Die Philippinin Maria Ressa und der Russe Dmitri Muratow erhalten den Friedensnobelpreis des Jahres 2021. Diese Entscheidung gab Berit Reiss-Andersen, die Vorsitzende des norwegischen Nobel-Komitees, am Freitag bekannt. Die Journalisten werden für ihren Einsatz für die Pressefreiheit auf den Philippinen und in Russland ausgezeichnet.

Ressa gründete das regierungskritische Nachrichtenportal "Rappler". Muratow war von 1995 bis 2017 Chefredakteur der Zeitung "Nowaja Gaseta".

Maria Ressa gründete das Portal "Rappler".
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Dmitri Muratow leitete die "Nowaja Gaseta".
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Die Verleihung des Preises an Ressa und Muratow unterstreiche die Wichtigkeit des Schutzes und der Verteidigung für diese Grundrechte. Die Freiheit der Rede und der Presse sei Grundlage für Demokratie. Demokratische Gesellschaften verhindern Konflikte, argumentierte Reiss-Andersen die Vergabe. Dies sei keine Erweiterung des Friedensnobelpreises von seiner ursprünglichen Zielgruppe. Sie erinnerte an die Preisvergabe an den deutschen Journalisten und Pazifisten Carl von Ossietzky im Jahr 1936.

Lügen als Virus

Im Interview mit dem STANDARD erklärte Ressa im September, Lügen würden sich auf sozialen Medien wie Facebook wie ein Virus verbreiten. An die zwanzig Verfahren hat das Regime von Präsident Rodrigo Duterte gegen Ressa und Rappler angestrengt, von Vorwürfen der Steuerhinterziehung bis zu einem – sehr konstruierten – Vorwurf der Verleumdung. Ressa gilt als eine der lautesten Stimmen gegen Duterte, der für sein brutales Vorgehen gegen die Drogenkriminalität heftig kritisiert wird.

Ressa wuchs in Manila auf und übersiedelte als Kind mit den Eltern nach New Jersey. Sie studierte Biologie und Englisch in Princeton mit Auszeichnung. Sie hat die US-Staatsbürgerschaft und begann 1987 beim Nachrichtensender CNN International als Journalistin. Ab 1988 leitete sie das CNN-Büro in Manila, ab 1995 jenes in Jakarta in Indonesien. Sie spezialisierte sich als Investigativreporterin von CNN in Asien auf Recherchen zu terroristischen Netzwerken. 2004 bis 2010 war sie Nachrichtenchefin beim philippinischen TV-Sender ABS-CBN, dem Dutertes Regime 2020 die Sendelizenz entzogen hat.

"Ich denke, das zeigt, dass das Nobelpreis-Komitee realisiert hat, dass eine Welt ohne Fakten eine Welt ohne Wahrheit und Vertrauen bedeutet", kommentierte Ressa am Freitag ihre Auszeichnung. die Philippinerin am Freitag in einem Interview ihres Online-Nachrichtenportals "Rappler".

Rappler

"Wenn wir in einer Welt leben, in der Fakten umstritten sind, und in der die weltweit größten Verteiler von Nachrichten die Verbreitung von Wut und Hass priorisieren und diese schneller und weiter verbreiten als Fakten, dann wird Journalismus zu Aktivismus", so Ressa weiter. Der Preis gebühre nicht ihr, sondern "Rappler".

Redaktionsgründung mithilfe von Gorbatschows Nobelpreis

Gemeinsam mit anderen Journalisten verließ Muratow im Jahr 1992 die "Prawda" und gründete im Folgejahr eine neue unabhängige Zeitung. Das Geld für die Redaktionscomputer stammte von Michail Gorbatschow, der hierzu seinen Friedensnobelpreis von 1990 verwendete.

Die "Nowaja Gaseta" ist eine der wenigen unabhängigen Zeitungen Russlands. Mehrere Journalisten der "Gaseta" wurden seit ihrer Gründung 1993 getötet, im Jahr 2006 wurde Anna Politkowskaja ermordet, nachdem sie kritisch über das russische Vorgehen in Tschetschenien berichtet hatte. Wie auch bei "Rappler" auf den Philippinen sticht die Berichterstattung der "Nowaja Gaseta" durch einen Fokus auf Korruption und die Verknüpfung von organisierter Kriminalität, Behörden und Amtsträgern hervor.

Von 1995 bis 2017 war Muratow Chefredakteur der "Gaseta", gewählt von den Mitgliedern der Redaktion, die auch die Mehrheitsanteile der Zeitung besitzen.

Der 59-Jährige erklärte in einer ersten Stellungnahme, er wolle die Geldprämie für die Entwicklung des unterdrückten Journalismus in seinem Land einsetzen. "Wir werden versuchen, Leuten zu helfen, die jetzt als Agenten eingestuft sind", sagte Muratow in einem Interview mit dem unabhängigen Portal Meduza. Dieses ist von den Behörden ebenfalls als "ausländischer Agent" eingestuft. Er habe die Auszeichnung nicht erwartet und deshalb den Anruf aus Norwegen gar nicht angenommen.

Kreml gratuliert

"Wir können Dmitri Muratow gratulieren. Er arbeitet stringent anhand seiner Ideale, er ergibt sich seinen Idealen. Er ist talentiert und mutig", zitierte die Agentur Interfax den Krel-Sprecher Dmitri Peskow. Das sei eine hohe Wertschätzung. Ob auch Präsident Wladimir Putin gratulieren werde, sei noch nicht klar.

Auch UN-Generalsekretär António Guterres hat Ressa und Muratow gratuliert. "Diese Anerkennung ist eine Erinnerung daran, dass keine Gesellschaft ohne Journalisten frei sein kann, die Fehlverhalten untersuchen und den Machthabern die Wahrheit sagen können", schrieb Guterres am Freitag in New York. Die Pressefreiheit sei für Frieden, Gerechtigkeit und Menschenrechte von entscheidender Bedeutung, betonte Guterres.

Abschluss der Nobelpreiswoche

Der Friedensnobelpreis bildet – nach Medizin, Chemie, Physik und Literatur – traditionell den Abschluss der Nobelpreiswoche. Nominiert waren heuer 329 Kandidaten – 234 Personen und 95 Organisationen. Mehr Informationen gibt das Komitee nicht bekannt, die Unterlagen sind für 50 Jahre unter Verschluss. Die Zahl der Nominierten ist die dritthöchste in der Geschichte des Preises. Im Vorjahr erhielt das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen die renommierte Auszeichnung.

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Der mit zehn Millionen schwedischen Kronen (rund 980.000 Euro) dotierte Friedensnobelpreis wird in Oslo verliehen, im Gegensatz zu den anderen Preisen, für die das Stockholmer Institut zuständig ist. Übergeben wird der Preis am 10. Dezember, dem Todestag Alfred Nobels. (Michael Vosatka, 8.10.2021)