Natürlich kann man auch tagsüber rudern. Aber der frühe Morgen hat etwas Besonderes. Weil dann das Licht flacher aufs Wasser fällt. Weil das dann anders glitzert. Weil die kleine Welle, die sich vom Boot seitwärts wegbewegt, dann eigen funkelt und blitzt. Und dieses Funkeln, dieses Blitzen Geräusche verändert. Das Platsch-Platsch-Platsch der Ruder, das Rauschen der Bugwelle: In der Früh, in der Morgensonne, klingt das anders. Zumindest wirkt es so. Und auch wenn ein Vierer elegant durch den frühherbstlichen Morgennebel über der Alten Donau zieht, wenn ihm vier Jungschwäne knapp über der Wasseroberfläche entgegenfliegen, mit Flügelschlägen, so synchron wie die Züge der Rudernden – dann steht die Welt still. Ist einfach schön. Licht, Geräusche, Bewegung: Nichts und niemand stört diese Harmonie. Alles passt zusammen. Sogar die Menschen fügen sich ins Bild: die ruhige Gleichmäßigkeit, die effiziente Synchronizität. Man muss nicht selbst rudern, um das schön zu finden.

Den 25-Zentimeter-Carbonboliden rudert Eugen Hrdlicka dreimal pro Woche durch die Alte Donau in Wien.
Foto: Christian Fischer

Darum gehört der frühe Morgen auf dem Wasser den Ruderern (und natürlich den Rudererinnen). Auf der Alten Donau ist zwischen sieben und zehn meist Ruder-Stoßzeit. Tatsächlich aber, sagt Eugen Hrdlicka, habe das Morgenrudern auch banale, praktische Gründe: "In der Früh ist wenig los." Das, sagt Hrdlicka, war auf der Alten Donau schon früher ein Punkt. Aber heuer, im zweiten Corona-Sommer, wurde es noch wichtiger. Im und auf dem Wasser wurde es da nämlich sehr voll.

Mit 25 km/h durchs Wasser

Elektrobooten, Stand-up-Paddle-Boards, Luftmatratzen und Surfern auszuweichen sei schon schwierig genug – aber Schwimmer "sind unsichtbar". Nicht nur weil man beim Rudern mit dem Rücken zur Fahrtrichtung sitzt, sondern weil Ruderboote schnell sind. Auf bis zu 25 km/h kommt ein sportlicher Achter. Doch auch bei den 15 km/h kleinerer Boote bleibt kaum Zeit zum Ausweichen. Sportruderboote sind nicht für Slalom ausgelegt: Ein Pfeil fliegt keine Kurve. Ruderboote sind Pfeile.

Sportruderboote sind nicht für Slalom ausgelegt: Ein Pfeil fliegt keine Kurve. Ruderboote sind Pfeile.
Foto: Christian Fischer

Eugen Hrdlicka ist Pensionist. Das sieht man ihm nicht an: Für die Statur des 60-Jährigen würde wahrscheinlich so mancher Mittdreißiger töten. Oder aber er trägt tausende Euro ins Fitnesscenter – um dort erst recht die falschen Übungen zu machen. Denn Rudergeräte gehören in jedem "Gym" zwar zur Grundausrüstung, aber eher selten zu den Highlights.

Eugen Hrdlicka rudert seit seiner Jugend. Im Freien, solange die Alte Donau nicht zufriert ("das passiert immer später und immer seltener"), danach auf dem Ergometer. Der einstige Wiener-Linien-Mitarbeiter begann mit 14, machte aber dann eine Pause bis zu seinem 45. Lebensjahr. Seither holt Hrdlicka drei Mal pro Woche Boote (Einer, Zweier, Vierer oder Achter, teils mit, teils ohne Steuermann) aus dem Vereinsbootshaus des RWC Donaubund am Dampfschiffhaufen und fliegt übers Wasser.

Tradition seit 1863

Der Dampfschiffhaufen ist eine Halbinsel an der Unteren Alten Donau. Neben dem Donaubund hat hier der Ruderclub Pirat ein Quasi-Privatstrandbad. Nur für Mitglieder. Klar wird an und ab gegrillt. Doch so wie in den anderen zwölf im Wiener Ruderverband vertretenen Ruderclubs (einer davon ein Gondelverein), wird hier Sport gelebt. Seit 102 Jahren.

