Der Grauhals-Kronenkranich war in Ruanda fast ausgestorben. Olivier Nsengimana trugt zu seiner Rettung bei.

Foto: Rolex/Thierry Grobet

Wenn Olivier Nsengimana erklärt, warum er sich dem Schutz von Umwelt und Tieren verschrieben hat, kommt er schnell auf seine Kindheit: Er erzählt, dass er von Tieren umgeben war, dass er sie mit Begeisterung beobachtet hat, dass er immer wieder versucht hat, es den großen Kranichen gleichzutun und zu fliegen – und dabei immer auf die Nase fiel. "Als ich klein war, handelten alle Geschichten von Tieren. Und es ging niemals darum, sie zu hassen. Es ging um Respekt den Tieren gegenüber", sagte er einmal zu National Geographic.

Die Natur, die Nsengimana so geprägt hat, ist jene des ländlichen Ruanda. Er wuchs hier im Nachhall des Völkermords auf, der das Land in den 1990ern erschütterte und bis zu einer Million Menschen das Leben kostete. "Jeder Einwohner Ruandas hatte eine Rolle zu spielen, um einen Neuaufbruch zu schaffen", sagt Nsengimana. "Ich wusste: Was immer ich mit meinem Leben machen würde, es sollte etwas sein, das Bedeutung für mein Land hat." Das Land geht bis heute durch einen schwierigen Aufarbeitungsprozess.

Goldene Federkrone

Der Grauhals-Kronenkranich, dessen Flug er einst nachahmte, sollte in Nsengimanas Leben noch eine große Rolle spielen. Damals, in den 1990er-Jahren, sei das Tier noch überall in der Umgebung anzutreffen gewesen, sagt Nsengimana. Doch danach sind die etwa einen Meter großen grau-weißen Tiere, die mit ihrer markanten goldenen Federkrone, der schwarz-weißen Gesichtszeichnung und den orangen Hautlappen am Hals zugleich stolz und verletzlich erscheinen, langsam verschwunden. Nsengimana, mittlerweile Tierarzt und leidenschaftlicher Umweltschützer, wurde zu jenem Mann, der die Tiere wieder in die freie Wildbahn zurückholte.

Am Ende steht der Aufbruch in die Wildnis: Der Tierarzt Olivier Nsengimana und sein Team entlassen Grauhals-Kronenkraniche, die in Gefangenschaft aufgewachsen sind, in die Wildnis.
Foto: Rolex / Olivier Nsengimana

Der Ruander studierte Veterinärmedizin an der Universität Edinburgh in Schottland und beschäftigte sich eingehend mit dem Gesundheitsmanagement von Wildtieren. Zuletzt arbeitete er als Feldveterinär mit bedrohten Berggorillas – für viele in seiner Profession ein absoluter Traumjob.

Verschwindende Lebensräume

Nsengimana sah, wie die Lebensräume der majestätischen Flugtiere immer kleiner wurden. Die Gründe für das Verschwinden lagen auf der Hand: Feuchtgebiete wurden zu Ackerland, der Grundwasserspiegel sank, immer mehr Pestizide wurden eingesetzt. "Unser Land besitzt eine hohe Bevölkerungsdichte, und es lastet ein gewaltiger Druck auf den natürlichen Ressourcen, besonders auf Feuchtbiotopen, die die Kraniche zum Überleben brauchen", erklärt der Umweltschützer. "So viele Feuchtgebiete werden in Ackerland umgewandelt, und die Kraniche verlieren geeignete Lebensräume zum Brüten und für die Nahrungssuche."
Dazu kam ein weiterer Trend: Die Tiere wurden zu Schmuckobjekten, die die Gärten und Parks von Hotels und Villen zierten. Die Landbevölkerung sah im Jagen und Verkaufen der Kraniche eine neue Einkommensquelle. Bei den wohlhabenden Besitzern sah man die illegal gehaltenen Tiere als Symbol für Reichtum und langes Leben. Den Kranichen wurden dafür die Flügel gestutzt oder gar gebrochen, sodass sie nicht in die Freiheit zurückkehren konnten – eine Gefangenschaft, die auch die Fortpflanzung unterband.

Für Nsengimana waren die vielen Tiere, die ihr Leben in Gefangenschaft fristen, aber nicht nur bedauernswert. Er sah in ihnen auch eine Chance. "Ich erkannte, dass es eine sehr starke Waffe gab, die ich nutzen konnte. Tief im Inneren ihres Herzens lieben die Menschen aus Ruanda die Kraniche", erklärt Nsengimana. "Diese Liebe ist immer noch vorhanden. Sie möchten sie besitzen, weil sie schön sind."

