Im Zentrum der Korruptionsermittlungen gegen Sebastian Kurz steht ausgerechnet das Finanzministerium.

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Für das Image des Finanzministeriums ist es das Worst-Case-Szenario. Die Bediensteten des grauen Gebäudes in der Johannesgasse 5 in Wien sehen sich selbst gern als die Aufpasser über das Steuergeld der Österreicher, als die Hüter über die Finanzstabilität der Republik.

Und jetzt das. Aus der Anordnung der Hausdurchsuchung durch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft geht hervor, dass im Zentrum der Affäre rund um Scheinrechnungen und frisierte Umfragen ausgerechnet das Finanzministerium steht. Es geht um den Verdacht auf Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit. Zum Image der Verlässlichkeit passt es gar nicht gut, dass nun vor allem die Beziehung des Ministeriums zum Boulevardblatt Österreich und oe24.at politische wie juristische Fragen aufwirft. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Im Kern der Ermittlungen geht es um vom Finanzministerium in Auftrag gegebene Studien an die Markt- und Motivforscherin Sabine B. Sie hat selbst und später mit ihrem Unternehmen Research Affairs diverse Studien für das Ministerium erstellt. Seit 2016 summierte sich das Volumen der Aufträge auf 587.400 Euro.

Im Fokus der Ermittler

Die Staatsanwälte interessieren sich vor allem für drei ältere Studien von Sabine B. und zwar aus den Jahren 2016 bis 2018. Eine zur Budgetpolitik, eine zur Betrugsbekämpfung und eine zum Nulldefizit. Dabei ist nicht ganz klar, warum das Ministerium meist von "Studien" spricht, tatsächlich sind es wohl Umfragen zu den erwähnten Themen.

Der Verdacht der Staatsanwaltschaft lautet, dass diese Studien in Wahrheit sowieso nur beauftragt wurden, um parallel "parteipolitische Umfragen" durchführen zu können und abzurechnen. Zu diesen Umfragen gehören jene, in denen 2016/2017 zunächst Noch-ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner in ein schlechtes Licht gerückt werden sollte. Hier kommen die angeblichen Scheinrechnungen ins Spiel und die Chats, in denen der damalige Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, Sabine B. anweist, Rechnungen für Umfragen, die Kurz nützen, mit in die Abrechnungen zu den Studien zu packen.

Dabei gibt es aus Sicht der Staatsanwaltschaft weitere verdächtige Vorgänge. Im Zuge der Studie zur Betrugsbekämpfung, die von August bis September 2017 lief, sollte Sabine B. etwa abfragen, welche Relevanz das Thema Betrugsbekämpfung in der Bevölkerung hat. Neben "sachlichen Fragen" seien auch eine Reihe von Positionen abgefragt worden, die nur für die ÖVP im damals bevorstehenden Wahlkampf relevant waren. Etwa wie die Slogans des damaligen Kanzlers Christian Kern (SPÖ) in der Öffentlichkeit ankamen.

Mit Steuergeld finanziert

Die mit Steuergeldern finanzierten Befragungen – und das ist der zweite wichtige Teil der Geschichte – sollen in die Berichterstattung von Österreich und oe24.at eingeflossen sein. An dieser Schnittstelle zwischen Ministerium, Sabine B. und oe24.at, taucht eine weitere wichtige Akteurin auf: die frühere Familienministerin für die ÖVP, Sophie Karmasin.

Karmasin ist eine der bekanntesten Meinungsforscherinnen des Landes. Sie hatte 2011 die Karmasin Motivforschung von ihren Eltern mehrheitlich übernommen, zu der auch Gallup gehört. Karmasin hat in den Augen der Staatsanwaltschaft ihre Kontakte genutzt, um die wichtigen Player zusammenzubringen. Ihr Unternehmen Gallup war ein Großkunde von oe24.at und hat für die Medienhäuser der Fellners immer wieder Umfragen erstellt. Nach ihrem Regierungseintritt 2014 überschrieb Karmasin die Beteiligung an dem Unternehmen an ihren Mann. Doch die guten Kontakte zu den oe24.at-Eigentümern, den Fellners, rissen nicht ab, so die Staatsanwälte.

Wichtig war noch ein Faktor: Sabine B. hat ihr Handwerk bei der Karmasin Motivforschung gelernt, sie war dort mehrere Jahre als Assistentin der Geschäftsführung tätig. Als Kurz und sein enges Umfeld 2016 die Strategie mit den Umfragen starteten, wandten sie sich an die damalige Familienministerin Karmasin, die Sabine B. vermittelt haben soll.

So wurde das Finanzministerium zur Drehscheibe der Aktion: Von hier aus bekam Sabine B. das Geld überwiesen, das übernahm der hochrangige Mitarbeiter Johannes P. auf Anweisung von Thomas Schmid. Von hier aus wurden im Gegenzug für die Publikationen in Österreich die Gegengeschäfte, die Inserate, beauftragt, so stellt es die Staatsanwaltschaft da.

Weitere Studien

Sabine B. hat seither eine Reihe weiterer Studien für das Finanzministerium erstellt, auch in der Ära von Finanzminister Gernot Blümel. Zuletzt etwa darüber, wie die Bevölkerung die Corona-Hilfen bewertet. Ist das alles ungewöhnlich? Das Institut von Sabine B. ist in der Szene der Meinungsforscher nicht bekannt und gehört auch nicht dem Verband der Marktforschungsinstitute an. Dass Minister diverse Umfragen in Auftrag geben, ist selbst nicht weiter ungewöhnlich.

Die erwähnten Studien von Sabine B. sind allerdings großteils bis heute unveröffentlicht geblieben, zumindest all jene aus den Jahren vor 2020. In einer parlamentarischen Anfragebeantwortung aus dem Frühjahr 2020 wird zum Status von einigen der Studien lediglich der Vermerk "intern" abgegeben. DER STANDARD suchte im Finanzministerium um Zusendung der Studien an: Bisher vergeblich, man suche die Dokumente, hieß es am Donnerstag.

Sophie Karmasin hat sich nach dem Ende ihrer Ministerkarriere von ihrem Unternehmen getrennt: Ihr Mann verkaufte die Anteile an der Karmasin Motivforschung an den Werber Michael Nitsche. oe24.at ist sie bis heute als Analystin treu verbunden. Dabei kooperiert sie eng mit Research Affairs von Sabine B., die ebenfalls weiterhin Umfragen für die Fellners erstellt. (András Szigetvari, 8.10.2021)