Der Friedensnobelpreis solle an jenen gehen, der "am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedenskongressen hingewirkt hat", schrieb Alfred Nobel in seinem Testament. Nicht immer erfüllte die ausgezeichnete Person oder Organisation diese Anforderungen des schwedischen Dynamiterfinders und Preisstifters zum Zeitpunkt der Verleihung oder aber auch in weiterer Folge auch tatsächlich.

Ob der wichtigste Friedenspreis der Welt im Jahr 2021 an einen würdigen Empfänger im Sinne Alfred Nobels gehen wird, wird sich zeigen. Im Vorjahr erhielt das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) und damit eine recht sichere Bank den Preis. 2019 hingegen wurde der äthiopische Premier Abiy Ahmed für seine Friedensbemühungen mit dem verfeindeten Nachbarn Eritrea geehrt. Mittlerweile ist der Regierungschef Äthiopiens in einen blutigen Konflikt in der abtrünnigen Region Tigray verstrickt.

Viele wurden dafür nominiert, nur wenige haben sie auch wirklich verdient: die Medaille des Nobelpreisinstituts.
Foto: AFP/Vergara

329 Kandidaten

Als einziger der fünf Nobelpreise wird der Friedensnobelpreis in Norwegens Hauptstadt Oslo vergeben. Wer die Nominierten sind, bleibt für 50 Jahre unter Verschluss. Lediglich deren Anzahl gibt das Komitee in Oslo bekannt. Für das Jahr 2021 sind dies 329 Kandidaten. 234 davon sind Einzelpersonen, bei 95 handelt es sich um Organisationen. Damit sind im Jahr 2021 etwas mehr Kandidaten im Rennen als im Vorjahr, als es 317 Nominierte gab. Insgesamt belegt das diesjährige Kandidatenfeld den dritten Platz: Rekordhalter ist immer noch das Jahr 2016 mit 376 Vorschlägen.

Da die Nominierungen nicht publik sind, ist für Spekulationen Tür und Tor geöffnet. Heuer führen die Wettbüros die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als wahrscheinlichsten Gewinner – eine Auszeichnung für den Kampf gegen die Corona-Pandemie. Doch die Favoriten sind selten auch die Sieger, und es gibt erhebliche Zweifel, dass nach dem WFP heuer erneut eine UN-Organisation den Preis erhält. In dem Sinne könnten jedoch auch die Impfstoffverteilungsinitiativen Covax und Gavi anstelle der WHO prämiert werden.

Klimaschutz

Ebenfalls hoch im Kurs bei den Buchmachern sind Personen und Organisationen aus dem Bereich Klimaschutz, allen voran die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC, für die dieselbe Einschränkung gilt wie für die WHO) und die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg, die schon in den vergangenen Jahren als sichere Siegerin gehandelt wurde – jedoch, wie gesagt: Favoriten gewinnen den Friedensnobelpreis selten. Der Nobelpreis als Vorschusslorbeeren wurde außerdem zu oft ein Bumerang für das Komitee, siehe Abiy Ahmed, aber auch die myanmarische Regierungschefin Aung San Suu Kyi oder auch Ex-US-Präsident Barack Obama. Dieser erhielt den Nobelpreis kurz nach seinem Amtsantritt und ließ der Auszeichnung wenig Nobelpreiswürdiges folgen. Sein Beispiel unterstreicht eindringlich, dass der nunmehrige Amtsinhaber im Weißen Haus, Joe Biden, den Preis sicher nicht bekommt, auch wenn er bei den Buchmachern gut im Rennen liegt.

Joe Bidens Vorgänger Donald Trump wiederum hat den begehrten Preis in den vergangenen Jahren nicht bekommen und wird wohl auch dieses Jahr wieder leer ausgehen, auch wenn seine Quote bei manchen Wettanbietern auch nicht schlechter liegt als zum Beispiel jene für Großbritanniens Premier Boris Johnson, EU-Kommissionchefin Ursula von der Leyen, den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan oder Indiens Präsident Narendra Modi.