NGO made in Ruanda

Der Veterinär verließ die Berggorillas und widmete sich ganz dem Grauhals-Kronenkranich. Er begann eine Datenbank aufzubauen, die möglichst viele der in Gefangenschaft gehaltenen Tiere im Land erfassen sollte. Bald war auch Ruandas Regierung mit an Bord und unterstützte sein Anliegen. Ein Preis für Unternehmergeist der Uhrenmarke Rolex half ihm bei seinen Initiativen. Bald gründete er seine NGO Rwanda Wildlife Conservation Association (RWCA) – keine westliche Organisation mit einem Naturschutzanliegen in Afrika, sondern aus der lokalen Bevölkerung entstanden.

Nsengimana startete Aufklärungskampagnen in TV und Radio. Sie brachten die Kranichbesitzer dazu, ihre Haustiere in neuem Licht zu sehen. Er sagte ihnen sinngemäß: "Hey, ihr könnt die Tiere weiterhin gernhaben. Aber lasst sie in ihrer natürlichen Umgebung leben, sonst werden unsere Kinder und Enkel sie vielleicht gar nicht mehr sehen können." Gleichzeitig bot die Regierung eine Amnestie an. Wer Kraniche zurückgab, blieb trotz des illegalen Besitzes straffrei.

Aus einem Projekt, das auf die Auswilderung der Kraniche fokussiert war, entstand eine erfolgreiche NGO, die umfassende Aufklärung bei vielen Naturschutzanliegen betreibt.

Foto: Rolex / Thierry Grobet

Tatsächlich ließen sich immer mehr Menschen dazu bewegen, die Tiere für eine Auswilderung herzugeben. Diese wurden von Nsengimana und seinem Team in den Akagera-Nationalpark gebracht. Hier konnten sie wieder an das Leben in der Wildnis herangeführt werden, und die Flügel konnten wieder wachsen. Für jene Tiere, die sich nicht für die Auswilderung eigneten, weil sie zu alt oder zu krank waren oder gebrochene Flügel hatten, wurde mit dem Umusambi Village ein eigenes Reservat in Kigali, der Hauptstadt Ruandas, eingerichtet. Hunderte Tiere wurden mittlerweile ausgewildert – und sie vermehren sich auch wieder. Knapp 900 wurden zuletzt wieder in Ruanda in freier Wildbahn gezählt – eine Verdreifachung des Bestands. Der neu entfachte Naturschutz gewann mit dem Grauhals-Kronenkranich in Ruanda eine neue Identifikationsfigur.

Nsengimana und sein Team haben mittlerweile die Aktivitäten der NGO stark erweitert: Man besucht Schulen und geht hinaus in die Dörfer, um den Schutzgedanken zu vermitteln und die Jagd und Eierentnahme zu unterbinden. Man engagiert Wildhüter vor Ort und schafft damit neue Jobs. Längst kümmert man sich auch nicht mehr nur um die Kraniche, sondern auch um Fledermäuse, Sumpfantilopen und Graupapageien.

Internationale Anstrengung

Gleichzeitig streckt man auch die Fühler in die Nachbarländer aus, um auch dort die Kranichbestände wieder aufzupäppeln. In 15 Ländern Süd- und Ostafrikas sind die Tiere heimisch. In den meisten davon sind sie stark gefährdet. Schätzungen zufolge verschwanden in nur 25 Jahren 80 Prozent aller Grauhals-Kronenkraniche aus der freien Wildbahn. Die Population schrumpfte auf insgesamt nur 30.000 Tiere. Jagdverbote, die es in den meisten Staaten gibt, konnten ihr Verschwinden nicht stoppen.
Die Kraniche wurden nicht nur in ihren Verbreitungsländern zu Haustieren, sondern sind auch international ein gefragtes Gut. Viele werden nach China oder in den arabischen Raum exportiert. "Ein Erfolg in Ruanda ist nichts ohne die Zusammenarbeit mit Uganda, Tansania und Burundi", sagt Nsengimana und ruft damit zur internationalen Zusammenarbeit auf. Auch wenn man die Strategie aus Ruanda nicht ohne weiteres übertragen können wird – ein Anfang ist gemacht. (Alois Pumhösel, 8.10.2021)