Premier Andrej Babiš verspricht, für die Menschen im Land zu kämpfen. Seine Gegner werfen ihm vor, vor allem die eigenen Geschäftsinteressen im Blick zu haben.

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Kein Zweifel: Aus Sicht von Andrej Babiš war das Timing ungünstig. Als vergangenes Wochenende die Pandora Papers weltweit für Aufregung sorgten (siehe Wissen unten), da geriet der tschechische Regierungschef unmittelbarer in Bedrängnis als die meisten anderen Betroffenen. Immerhin platzte die Affäre mitten in die Schlussphase des Wahlkampfs. Babiš, amtierender Premierminister und erneut klarer Favorit, sah sich mit einem Mal in der Defensive.

Tatsächlich hatten es die Anschuldigungen in sich. Der Milliardär soll im Jahr 2009 um 15 Millionen Euro mehrere Luxusanwesen an der französischen Riviera gekauft haben – und zwar über Offshore-Briefkastenfirmen, die er erst kurz zuvor gegründet hatte. Rasch wurden Vorwürfe der Steuerhinterziehung und der Geldwäsche laut, die Babiš freilich zurückweist.

Folgenlose Affären

Beobachter gehen indes nicht davon aus, dass die Affäre die Chancen des Premiers maßgeblich senken wird, und verweisen auf die Causa rund um dessen Freizeitressort Storchennest. Bei dieser geht es um den Verdacht des unrechtmäßigen Bezugs von EU-Geldern. Babiš wird deshalb sogar strafrechtlich verfolgt – geschadet hat es ihm bisher kaum.

Wer glaubt, dass das auch diesmal so sein wird, konnte sich Mittwochabend bei der großen Elefantenrunde im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (ČT) bestätigt fühlen. Die Pandora Papers kamen zwar zur Sprache, aber viel mehr als ein paar unwillig vorgetragene, schon oft wiederholte Stehsätze beider Seiten bekam man nicht zu hören.

Laut Umfragen dürfen Babiš und seine liberal-populistische Partei Ano mit 25 Prozent der Stimmen rechnen. Das wäre klar Platz eins. Ano, das ist das tschechische Wort für Ja. Der Name war einst auch als Abkürzung für Aktion unzufriedener Bürger konzipiert – nach acht Jahren Regierungsbeteiligung nicht mehr das vorherrschende Branding.

Wer im offiziellen, alphabetisch geordneten Verzeichnis der kandidierenden Parteien nach Ano sucht, wird übrigens gar nicht fündig. Man muss schon weiterlesen, bis zum Kapitel "Politische Bewegungen". Auch das passt zu Babiš. Er will kein Politiker sein, seine Partei will keine Partei sein. Den Staat führen wie eine Firma – das ist sein Mantra. Und weil er es zum derzeit fünftreichsten Menschen Tschechiens gebracht hat, trauen ihm viele zu, auch ihnen und dem Land Wohlstand und Erfolg zu bringen.

Bündnisse gegen Ano

Tatsächlich konnte Babiš als Premier auch sozialpolitische Akzente setzen, etwa in Form von Pensionserhöhungen. Dadurch gelang es ihm, auch traditionell linke Wählerschichten an sich zu binden. Jener Mann also, der sich gern an der Seite des rechtsnationalen ungarischen Premiers Viktor Orbán zeigt und im Wahlkampf auf scharfe Antimigrationsrhetorik gesetzt hat, wird daheim öfters in die "linke" Schublade gesteckt und wegen zu hoher Staatsausgaben kritisiert.

Als derzeit stärkste Oppositionskraft zeichnet sich mit etwas mehr als 20 Prozent ein Bündnis aus drei konservativen Parteien ab: Die Bürgerdemokraten (ODS), die Christdemokraten (KDU-ČSL) und die einst von Karl Schwarzenberg mitgegründete rechtsliberale Top 09 kandidieren gemeinsam unter dem Namen Spolu – eben "Gemeinsam".

Ein Bündnis gegründet haben auch die Piratenpartei und die liberale Stan (Bürgermeister und Unabhängige). In den Umfragen lag es zuletzt nur knapp hinter Spolu. Dabei wurde Piraten-Chef Ivan Bartoš noch vor dem Sommer als nächster Premier gehandelt. Ano steckte damals im Umfragetief – nicht zuletzt wegen schwerer Vorwürfe rund um die Bekämpfung der Corona-Pandemie, wo Tschechien europäische Rekordinfektionszahlen verzeichnete.

Gleichzeitig eroberte Bartoš mit Dreadlocks, unbekümmertem Auftreten und Themenführerschaft in Bereichen wie digitale Verwaltung oder Klimapolitik ein vielschichtiges Wählersegment rund um die politische Mitte.

Als "traditionelle Partei" konnte Babiš die Piraten kaum abtun. Stattdessen habe er sie mit einer "Antikampagne" überzogen, sagt Bartoš im Gespräch mit dem STANDARD: "Er erzählt sogar in Seniorenheimen, dass die Piraten den Menschen die Pension wegnehmen wollen."

Linksparteien wackeln

Die große Unbekannte vor der Wahl ist das Abschneiden der derzeit mitregierenden Sozialdemokraten (ČSSD). Sie liegen in Umfragen an oder unter der Fünf-Prozent-Hürde. Wenn sie den Wiedereinzug ins Abgeordnetenhaus nicht schaffen, verliert Babiš seinen Koalitionspartner. Den Kommunisten (KSČM), die die Minderheitsregierung toleriert hatten, geht es nicht viel besser.

In den Startlöchern könnte dafür die rechtspopulistische, EU-feindliche Partei Freiheit und direkte Demokratie (SPD) des Tschecho-Japaners Tomio Okamura stehen. Sie will jedoch ein Referendum über einen EU-Austritt zur Bedingung für eine Koalition machen, was eigentlich nicht nach dem Geschmack des Pragmatikers Babiš ist.

Und dann ist da noch die neue Gruppierung Přísaha (Schwur) des Expolizisten Robert Šlachta, der sich als Skandalaufklärer einen Namen machte. Manche halten Přísaha für eine Retortenpartei, die notfalls als Steigbügelhalter für Babiš dienen soll. Přísaha selbst freilich will gar keine Partei sein, sondern eine "Bewegung" – genau wie Ano. (Gerald Schubert aus Prag, 8.10.2021)