Bundeskanzler Sebastian Kurz wird als Bestimmungstäter zu Bestechung und Untreue genannt; es gilt die Unschuldsvermutung

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Die neuesten Vorwürfe der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen Kanzler Sebastian Kurz, sein engstes Umfeld und die ÖVP haben die Republik auf den Kopf gestellt. Beschuldigt sind auch die Zeitungsmacher Helmuth und Wolfgang Fellner, der Verdacht auf Inseratenkorruption steht im Raum.

Frage: Wie soll Kanzler Kurz involviert sein?

Antwort: Was die Vorwürfe der WKStA betrifft, soll Kanzler Sebastian Kurz als sogenannter Bestimmungstäter an den Delikten der Untreue und der Bestechlichkeit beteiligt gewesen sein. "Sebastian Kurz ist die zentrale Person", schreibt die WKStA in ihrer Anordnung zu den Hausdurchsuchungen von Mittwoch, "sämtliche Tathandlungen wurden primär in seinem Interesse begangen". In aller Kürze zusammengefasst, schildern die Ermittler die Rolle von Kurz so: Er habe den damaligen Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, mit Verhandlungen mit den Medienunternehmern Helmuth und Wolfgang Fellner beauftragt sowie mit der Organisation der Kooperation. Er habe sich über deren Status berichten lassen, in einem persönlichen Gespräch Sophie Karmasin "zur Teilnahme an den Tathandlungen" überredet. In der Folge soll er Umfragen bzw. einzelne Fragestellungen beauftragt und auf deren "gesteuerte Veröffentlichung"hingewirkt haben.

Frage: Wozu das alles?

Antwort: Die Umfrage-Ergebnisse und ihre Veröffentlichungen habe Kurz in den Augen der Staatsanwaltschaft "ausschließlich für parteipolitische Zwecke genutzt". Daraus lässt sich strafrechtlich der Verdacht auf Untreue ableiten, denn bezahlt habe das alles das Finanzministerium – also letztlich die Steuerzahler. Der Allgemeinheit sei das aber eben nicht zugutegekommen, schreibt die WKStA in ihrer Anordnung – sondern nur Kurz und der ÖVP. Selbige zählt nun ja auch zu den Beschuldigten gemäß Verbandsverantwortlichkeitsgesetz.

Frage: Wie verantwortet sich Kurz?

Antwort: Der Bundeskanzler hat am Mittwochabend in der ORF-ZiB 2 ausführlich Stellung genommen. Er wies alle Vorwürfe zurück. Den Ermittlungen sehe er "gelassen entgegen". Nicht nachvollziehen kann Kurz, warum "immer ich schuld sein soll", wenn irgendwo Unrecht geschehe. Die Frage der Gegenleistungen für die Inserate "sollte man aufklären", so Kurz. Gleichzeitig betonte er aber auch, dass es keinen Hinweis darauf gebe, dass er in die Inseratenvergabe des Finanzministeriums im Jahr 2016 involviert gewesen sei. Er sei damals weder ÖVP-Obmann noch Bundeskanzler, sondern Außenminister gewesen. "Überhaupt kein Indiz" kann Kurz auch für den Vorwurf erkennen, dass er im Jahr 2016 Umfragen gesteuert hätte.

Frage: Was sagen die anderen Beteiligten?

Antwort: Die Mediengruppe Österreich bestreitet ebenfalls jedweden Deal: "Zu keinem Zeitpunkt gab es zwischen der Mediengruppe Österreich und dem Finanzministerium eine Vereinbarung über eine Bezahlung von Umfragen durch Inserate." In ihrer Stellungnahme beklagt die Mediengruppe noch, dass Konkurrenzmedien wie Heute oder Krone höhere Einnahmen durch Inserate hatten. Die anderen Beschuldigten meldeten sich noch nicht zu Wort. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Frage: Wann hat die Causa Inseratenkorruption ihren Anfang genommen?

Antwort: 2016. Die WKStA geht davon aus, dass es ab "cirka April 2016 mehrere Inseraten- und Medienkooperationsvereinbarungen" zwischen Finanzministerium und den Brüdern Fellner gegeben habe. Damals bereiteten Kurz und sein Team bereits das Terrain für eine spätere Übernahme der ÖVP auf. Die ganze Angelegenheit spielt also in der Zeit des "Projekt Ballhausplatz".

Frage: Was ist das "Projekt Ballhausplatz"?

Antwort: Geht es nach den Türkisen, hat es das eigentlich nie gegeben. Im Ibiza-U-Ausschuss war das Projekt aber ausführlich Thema, und auch die WKStA nimmt immer wieder Bezug darauf. Zugrunde liegt dem eine Sammlung von Dokumenten, in denen sowohl potenzielle Spender als auch Kandidaten für Posten inklusive Ministerämtern aufgeführt werden. Außerdem wird in 61 Schritten skizziert, wie der Weg von Kurz an die Parteispitze und ins Kanzleramt erfolgen könnte. Die Schritte 36 und 37 lauten: "Meinungsumfrage, Medienkooperationen (Inserate etc.)".

Frage: Wie kommt das Finanzministerium ins Spiel? Kurz war doch Außenminister?

Antwort: Durch Thomas Schmid. Der gebürtige Tiroler war damals Kabinettschef und Generalsekretär, also höchster Beamter des Finanzministeriums. Spitze Zungen meinen, dass er der wahre Minister gewesen sei und sich selbigen gehalten habe – unbestrittenerweise hatte er sehr viel Macht in Händen. Diese setzte er auch für seinen Freund Sebastian Kurz ein. Unter dessen Kanzlerschaft wurde Schmid dann bekanntermaßen Alleinvorstand der Staatsholding Öbag mit Jahresgehalt jenseits der 400.000 Euro.

