergebnisse nur die der "Sonntagsfragen" sind und keine Ergebnisse zu etwaigen anderen Fragen abbilden, die im Rahmen dieser Umfragen gestellt wurden. (Michael Matzenberger, Sebastian Kienzl, 7.10.2021)