Amadeus-geadelt und Austropop neuer Machart: Das Duo Edmund – benannt nach Edmund Sackbauer, eh kloar.

Foto: Carina Antl

Schon die ersten Worte des Babys machten klar, dass Hamburg damit seine Probleme haben würde: "Glaubst i bin bleed, dass i waß, wos i wü" oder "Wia a Glock’n, de 24 Stund’n leit’".

Als in den 1960ern die schleichende Geburt des Austropop eingeleitet wurde, zeigte sich, dass diese Musik etwas sehr Eigenes besitzen würde – ein Geburtsmal namens Dialekt, und den würden nicht alle überall verstehen. Doch er zeichnete eine Musikgattung aus, deren Wurzeln bis ins satirische Theater des 19. Jahrhunderts zurückreichen und die sich im 20. Jahrhundert über das Kabarett und den Schlager der Nachkriegszeit in etwas verwandelte, das zutiefst österreichisch klang und von Ö3 in den 1970ern den Stempel Austropop verpasst bekam.

Den Begriff mit seiner patriotischen Aura empfanden viele der davon erfassten Künstler als Stigma, doch er sollte sich halten. Bis heute. Wobei sich unter neuen Vertretern des Fachs ein phlegmatischer Umgang mit dieser Wortschöpfung eingestellt hat. Außerdem boomt das Fach: Bei der heurigen Amadeus-Verleihung waren Dialektmusiker wieder besonders stark vertreten, sogar Ö3 nominierte mit dem jungen Salzburger Chris Steger und dessen Hit Zefix einen solchen. Das war lange Zeit nicht selbstverständlich.

Gebrandmarkt und verbannt

Schließlich wurde Austropop in den 1990ern unter dem damaligen Ö3-Musikchef und jetzigen Staatsoperndirektor Bogdan Roščić aus dem Sender verbannt. STS-Mann Schiffkowitz erinnert sich: "Der Roščić hat einmal gesagt, die einzige heimische Popmusik, die er akzeptiert, ist die, der man ihre Herkunft nicht anhört." Diese Sichtweise hat sich vor allem auf Publikumsseite geändert, so wie der Austropop, den Roščić dem Ö3-Radio austrieb wie ein Exorzist den Teufel.

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Der heutige österreichische Pop ist breit gefächert. Vieles klingt zeitgemäß und reicht von den Urban-Versuchen eines Dominik Gassner über die breitenwirksamen Gassenhauer von Wanda oder Seiler und Speer zu den beliebig durch die Sprachen kreuzenden Bilderbuch oder zu den geistvollen Kleinoden von Sibylle Kefer oder Sigrid Horn. Oder den das Wiener Schnöselidiom strapazierenden Kahlenberg. Und, und, und. Doch zu dieser Eigenständigkeit war es ein Weg.

Schein und Schleim

Die heimische Populärmusik der Nachkriegszeit suchte ihr Heil zuerst im Kopieren angloamerikanischer Vorbilder – oder lullte das noch vom Krieg gezeichnete Publikum mit der Schein- und Schleimwelt des deutschen Schlagers ein.

Doch dann kamen Künstler wie die 1960 gegründete Worried Men Skiffle Group oder Marianne Mendt und markierten mit Stücken wie Glaubst i bin bleed oder Wia a Glock’n eine Zeitenwende. 1970 gilt mit allen Unschärfen als Geburtsjahr des Austropop. Der steirische Musiker und Zeitzeuge Boris Bukowski spricht davon, dass es nach der Beschämung und Mitschuld an einem entsetzlichen Krieg ein Mittel war, wieder etwas Selbstwertgefühl zu bekommen. "In der Musik hat sich das so niedergeschlagen, dass man in seiner Gosch’n singen durfte."

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Diese eigene Gosch’n wirkte als identitätsstiftende Brücke ins Publikum und zeitigte abenteuerliche Bastarde. Von Wilfrieds Ziwui Ziwui über die launigen Kaffeehausbetrachtungen eines Georg Danzer bis zu den morbiden Hits des Wolfgang Ambros.

"Bist du deppert, des geht jetzt?"