Demokratieaktivisten

Wahrscheinlicher ist da schon ein Sieg politischer Aktivisten wie Swetlana Tichanowskaja und der Bewegung gegen die Diktatur in Belarus oder der Demokratieaktivisten in Hongkong, die sich gegen Repression und Gewalt durch Pekings Machthaber stellen. Hier könnte stellvertretend Nathan Law Kwun-chung den Preis erhalten, vielleicht auch gemeinsam mit dem chinesischen Wirtschaftswissenschafter Ilham Tohti, der sich gegen die Unterdrückung der Uiguren einsetzt. Zuletzt hatte das Nobelpreiskomitee Peking im Jahr 2010 mit der Auszeichnung für Liu Xiaobo vor den Kopf gestoßen. Daraufhin wurde von China als Gegenveranstaltung der "Konfuzius-Friedenspreis" ins Leben gerufen. Mit diesem wurden zwischen 2010 und 2017 so friedliebende Personen wie Robert Mugabe, Fidel Castro, Wladimir Putin und Hun Sen geehrt. Für sechs Jahre ließ Peking Oslo außerdem mit einer diplomatischen Eiszeit seinen Zorn spüren, sogar der Import norwegischen Lachses wurde gestoppt.

Auch die Menschenrechtsaktivistin Aminatou Haidar, die sich für eine Unabhängigkeit der Westsahara einsetzt, ist als Preisträgerin denkbar. Der russische Oppositionelle Alexej Nawalny hingegen dürfte dem Komitee im Gegensatz zu Haidar, Tichanowskaja und Nathan Law viel zu umstritten sein, um ihm den Preis zu verleihen.

Vorstellbar wäre auch eine Auszeichnung im Bereich der Rechte Indigener. Schon in den vergangenen Jahren galt zum Beispiel der Kayapó-Kazike Raoni Metuktire als nobelabel. Metuktire kämpft als Vertreter brasilianischer Indios unter anderem gegen ein Staudammprojekt, er würde damit nicht nur den Faktor Menschenrechte abdecken, sondern auch das En-vogue-Thema Klimawandel bespielen. Das Nobelpreiskomitee, das ungern medialen Modetrends folgt, könnte sich so dennoch als umweltbewusst positionieren.

Pressefreiheit als Motiv?

Möglich ist auch ein Signal in Richtung Pressefreiheit. Überall auf der Welt exponieren sich Journalisten mit einer kritischen Berichterstattung und sind deshalb Repressionen ausgesetzt. Das Peace Research Institute in Oslo (PRIO) gibt jedes Jahr eine Shortlist möglicher Nobelpreisträger heraus. An erster Stelle führt PRIO heuer die Organisation Reporter ohne Grenzen an. Im Vorjahr hatten sie noch das Komitee zum Schutz von Journalisten auf Platz eins. Aber auch die von islamistischen Terroristen verfolgte Redaktion der französischen Satirezeitung "Charlie Hebdo" und der deutsch-türkische Journalist Can Dündar werden als mögliche Kandidaten im Bereich Pressefreiheit genannt.

Unter den Nominierten finden sich schließlich auch die Pfadfinder, die Internationale Raumstation ISS, das Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) und sogar die Nato.

Falls das Komitee keinen würdigen Kandidaten ausmachen kann, besteht jedenfalls immer die Möglichkeit, den Preis auszusetzen. Diese Option wurde zuletzt im Jahr 1972 gezogen. Für das Komitee wäre das auch eine elegante Einsparungsmöglichkeit, da es von massiven Geldsorgen geplagt wird. Die Einkünfte hätten sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten verringert, während die Kosten stiegen. In zwei bis drei Jahren, fürchtet Olav Njølstad, der Direktor des Osloer Nobelinstitutes, könnte die Organisation zahlungsunfähig sein. Zuletzt wandte sich das Institut gar mit einer Unterstützungsbitte an den Storting, das norwegische Parlament. Die Mitglieder des Instituts werden vom Storting ernannt, doch die Unabhängigkeit der Organisation ist höchstes Gebot: Minister und Abgeordnete können nicht zu Mitgliedern ernannt werden. (Michael Vosatka, 8.10.2021)