Frage: Wie sind die Ermittler überhaupt auf die Causa gestoßen?

Antwort: Schmid hielt offenbar sein gesamtes Leben und das vieler anderer in Chats fest. Als nach dem Auftauchen des Ibiza-Videos die Ermittlungen rund um Postenschacher bei der Casinos Austria AG (Casag) an Fahrt aufnahmen, wollte Schmid diese Chats löschen und glaubte, das auch getan zu haben. Es fand sich aber noch ein Back-up mit mehr als 300.000 Nachrichten. Die werden nun sukzessive ausgewertet.

Frage: Wie geht es jetzt weiter?

Antwort: Wahrscheinlich wird es nun deutlich gemächlicher weitergehen, zumindest auf rechtlicher Ebene. Zuallererst werden die Ermittler die Ergebnisse der Hausdurchsuchungen auswerten, erklärt Robert Kert, Vorstand des Instituts für Österreichisches und Europäisches Wirtschaftsstrafrecht der WU Wien. Zeitgleich oder danach wird die WKStA die Beschuldigten – zehn sind es in der Causa, einer davon ist Bundeskanzler Sebastian Kurz – vernehmen. So müssen die Ermittler herausfinden, ob sich ihr Verdacht auf unlautere Inseratendeals erhärtet – oder eben nicht. Eine Staatsanwaltschaft muss in Österreich immer in beide Richtungen ermitteln, also auch Entlastendes zusammentragen.

Frage: Inwiefern haben die Vorwürfe mit dem Verdacht auf Falschaussage durch Kanzler Kurz vor dem Ibiza-U-Ausschuss zu tun?

Antwort: Darum geht es in der aktuellen Causa gar nicht. Allerdings gibt es eine indirekte Verbindung: Politbeobachter wundern sich schon länger, warum sich Schmid unter der Kanzlerschaft von Kurz die neue Staatsholding Öbag zimmern und dort zum Alleinvorstand werden konnte. In genau dieser Sache wirft die WKStA dem Kanzler ja vor, vor dem U-Ausschuss falsch ausgesagt zu haben. Damals war Schmid noch im Amt, auch nach Auftauchen vieler peinlicher SMS hielt die ÖVP (und der Öbag-Aufsichtsrat) noch lange an ihm fest. Die neuen Vorwürfe zeigen nun, dass Schmid am Aufstieg von Kurz zentral beteiligt gewesen ist.

Frage: Hat die ÖVP vorab über die Hausdurchsuchungen in der ÖVP-zentrale und im Kanzleramt Bescheid gewusst?

Antwort: Jein. Es gab in den vergangenen Wochen zwei Pressekonferenzen der ÖVP, die etwaige neue Ermittlungsschritte thematisiert haben. Gerüchte über neue Entwicklungen im Casinos-Akt gab es, weil dort viele Akten von der Einsicht, die Anwälte der Beschuldigten nehmen können, ausgenommen worden waren. Das passiert zum Beispiel, um laufende Ermittlungen nicht zu gefährden. Mittlerweile ist klar, dass es sich dabei um Auswertungen handelt, auf denen die Hausdurchsuchungsanordnungen basieren. Die ÖVP wusste aufgrund dieser "Aktenlogik", dass etwas passieren wird – über den Inhalt der Ermittlungen war sie mutmaßlich nicht informiert.

Frage: Kommt da nun noch etwas?

Antwort: Sieht man sich die Ergebnisse des U-Ausschusses an, wird relativ klar, dass im Hintergrund noch einige Themen schwelen. Beispielsweise die Frage, ob es rund um die geplante Neuausgestaltung des Stiftungsrechtes zu Hintergrunddeals gekommen ist. Die jetzt sichergestellten IT-Geräte könnten wieder neue Verdachtsmomente auslösen.

Frage: Welche Verfahrensstränge gibt es noch?

Antwort: Mittlerweile ist eine Vielzahl von (ehemaligen) ÖVP-Politikern ins Visier der WKStA geraten. Auslöser war eine anonyme Anzeige rund um die Vorstandsbestellung in der Casag im Frühjahr 2019. Der alte Vorstand soll aus politischen Gründen abberufen worden sein, was dem Unternehmen wegen Abfertigungen einen Schaden in Millionenhöhe verursacht habe. Deshalb wird unter anderem gegen die einstigen Finanzminister Josef Pröll und Hartwig Löger, Casag-Chefin Bettina Glatz-Kremsner, Schmid (ÖVP), Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus (beide einst FPÖ) ermittelt. Auch die Novomatic geriet in die Ziehung: Sie wird verdächtigt, als damaliger Casag-Miteigentümer einen Deal mit der Politik abgeschlossen zu haben. Um angebliche Spenden der Novomatic an die ÖVP geht es im Verfahren gegen Finanzminister Gernot Blümel.

Frage: Wie steht es mit dem Verfahren wegen des Verdachts auf Falschaussage?

Antwort: Kurz, der den Vorwurf bestreitet, wurde von einem Richter einvernommen, ein Staatsanwalt war dabei. Dessen Fragen beantwortete er zunächst, dann nicht mehr. Der Staatsanwalt verwies auf das Entschlagungsrecht des Beschuldigten. In einer ergänzenden Stellungnahme stellte der Anwalt von Kurz klar, nach seiner Rechtsansicht sei bei der Einvernahme durch das Gericht "keine Befragung durch die Staatsanwaltschaft vorgesehen". (Renate Graber, Fabian Schmid, 7.10.2021)