Schiffkowitz von der steirischen Band STS: "Als wir das erste Mal den Wolferl mit dem Hofa gehört haben, haben wir gedacht: ‚Bist du deppert, das geht jetzt?‘" Schiffkowitz hatte damals einen Plattenvertrag in England in Aussicht. Das hätte bedeutet, dorthin zu ziehen, dort eine Band zusammenzustellen, dort zu touren. Und das ohne Geld. Die Frage lautete, Englisch oder Dialekt?"

STS entschieden sich für den Dialekt und landeten später mit Fürstenfeld einen ersten Hit, der zu den Klassikern des Genres zählt. "Wir waren ja sechs Jahre lang erfolglos – doch dann kam das Magazin Wiener nach Graz und hat eine Geschichte geschrieben, in der wir vorkamen. Ihr Titel war ‚Der Triumph des Primitiven‘, sie war also in böser Absicht verfasst, doch sie hat uns immens geholfen."

Einfacher und schwierig zugleich

In Fürstenfeld vermeinten viele, eine Ode an die Provinz zu erkennen. Von der Provinz zum Provinzialismus ist es nicht weit, und das ist ein Vorwurf, der Austropop bis heute begleitet. Er würde eine chauvinistische Mir-san-mir-Mentalität befördern, Dialekt-Pop sei peinlich oder prollig. Mit der Zuschreibung "prollig" wurde auch Marianne Mendt konfrontiert, erzählt Voodoo Jürgens.

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Der Niederösterreicher singt ebenfalls im Dialekt und pflegt Klischees, wie man sie aus TV-Klassikern wie Kottan ermittelt oder Ein echter Wiener geht nicht unter kennt. Er sagt: "Dialekt ist einfacher und schwieriger zugleich. Einfacher, weil man sich besser ausdrücken kann, schwieriger, weil man sich mehr öffnet. Es hat sich plötzlich viel verletzlicher angefühlt." Mit patriotischen Gefühlen habe heimischer Pop jedenfalls kaum je zu tun. Da gilt, was Schiffkowitz sagt: "Ich war nie ein Patriot, ich bin ja nur zufällig hier geboren worden."

Nichts verschönern

Für Christopher Seiler von Seiler und Speer ist Dialekt "die Sprache, in der ich denke und die deshalb der kürzeste Weg ist, wie ein Song aufs Papier findet. Im Schlager wurde Hochdeutsch gesungen, das war schön kitschig. Austropop will aber nichts verschönern. Er verwendet eine eher grobe Sprache, und die beschreibt das richtige Leben und keine Scheinwelt." Außerdem, sagt Seiler, würde die Alltagssprache Zwischentöne leichter vermitteln, den Schmäh sowieso.

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In dieselbe Kerbe schlägt Markus Kadensky. Er und Roman Messner ergeben die heuer mit einem Amadeus gewürdigte Band Edmund. "Im Dialekt zu schreiben ist einfach authentischer. Wir haben Lieder in Hochdeutsch geschrieben, aber das hat gekünstelt geklungen." Das ist ein gängiger Einwand: Wenn heimische Bands Hochdeutsch singen, wird ihnen vorgeworfen, sich "den Piefke" anzudienen. Ein Anwurf, von dem Christina Stürmer einige Lieder singen kann. Und bleiben sie im Dialekt, lautet der Vorwurf, provinziell zu sein.

Verständlich im Wahlsprengel

Die Liedermacherin Sigrid Horn aus Ybbs sagt dazu: "Man kann in jeder Sprache provinziell sein – aber wenn man Sprache mit einem gewissen Niveau verknüpfen will, geht das auch im Dialekt." Die Hauptsache sei doch, dass man sich in der gewählten Sprache wohlfühle. Das überwinde vermeintliche Barrieren: "Ich habe nach Konzerten in Hamburg mit Leuten geredet, die haben gesagt, sie hätten zwar nicht alles verstanden, es sei dennoch sehr schön gewesen."

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Das ruft ein Extrembeispiel in Erinnerung, den famosen Holstuonarmusigbigbandclub aus Vorarlberg. Die mittlerweile aufgelöste Band verzeichnete 2010 mit der torkelnden Promille-Ballade Vo Mello bis ge Schoppornou einen Ö3-Hit, den außerhalb ihres Xiberger Wahlsprengels auch nur wenige verstanden haben. Das Feeling schlug die Brücke ins Publikum. Und das ist es, was zählt, und nicht, was der Duden sagt. (Karl Fluch, 9.10.2021)