Eugen Hrdlicka ist Pensionist. Das sieht man ihm nicht an: Für die Statur des 60-Jährigen würde wahrscheinlich so mancher Mittdreißiger töten.
Foto: Christian Fischer

Rudern hat in Wien Geschichte und Tradition: Der erste Verein, die Lia, wurde 1863 gegründet. Die erste Regatta fand 1868 auf dem Kaiserwasser, noch vor der ersten Donauregulierung, statt. Rudern war Elitensport. Manche Vereine sind bis heute stolz, über Jahrzehnte von Angehörigen des Hochadels geführt worden zu sein. Woran das lag? Zunächst einmal an der herkunftsbedingten (Un-)Möglichkeit der normalen Bevölkerung, Zeit, Geld und Energie für Sport "vergeuden" zu können.

Aber auch an den Wurzeln des Rudersports. Im klassenfixierten England gab es 1715 den ersten mit heutigen Rennen vergleichbaren Ruderwettkampf. 1775 fand die erste Regatta auf der Themse statt – und seit 1829 matchen sich die Eliteuniversitäten von Cambridge und Oxford auf dem Wasser: Arme und Arbeiter gehörten nicht dazu.

Mehr Frauen als Männer

Auch Frauen nicht. "In Wien gab es rudernde Damen bisher nur ganz ausnahmsweise", schrieb die Allgemeine Sportzeitung im Jänner 1919 – "Hie und da einmal machte eine unternehmungslustige Gattin eine Bootsfahrt mit ihrer stärkeren Ehehälfte mit, als Steuerweibchen … als sportlicher Scherz." Anlass dieser Betrachtung war der Moment, an dem sich das ändert: Beim Wiener Donaubund ist man bis heute stolz, die "Damenruderei" (© Sportzeitung) seit der Vereinsgründung als gleichwertig zu sehen. Heute, sagt Katinka Nowotny, die die historischen Statements für die 100-Jahres-Festschrift ihres Clubs recherchierte, sei derlei kein Thema mehr. In vielen Clubs rudern mehr Frauen als Männer.

In der Zwischenkriegszeit boomte das Rudern. Zu den Regatten kamen tausende Zuseher. Doch das Dynamisch-Ästhetische wurde ideologisiert und instrumentalisiert. Wurde Teil der Metaphorik eines verheerenden Konzeptes: dem der Unterordnung des Einzelnen in den "reinen Volkskörper". Der Linzer Ruderverein Ister schrieb 1919 einen "Arierparagrafen" in seine Statuten. 1938, nach dem sogenannten "Anschluss", bekannte die Zeitschrift Wassersport stolz, "unsere Bootshäuser waren Trutzburgen deutscher Gesinnung, ein Hort nationalsozialistischer Treue. (…) Die Jugend war natürlich bei der ‚illegalen‘ HJ."

Dass die Namen mancher Vereine bis heute deutschtümelnd-nibelungenhaft klingen, ist allerdings keiner Ideologie, sondern dem Ursprung der Saga, der Donau geschuldet. Darum ist Wien ja auch Österreichs Ruder-Hauptstadt. Abgesehen davon wird vor allem in Linz und Kärnten gerudert. Wie viele Menschen sich aber tatsächlich regelmäßig sportlich "in die Riemen legen", sei schwer zu sagen, bedauert Andreas Kral, der Präsident des Wiener Ruderverbands.

Kein "Feindkontakt"

Schließlich entdeckten immer mehr Menschen das Rudern in den 25 Zentimeter schmalen Carbonboliden als Freizeitsport. Zögen ein- oder zweimal pro Woche Runden um die Gänsehäufel-Insel oder nähmen an "Wanderfahrten" zu anderen Vereinen teil.

Dazu kämen jene, die das Rudern als das entdecken, was Mediziner bei bloßer Erwähnung der Sportart jubeln lässt. Rudern ist ein perfekter, da praktisch verletzungsfreier Gesundheitssport: Es gibt keinerlei "Feindkontakt". Die runden, absolut "impactfreien" Bewegungen schonen die Gelenke, fördern aber die gesamte Muskulatur und das Herz-Kreislauf-System. Rudern kann man noch, wenn andere Sportarten nicht mehr gehen: In manchen Vereinen ist "Mumienachter" eine launige, aber alles andere als abfällige Bezeichnung für Bootsbesatzungen mit einem Durchschnittsalter von 75 und mehr Jahren.

Wobei diese älteren Herr- und Damenschaften meist seit Jahrzehnten rudern und daher kaum für Slapstickeinlagen sorgen. Etwa dann, wenn bei einem "Neulingsvierer" aus dem gleichmäßigen Platsch-Platsch-Platsch konfuses Klickediklack-Klickediklack wird, weil die Ruder miteinander kollidieren. Das ist der Moment, an dem sich die Angler am Ufer der Alten Donau einmischen: "Heats, es Heisln, so vajogds de Fisch’! Eicha Spuat haßt Ruadan – oba es tuads fecht’n!" (Tom Rottenberg, 7.10.2021)