Neuer Fokus bei Förderungen: Medienforscher Andy Kaltenbrunner.

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Studien in Buchform: "Scheinbar transparent" über Regierungswerbung und Presseförderung.

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Wenn die Vorwürfe rund um den Inseratendeal zwischen der Mediengruppe Österreich und dem Finanzministerium stimmen, sei es "ethisch und demokratiepolitisch ein Wahnsinn", sagt Medienforscher Andy Kaltenbrunner vom Medienhaus Wien. Abgesehen von der strafrechtlichen Relevanz – für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung – ortet Kaltenbrunner ein veritables Glaubwürdigkeits- und Imageproblem für den österreichischen Journalismus insgesamt.

"Für alle, die immer schon Skepsis hatten, ob Journalismus nicht käuflich ist, ist das die Bestätigung", sagt Kaltenbrunner, der sich seit vielen Jahren mit dem Wechselspiel zwischen Politik und Medien auseinandersetzt. "Die Gruppe der grundsätzlichen Systemskeptiker wird wachsen, die glauben, dass Medien und Politik in einem Boot sitzen und miteinander Geschäfte machen."

So verheerend das Bild ist, so klar sei es eine Konsequenz österreichischer Medienpolitik. Das System aus Regierungsinseraten ist für Kaltenbrunner eine "geheime Medienförderung", die eine Schlagseite in Richtung der drei großen Boulevardmedien Kronen Zeitung, Heute und Österreich habe.

Im Jahr 2020 haben Österreichs Bundeskanzleramt und die Ministerien insgesamt 33,5 Millionen Euro für Medienkooperationen mit Tageszeitungen und deren Onlinemedien ausgegeben, wobei 57 Prozent oder 19 Millionen Euro in den Boulevard flossen. Die anderen elf österreichischen Tageszeitungen und deren Onlinedienste teilen sich die weiteren 43 Prozent.

Kanzleramt stockte ordentlich auf

Das belegen die Zahlen des Medientransparenzgesetzes, das die Inserate öffentlicher Stellen erfasst. Andy Kaltenbrunner hat sie jetzt in dem Buch Scheinbar transparent. Inserate und Presseförderung der österreichischen Bundesregierung veröffentlicht und sie mit der Presseförderung in Verbindung gesetzt. Die Studie wurde finanziell von mehreren österreichischen Tageszeitungen wie dem STANDARD unterstützt. Die Unterstützer konnten keinen Einfluss auf den Inhalt nehmen.

Vor allem das Kanzleramt hat im Corona-Jahr 2020 kräftig inseriert. So haben sich die Ausgaben auf rund 15 Millionen Euro vervielfacht. Im Gegensatz zu Deutschland etwa ressortieren in Österreich die Corona-Werbeausgaben nicht beim Gesundheitsminister, sondern beim Kanzler. Am Mittwoch hatte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in der "ZiB 2" gesagt, das Kanzleramt schalte die Inserate transparent und nach einer eigenen Formel. Berücksichtigt werden neben der Mediaanalyse, die Aufschluss über die tatsächlichen Leserzahlen gibt, auch die Printauflagen der jeweiligen Medien.

Kaltenbrunner hält das für geradezu absurd: "Es ist unsinnig, das als Währung heranzuziehen." Es gehe schließlich nicht um gedrucktes Papier, sondern um Köpfe, die mit den Inseraten erreicht werden sollen. "Das ist eindeutig eine Lex Gratiszeitung, weil die müssen am meisten Papier produzieren und hoffen, dass die Leute das mitnehmen", sagt Kaltenbrunner zum STANDARD. Das sei auch ein "fatales Signal" für den Journalismus insgesamt, denn: "Es wird etwas gefördert, das gegen das zukunftsfähige, vernünftige Vertriebsmodell geht."

4,65 Euro pro Kopf

Im Jahr 2020 wurde pro Leserin und Leser für Regierungswerbung im Durchschnitt etwa doppelt so viel ausgegeben wie noch im Jahr 2018, nämlich 4,65 Euro. An der Spitze steht "Österreich/Oe24" mit Ausgaben von 8,22 Euro pro Leser, gefolgt von den "Vorarlberger Nachrichten" (7,40 pro Leser) und "Heute" mit 6,86 Euro. Am unteren Ende der Skala rangieren die "Oberösterreichischen Nachrichten" (2,98 Euro) und DER STANDARD mit 2,43 Euro pro Leser.

Überhaupt nicht in Relation zu den Userzahlen steht für Kaltenbrunner die Werbung in Onlinekanälen österreichischer Tageszeitungen, die sich 2020 nur auf 3,8 Millionen Euro beliefen, während Print knapp 30 Millionen Euro abräumte. Die Kriterien für die Schaltung von Onlineanzeigen seien darüber hinaus komplett willkürlich, so Kaltenbrunner.

Keine klaren Kriterien

95 Prozent der Regierungsinserate kamen 2020 von ÖVP-geführten Ministerien, nur fünf Prozent von den Grünen. Die Streuung der Etats zeige, dass weder zwischen Ministerien, noch zwischen Koalitionspartnern eine nachvollziehbare gemeinsame Vergabeformel als Buchungsgrundlage akkordiert oder übergreifend akzeptiert wurde, heißt es in der Studie. "Die Inseratenpolitik der Bundesregierung verzerrt damit den Tageszeitungsmarkt entlang beliebig gezogener Linien zugunsten einzelner Marktteilnehmer."

Dass die Abhängigkeit der Medienhäuser von Regierungsgeldern wie Inserate, Presseförderung oder Privatrundfunkförderung steige, zeige ein Blick in die Bilanzen. Ein großer Teil der Verlage würde ohne die öffentliche Hand negativ bilanzieren. Das Pendel schlage immer mehr in Richtung Politik aus, was die Abhängigkeiten weiter zementiere. Am höchsten sei das bei den Gratiszeitungen. "Zwischen 20 und 40 Prozent der Umsätze stammen aus öffentlichen Mitteln, das ist enorm."

Kaltenbrunner fordert, dass die Presseförderung viel höher dotiert gehöre. "Sie braucht viel, viel mehr Geld, während man die Inserate zweifellos zurückfahren könnte, die ja eine geheime Presseförderung nach persönlichem Belieben der jeweiligen Ministerinnen und Minister sind. Das geht nicht." Derzeit beträgt die Presseförderung rund neun Millionen Euro pro Jahr. Es komme auf das System an und ob man etwa die neu angedachte Digitalmedienförderung berücksichtige, aber: "Wahrscheinlich wären 100 Millionen Euro ein sinnvoller Budgeteinsatz." (Oliver Mark, 8.10.2021)