"Nicht aufgeben!" EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen munterte in Brdo auch Serbiens Staatschef Aleksandar Vučić auf.


Foto: AFP / Joe Klamar

Manche haben einen langen Atem, gerade weil sie ganz klar ausgerichtet sind. "Die EU ist unser Glaube und unsere Bestimmung. Europa ist unser Kontinent", sagte der kosovarische Premier Albin Kurti beim EU-Westbalkan-Gipfel in Brdo in der Nähe der slowenischen Hauptstadt Ljubljana. Der Kosovo gehört wie Nordmazedonien und Albanien zu jenen Nicht-EU-Staaten, die keinen Zweifel daran lassen, dass es für sie keine Alternativen gibt. Serbien hat sich hingegen wirtschaftlich, militärisch und sicherheitspolitisch eng an China angebunden.

Obwohl der technische Begriff "Westbalkan" für alle sechs Staaten verwendet wird, war am Mittwoch in Brdo beim Treffen der EU-Staats- und -Regierungschefs mit den führenden Politikern der Region einmal mehr ersichtlich, dass die Regierungen und Gesellschaften dort sehr unterschiedlich sind. Während etwa Nordmazedonien von Experten für seine Reformen, für die Verlässlichkeit der Regierung und für einen klar demokratischen Weg gelobt wird, ist das bei Serbien und Bosnien-Herzegowina nicht der Fall.

Autokratisch regiertes Serbien

Serbien, das seit 2013 verhandelt und 2,9 Milliarden Euro an EU-Vorbeitrittshilfen erhielt, hat 18 der 35 Verhandlungskapitel eröffnet, nur zwei wurden allerdings abgeschlossen. In den vergangenen zwei Jahren haben die EU-Staaten nicht zugestimmt, neue Kapitel zu öffnen, weil es keine Reformen gab und das Land unter Präsident Aleksandar Vučić zunehmend autokratisch regiert wird.

Die EU hält trotz der Rückschritte in den Bereichen Demokratie und mangelnder Fortschritte bei der Schaffung einer unabhängigen Justiz die Beitrittsperspektive für Serbien offen. Das hat einerseits mit der Angst davor zu tun, dass sich Serbien noch mehr China und Russland zuwendet, aber auch mit der sogenannten Merkel-Doktrin, wonach Serbien von der EU prioritär behandelt werden sollte – in der Annahme, dass die Regierung in Belgrad in der Folge von destabilisierenden, großserbischen Plänen Abstand nehmen und den Kosovo anerkennen würde. Beides ist bekanntlich nicht geschehen.

Am Mittwoch haben die EU-Staaten ihre prinzipielle Zusage zur EU-Erweiterung, die auf dem Gipfel 2003 in Thessaloniki gegeben wurde, nochmals in den Schlussfolgerungen bekräftigt, obwohl die Niederlande, Dänemark und Frankreich eigentlich gegen jegliche Erweiterung sind und im Vorfeld sogar die EU-Perspektive streichen wollten.

Auf einer ganz anderen Seite stehen die rechtspopulistischen Regierungen in Ungarn und Slowenien, die vor allem Serbien sofort in die EU aufnehmen wollen, weil sie die völkische Ideologie und den Antiliberalismus teilen. Die slowenische Regierung, die die Ratspräsidentschaft innehat, wollte erstmals sogar das Beitrittsdatum 2030 in die Gipfel-Schlussfolgerungen schreiben, was keine Mehrheit fand. Auch der ungarische Kommissar für Erweiterungsverhandlungen, Olivér Várhelyi, gilt als einer, der Serbien bevorzugt.

Herzensangelegenheit

Bundeskanzler Sebastian Kurz meinte in Brdo, Österreich liege der Westbalkan "massiv" am Herzen, nicht nur historisch, sondern auch geografisch, wirtschaftlich und menschlich. Versprochen wurde den sechs Staaten, die gemeinsam bloß das Bruttoinlandsprodukt der Slowakei erwirtschaften, neun Milliarden Euro an EU-Investitionen und Kredite von bis zu 20 Milliarden Euro über zehn Jahre. Die Auszahlung ist an Rechtsstaatsreformen gebunden. Der für die EU-Mittel zuständige serbische Finanzminister Siniša Mali tauchte nun übrigens in den Pandora Papers auf, weil er 24 Luxuswohnungen an der bulgarischen Küste gekauft hat.

Konkretes gab es im verregneten Brdo kaum. Gefordert wurde wieder einmal mehr regionaler Handel, eine Strategie, die bislang aber weder zu einem wirtschaftlichen Aufholprozess noch zur Lösung der politischen Konflikte beigetragen hat. Die Verhandlungen mit dem Vorbildland Nordmazedonien sind weiter durch das Veto Bulgariens blockiert, und der Kosovo erhält trotz Erfüllung der Anforderungen noch immer keine Visa-Liberalisierung. Beides hat in den vergangenen Jahren zu einem massiven Verlust an Vertrauen in die EU geführt. (Adelheid Wölfl, 6.10.2021)