Carsten und Uri (Leonard Schleicher – re. und Marius Ahrendt) entwickelten in den 1990er-Jahren am Groß-PC eine einmalige Software. Doch nur Google profitierte.


Foto: Netflix

Die Erleichterung ist Gert Monath anzuhören: "Wir hatten große Sorge, weil wir nicht wussten, was am Ende dabei rauskommt und wie wir dann dastehen, denn als Art+Com waren wir in die Produktion ja nicht einbezogen." Mit dem nun vorliegenden und bei Netflix abrufbaren Ergebnis ist der Mediendesigner und Geschäfteentwickler der Medienkunstagentur nun hochzufrieden. Die Netflix-Serie The Billion Dollar Code erzählt die wahre Geschichte um die Entwicklung von Terravision, einer Software, mit der es erstmals möglich war, die ganze Welt als virtuellen Globus darzustellen, und wie sich der Webriese Google diese Erfindung aneignete, ohne dafür je einen Dollar zu zahlen.

"Was auf den Bildschirmen zu sehen ist, stimmt bis ins Kleinste", sagt Monath vorweg und lobt Präzision, Intelligenz des Drehbuchs und die "große Mühe der Filmemacher".

Was genau geschah, erzählt die Serie verdichtet am Beispiel zweier Computernerds. Carsten Schlüter und sein Freund Juri Müller – in jungen Jahren gespielt von Leonard Schleicher und Marius Ahrendt, später von Mark Waschke und Mišel Matičević – erfinden im wilden Berlin der 1990er-Jahre eine Anwendung, mit der es möglich ist, sich an jeden beliebigen Ort der Welt hinzuzoomen. Die Möglichkeiten ihrer Ideen werden ihnen erst langsam bewusst. Das Interesse potenzieller Geldgeber ist enden wollend. Allein die Deutsche Telekom lässt sich auf die Finanzierung ein.

Internet geht vorbei

Halbherzig, denn deren Überzeugung ist, dass das Internet auf lange Sicht ein Fall für die Wissenschaft ist und das auch so bleiben würde. Ein Besuch im Silicon Valley bringt schließlich den Durchbruch. Google wird aufmerksam, trickst die beiden aus und macht daraus Google Earth und damit Millionen. Jahre später – die zweite Zeitebene des Vierteilers – gehen Carsten und Juri gegen den Weltkonzern gerichtlich vor. David gegen Goliath.

In Wahrheit waren es mehrere Davide, konkret ein Team rund um Art+Com-Kreativ-direktor Joachim Sauter, Pavel Mayer, Axel Schmidt und Gert Grueneis. Monath arbeitete damals als 3D-Designer an der Entwicklung von Terravision mit.

Die Idee beruht auf einer Begegnung des Drehbuchautors Oliver Ziegenbalg mit dem inzwischen verstorbenen Kreativdirektor Sauter: "Die beiden lernten einander zufällig kennen. Als die Geschichte zur Sprache kam, war Oliver sofort Feuer und Flamme."

Künstlerische Freiheiten erlaubten sich die Macher aber doch: Einen Streit zwischen den Freunden habe es nie gegeben. Ein dramaturgischer Kniff, den Monath nicht so gut findet: "Eine der wenigen Sachen."

Mut gegen Google

Mut beweist der Vierteiler gegen Google. In einer Szene wird behauptet, dass der Medienriese bei Patenten systematisch vorgegangen sei. "Dass Google bei der Abwehr von Patentklagen eine Strategie verfolgte, wie die Film-Anwältin argumentiert und manche mutmaßten, die sich mit dieser Materie auskennen, ist durchaus möglich", sagt Monath. "Google konnte mit finanzieller Macht vieles verhindern."

Reaktionen von Google gab es bis dato keine. Angeblich sei man nicht amüsiert, heißt es aus eingeweihten Kreisen. Das endgültige Urteil bleibt trotz allem ein Rätsel.

ACHTUNG – DER NÄCHSTE ABSATZ ENTHÄLT EINEN SPOILER!

Art+Com hatte ein bestätigtes Patent. "Aus sachlichen Gründen ist nicht nachvollziehbar, warum Google den Prozess gewann", sagt Monath. Seine Erklärung hat mit dem US-Rechtssystem zu tun. Bei dem Verfahren saßen Laien auf der Geschworenenbank, die am Anfang per Kurzvideo über Begriffe wie Patentrecht und Software informiert wurden. "Die Entscheidung trafen Leute, die inhaltlich von der Materie überhaupt keine Ahnung hatten." Ebenso ein Thema spielten Herkunft und Optik der deutschen Kläger: "Da steht so eine kleine Medienbude aus Deutschland dem größten, aufstrebenden, modernen Internetunternehmen gegenüber", formuliert Monath den Eindruck, den die Leute von Art+Com bei den Geschworenen wohl hinterlassen haben. Das Urteil selbst sei am Wochenende vor Thanksgiving gefallen, wo es Amerikaner heim zu ihrer Familie zieht. In 30 Minuten war das Urteil gefällt. Eine Revision des Verfahrens wurde ebenfalls abgelehnt. Für Monath und die Leute von Art+Com "richtig niederschmetternd".

Es bleibt eine gewisse Genugtuung. "Wir haben eine der wichtigsten Erfindungen des Computerzeitalters gemacht. Aber es weiß kein Mensch", sagt Carsten am Beginn und hat damit Monaths volle Zustimmung. Das ändert die Serie gerade. (Doris Priesching, 9.10.2021)