Das eingespielte Team – man hat die "Poppea" schon 2018 bei den Salzburger Festspielen zusammen gemacht – performt in all dem Gewusel großartig.

Foto: Staatsoper/Pöhn

An der Staatsoper lautet die Parole dieser Tage Let’s Dance! – und sie gilt nicht nur für das Ballettensemble. Direktor Bogdan Roščić hat Jan Lauwers erstmals im Mai eingeladen, die Monteverdi-Oper L’incoronazione di Poppea zu vertanzen, und zwar in der Kategorie Contemporary. Der belgische Theatermacher hat dafür drehwurmstichige, zwischen Tizian und David Hamilton zu verortende, pseudobarocke Bilderwelten geschaffen, in denen eine Heerschar von Bewegungsdarstellenden ihrer Profession nachgeht.

Das permanente optische Rauschen, die tänzerische Dauerkommentierung ist mäßig originell, mäßig abwechslungsreich, bindet reichlich Aufmerksamkeit und degradiert die Sänger zum Rampenschmuck. Handlung ist natürlich sowieso keine zu erkennen.

Das eingespielte Team – man hat die Poppea schon 2018 bei den Salzburger Festspielen zusammen gemacht – performt in all dem Gewusel aber großartig. Kate Lindsey ist ein Nerone mit Mick-Jagger-Körper und einem Sopran zwischen bohrender Erregung und streichelweicher Hingabe, die Poppea gibt Slavka Zámečníková mit Grazie, Glanz und reiner, direkter Stimme. Szilvia Vörös’ Ottavia punktet mit Fülle und Durchschlagskraft in der dramatischen Spitze, der Ottone Xavier Sabatas mit dezenter Intimität.

Wundervoll auch die kleineren Partien

Wundervoll auch die kleineren Partien: der technisch versierte Daniel Jenz und auch Thomas Ebenstein als Ammen. Auch Vera-Lotte Boecker (als Drusilla) und Isabel Signoret als Valletto: top. Trompetenfest und trotzdem geschmeidig: Opernstudio-Mitglied Hiroshi Amako als Zweiter Soldat. Weltklasse. Ihm fast ebenbürtig: Angelo Pollak als Erster Soldat.

Der Concentus Musicus Wien klingt in der Staatsoper leider deutlich homogenisierter als im Musikverein, unter der Leitung von Pablo Heras-Casado gelingen vor allem im Lasziven und Poetischen einzigartige Momente, das Widerborstige fehlt. Die klingenden Dinge sind beim Spanier gern in einem cremig-geschmeidigen Fluss. Das Terzett, in dem Seneca (eintönig, ungelenk: Willard White) bekniet wird, doch bitte nicht zu sterben, gerät ziemlich eilig; auch das berühmte Schlussduett "Pur ti miro" kommt geschwind, von leichter Hand und auch mit schlichter Natürlichkeit über die Rampe. Letzteres tut not, ist man von den fast dreieinhalb Stunden des inflationären Emotionsextremismus davor schon etwas geplättet.

Beim Verlassen der Staatsoper keimen wehmütige Erinnerungen an die wundervolle Poppea-Produktion von Nikolaus Harnoncourt und Jürgen Flimm bei den Salzburger Festspielen Anfang der 1990er-Jahre wieder auf, die so viel mehr an Poesie, an Komik und auch an musikalischer Profiliertheit zu bieten hatte – und das ganz ohne bewegungstechnischen Budenzauber. (Stefan Ender, 8.10.2021)