Finnische Grundschulkinder beim Einüben der Abstandsregeln: Nach einem rasch verhängten, zwei Monate dauernden Lockdown am Beginn der Corona-Pandemie durften sie Mitte Mai wieder in die Schule gehen.

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Flexibles Lernen, Dezentralisierung und gleiche Chancen für alle: Das sind die zentralen Punkte des finnischen Bildungssystems. Wie in Österreich stellte auch dort die Corona-Pandemie das Lernen und Lehren auf die Probe. Was hat Finnland besser gemacht? Welche Rolle spielte die Digitalisierung an den Schulen? Diese und andere Fragen wurden bei einer von STANDARD-Redakteur Eric Frey moderierten Standpunkte-Diskussion der Industriellenvereinigung (IV) am "World Teachers' Day" (5. Oktober) diskutiert.

"Die Krise ist eine Chance, um Bildung weiterzuentwickeln", eröffnete die finnische Botschafterin in Österreich, Pirkko Hämäläinen, die pandemiebedingt virtuell geführte Diskussion. Dem stimmte IV-Generalsekretär Christoph Neumayer in seiner Keynote zu und beschrieb die Corona-Pandemie als einen "Treiber für Digitalisierung, der alle Erwartungen übertroffen" habe.

Flexible Lehrpläne

Im Gegensatz zu Österreich ist die Digitalisierung an den Schulen in Finnland sehr weit fortgeschritten. So gut wie alle Schülerinnen und Schüler können auf digitale Endgeräte zurückgreifen. Ein weiteres Merkmal: Das System sei besonders flexibel. "Wir haben in Finnland ein sehr modernes Curriculum. Lehrerinnen und Lehrer können selbst entscheiden, was sie wie unterrichten", erzählte Ari Myllyviita. Er ist Lehrer an der Viikki Teacher Training School in Helsinki.

Online-Lernplattformen seien seit Jahren in den Unterricht integriert. "Die digitale Infrastruktur wurde lange vor der Pandemie eingerichtet. Die Lehrerinnen und Lehrer waren vorbereitet und konnten auf ein gut funktionierendes Netzwerk zurückgreifen", schilderte Tuija Lindström, Lehrerin und Projektleiterin der Lernplattform Digi One.

Doch auch für die finnischen Schülerinnen und Schüler war das vergangene Schuljahr nicht einfach. Zwei Monate Distance-Learning gab es in Finnland 2020. Verglichen mit Österreich ist das allerdings nichts. Laut der jüngsten OECD-Studie "Bildung auf einen Blick" waren Finnlands Grundschulen und Unterstufen insgesamt nur 38 Tage komplett geschlossen – in Österreich hingegen 74 Tage plus weitere 51 bzw. 93 Tage mit teilweiser Öffnung.

Trotzdem gab es ähnliche Problemlagen. "Wenn Eltern ihre Kinder beim Lernen unterstützen, gab es keine Probleme. Konnten sie das nicht, gab es Probleme", sagte der Programmdirektor der nationalen Bildungsagentur in Finnland, Jouni Kangasniemi. Er verwies allerdings auf schnelle Initiativen, die zu Beginn der Pandemie aufgestellt wurden. Gruppen von Expertinnen und Experten seien beispielsweise Lehrkräften in den Schulen beratend zur Verfügung gestanden.

Auch die Zusammenarbeit unter den Lehrerinnen und Lehrern habe eine wesentliche Rolle gespielt, sowohl in Österreich als auch in Finnland. "Wir haben uns gegenseitig unterstützt – es war immer jemand da, der etwas wusste", erzählte Heinz Knasar, Vizedirektor der International Bilingual School in Graz, und hob den Teamgeist im Schulkollegium hervor.

In Sachen Digitalisierung jedoch hat Österreich noch einiges aufzuholen. Da waren sich die österreichischen Vertreterinnen und Vertreter einig. Der Acht-Punkte-Plan der Regierung kam allerdings mehrfach als Positivbeispiel zur Sprache. Damit sollen Schulklassen mit Endgeräten ausgestattet und digitale Infrastrukturen optimiert werden. "Das ist ein großes Schiff, das wir in Bewegung gesetzt haben", sagte IV-Bildungsexpertin Tina Dworschak.

Digitale Individualisierung

Iris Rauskala, Chief Digital Officer im Bildungsministerium und ehemalige Bildungsministerin, betonte, wie wichtig es sei, den Präsenzunterricht digitaler zu gestalten. Dies bedeute aber nicht nur digitale Endgeräte, sondern eine neue Form des Lernens, die "den individuellen Lernfortschritt" aller Schülerinnen und Schüler in den Vordergrund stelle. Auch für die IV seien Bildungsinhalte wichtiger als die Hardware, betonte Dworschak.

Dieser Meinung waren auch die finnischen Expertinnen und Experten. Die technischen Entwicklungen würden in den nächsten Jahren voranschreiten, darauf müsse man vorbereitet sein. Es gehe vor allem darum, so betonte Bildungsdirektor Kangasniemi, eine "Leidenschaft zu kreieren, das ganze Leben lang mehr lernen zu wollen. Ist das erreicht, sind wir auf der Gewinnerseite." (Verena Mischitz, 7.10.2021)