Game over: Ist die türkis-grüne Koalition am Ende?

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Stabilität und Ordnung. Stabilität und Verantwortung. Stabilität und Aufklärung. Wie ein Mantra wiederholte Grünen-Chef Vizekanzler Werner Kogler am Donnerstag vor der Hofburg, vor seinem Gang zum Bundespräsidenten, diese Prioritäten.

Die muss der Grünen-Chef in diesen Stunden wohl nicht nur sich selbst versichern. Man kann davon ausgehen, dass die grüne Parteispitze ihre Funktionärinnen und Funktionäre, ihre "Basis", ebenso eindringlich darauf einschwört. Mit Recht und Berechtigung: Nichts wäre derzeit schädlicher für Demokratie und Rechtsstaat, als wenn die Grünen diese Koalition Knall auf Fall verließen, damit ein unübersichtliches Chaos auslösten und die Ermittlungsbehörden der Justiz, die sich so weit vorgewagt haben, nun sich selbst – oder der ÖVP – überließen. Alma Zadić muss weiter Justizministerin und die Grünen müssen vorerst in dieser Koalition bleiben – mit der größtmöglichen Distanz zum Partner.

Dramatische Hausdurchsuchungen

Die dramatischen Hausdurchsuchungen vom Mittwoch können für die Grünen nicht ganz überraschend gewesen sein. Zu nervös, zu erratisch reagierte die ÖVP in den vergangenen Tagen und Wochen – mit seltsamen Pressekonferenzen, hysterischen Anwürfen gegen die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft und offenbar großer Eile beim Verhandeln der Steuerreform. Insofern haben Kogler und sein Team wohl schon länger überlegt, was zu tun ist, wenn die Justiz gegen Sebastian Kurz persönlich vorgeht.

Gewählt haben sie am Donnerstag einen interessanten, wenn auch riskanten, Schachzug. Kogler zweifelte zunächst via Aussendung die Handlungsfähigkeit des Bundeskanzlers an – um gleich darauf Beratungen mit allen Oppositionsparteien und die Konsultation des Bundespräsidenten anzukündigen. Das ist insofern ein smarter Move, als die Grünen damit diejenigen sind, die das Heft des Handelns an sich ziehen – und nicht warten, wie der größere Koalitionspartner nun reagiert.

So gewinnt man auch Zeit, um abzuwarten und eine bessere Übersicht zu bekommen, wie sich die Dinge weiterentwickeln. Einerseits lautet die Frage: War’s das nun vonseiten der Justiz, oder kommt noch etwas? Kommt eine Anklage? Wann kommt sie?

Andererseits rechnete man bei den Grünen wohl damit, dass die ÖVP ihren angeschlagenen Spitzenmann austauschen würde, um ihren Anspruch auf das Kanzleramt zu wahren. Diese Erwartung hat sich, zumindest vorläufig, nicht erfüllt: Kurz will bleiben, und alle Länderchefs und ÖVP-Granden versammeln sich derzeit hinter ihm – wenn auch mit eher dürren Worten.

Die Grünen müssen sondieren

Die Grünen müssen nun sondieren, ob es möglich wäre, eine Art Übergangsregierung mit Experten zu führen, die von den Oppositionsparteien zumindest geduldet werden. Das ist insofern eine schwierige Übung, als man auch die FPÖ einbeziehen müsste – was bei deren Corona-Kurs nur schwer vorstellbar ist.

Dennoch: Eine Konzentrations-Duldungs-Experten-Minderheitsregierung erscheint derzeit als die demokratisch vernünftigere Variante als sofortige Neuwahlen mit einer ÖVP unter Sebastian Kurz, der sich vollends auf die Opferrolle des zu Unrecht Verfolgten verlegt. Politische Verantwortung und Stabilität – das ist es, was der Rechtsstaat Österreich derzeit braucht. Und Aufklärung. Diese kann die Justiz bringen – wenn man sie in Ruhe arbeiten lässt. (Petra Stuiber, 7.10.2021)