Für ein selbstbestimmtes Leben in allen Lebensphasen müssen auch in jeder Lebensphase Vorkehrungen getroffen werden.

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Das Verhältnis zwischen Berufstätigen und Pensionisten lag früher bei 5:1. Derzeit stehen wir bei einem Verhältnis von 1,7:1. Da das österreichische Pensionssystem ein Umlageverfahren ist, braucht es jetzt schon 21 Milliarden Euro zusätzlich an Steuergeldern, um die Pensionen zu zahlen. Der Peak der Demografie ist aber noch nicht erreicht. Die sogenannten Babyboomer sind jetzt im bzw. kommen in den nächsten Jahren ins Pensionsalter.

Daraus ergeben sich massive Veränderungen. Gut oder schlecht? Jeder kann es steuern – es liegt in seinem persönlichen Einflussbereich. Dazu braucht es aber viele Dialoge, die Antworten darauf geben, wie ein gutes Leben gelingen kann. Unsere Gesellschaft hat auch den Tod ausgesperrt, obwohl wir wissen, dass er unvermeidlich ist. Als Pflegeexpertin habe ich oftmals den Tod als Freund erlebt. Nach monatelanger Beatmung auf der Intensivstation oder nach Jahren mit chronischen Schmerzen und Bettlägerigkeit. Da lernt man nicht nur das Leben zu schätzen, sondern auch ein friedvolles Ende.

Selbstbestimmtes Leben

Eine weitere Frage, die wir uns alle stellen sollten, ist deshalb: Wie kann ich selbstbestimmt bleiben – in jeder Lebensphase? Selbstbestimmt zu leben heißt, gut für sich selbst zu sorgen. Sich Gedanken zu machen über Lebensträume, die gelebt werden wollen, aber auch die Grenzen von Wiederbelebung in Notfallsituationen. Nur rund vier Prozent der österreichischen Bevölkerung hat eine Patientenverfügung verschriftlicht. Eine Katastrophe für jeden Einzelnen und die Familien. Denn diese Nichtentscheidung innerhalb der Familie hat zur Folge, dass Angehörige in Krisensituationen entscheiden müssen, ob beispielsweise bei schlechter Prognose die Beatmung weiterlaufen soll. Oder haben Sie sich die Frage gestellt, wer Zugriff auf Ihre Finanzen hat, wenn Sie Pflege oder Hilfsmittel brauchen? Dabei ist natürlich die Vertrauensfrage ganz zentral.

Alle diese Entscheidungen kann nur jeder für sich treffen. Dabei gilt die Devise: je früher, desto besser. Die Vorsorgeplanung soll durch alle Lebensphasen "mitwachsen". Ist in jungen Jahren schon der digitale Nachlass von Bedeutung, so werden Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht in der Familienphase zunehmend wichtig. Wussten Sie, dass Erben auch den digitalen Nachlass antreten? Dass sie alle Rechte und Pflichten für die bestehenden Social-Media-Kanäle übernehmen? Kennen Sie alle Passwörter Ihrer Familienangehörigen? Nicht selten passiert es, dass einem Verstorbenen auch drei Jahre nach seinem Tod im Internet noch zum Geburtstag gratuliert wird.

Sinnfrage stellen

Vielen Menschen sind die Konsequenzen einer fehlenden selbstbestimmten Entscheidung nicht bewusst. Notfallmediziner oder Pflegekräfte müssen alles tun, um Leben zu retten. Aber wäre es auch der Wunsch des Menschen, dass er beispielsweise das dritte Mal im Pflegeheim reanimiert wird, weil es keine verschriftlichten Wünsche gibt? Viele Pflegekräfte stellen sich diese Frage tagtäglich. Sicherheitshalber wird reanimiert oder ins Krankenhaus eingewiesen, um keine Klage zu riskieren. Wo bleibt hier die Würde? Auch diese ethischen Fragen müssen wieder gesellschaftsfähig werden. Denn Würde muss jeder für sich selbst bestimmen.

Unterstützen können dabei Expertenteams aus Community-Health-Nurses mit speziellen Fortbildungen, die nach Bedarf Erwachsenenschutzvereine, Ärzte oder Notare beiziehen. Wann ist der richtige Zeitpunkt, um vorzusorgen?

Die Antwort ist einfach: Immer dann, wenn man sich die Sinnfrage stellt. Und die beginnt in jungen Jahren mit der Wahl der Ausbildung, Berufswahl oder des Lebensstils. Bei der Familiengründung ist es von Bedeutung, seine Familie nicht nur finanziell abzusichern, sondern seine Wünsche zu deponieren. Die Sinnfrage wird in der Lebensmitte noch einmal drängend. Die Kinder sind flügge, und Haus oder Wohnung sind zu groß geworden.

Die Suche nach Glück

Einige Lebensträume wurden schon viele Jahre verschoben, und es kommt die Frage auf: Was macht mich wirklich glücklich? Viele Studien beweisen, dass um die Lebensmitte herum die Glückskurve steil nach oben geht. Nach den verantwortungsvollen Jahren für Familie und Sicherung des Lebensunterhaltes bahnt sich danach meist der Wunsch nach Entfaltung an – noch einmal einen neuen Beruf ergreifen oder das Hobby zum Beruf machen. Das Studium nachholen, das man in jungen Jahren versäumt hat. Vielleicht mit Gleichgesinnten ein Start-up gründen und Lösungen für die Klimakrise initiieren. Den Träumen und Wünschen sind hier keine Grenzen gesetzt. Eine Bucket-List, was noch erlebt werden muss, damit es ein gelungenes Leben ist, kann hilfreich sein.

Viele aus der sogenannten Babyboomer-Generation möchten später in Gemeinschaft leben. Oftmals fällt der Begriff der "Alten-WG". Das ist ganz sicher ein Zukunftsmodell. Viele haben aber die Vorstellung, dass man dann erst in eine Hausgemeinschaft geht, wenn man Hilfe braucht. Nur dann ist es eindeutig zu spät. Eine gute Gemeinschaft muss wachsen können. Ein glückliches Leben braucht den Weg, den Dialog für den gemeinsamen Nenner. Es ist ein Kinderglaube zu meinen, dass Gemeinschaft automatisch entsteht. Unzähligen Fragen des gemeinsamen Lebens und Wohnens sowie den Bedürfnissen von Nähe und Distanz ist Rechnung zu tragen.

Diese Vorsorgekultur in Gemeinde und Grätzel zu verankern ist künftig eine Hauptaufgabe der Community-Health-Nurse. Das Lebensglück entsteht durch mutiges Leben und nicht durch die Anzahl der Jahre – ein Motto der Zukunft! (Rosa Maria Eglseer, 13.10.2021)