In der Küche hinter dem Hofladen brutzelt das Mittagessen in der Pfanne. Der Duft von geräuchertem Beifuß liegt in der Luft. Gerhard Zoubek nimmt am großen Holztisch hinter Bündeln an frischen Kräutern Platz, während draußen im Garten leiser Nieselregen einsetzt.

Gerhard Zoubek: "Ein Monopol hat Bauern nie gutgetan: Dessen Brot ich esse, dessen Lied ich singe."
Foto: Christian Fischer

STANDARD: Oktoberregen bringt ein Jahr voller Segen, besagt eine Bauernregel. Hält sie, was sie verspricht?

Zoubek: Na ja, ich habe als nicht gelernter Bauer da schon Nachholbedarf. Altes überliefertes Wissen hat etwas für sich. Aber meine Frau ist nicht in diesem Umfeld aufgewachsen. Und auch ich weiß vieles nicht.

STANDARD: Sie handelten einst mit Landmaschinen. Heute bauen Sie mit Ihrer Familie 60 verschiedene Biokulturen an. Als Quereinsteiger sind Sie in der von Bauernsterben geprägten Landwirtschaft eine Rarität.

Zoubek: Will man etwas, kann man alles lernen, auch ohne Fachausbildung. Wir hatten eine Vision und haben uns dafür die richtigen Leute geholt. Quereinsteiger haben einen anderen Zugang zur Landwirtschaft und hinterfragen vieles. Hätten wir die rigide Ausbildung der sehr konventionell dominierten Schulen mit ihrer dogmatischen So-macht-man-es-eben-Mentalität genossen – wer weiß, was aus uns geworden wäre.

STANDARD: In der Corona-Krise ist der Absatz Ihrer Biokistln, die Sie Konsumenten vor die Haustüre liefern, explodiert. Wie haben Sie tausende zusätzliche Bestellungen bewältigt?

Zoubek: Ich habe damit nicht gerechnet. Aber wir waren dank guter betriebswirtschaftlicher Strukturen darauf vorbereitet. Wir haben uns in zwei Schichten, Tag und Nacht, neu organisiert. Mit der Brechstange wachsen wollte ich nie. Aber es wäre feige, eine Herausforderung nicht anzunehmen. Wobei unsere Dienstleistung ja nicht jedermanns Sache ist. In Wien ist jede zweite Wohnung ein Single-Haushalt. Wir sind gefordert, mehr Convenience und vorverarbeitete Produkte zu bieten. Wir denken daher viel darüber nach, wir die die Üppigkeit und Vielfalt des Sommers in Gläser bringen.

230 Hektar, 200 Mitarbeiter, 100 Partnerbetriebe: Adamah lebt von Direktvermarktung. In die Hände von Handelsketten begab sich der Familienbetrieb nie.
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STANDARD: Seit Corona boomen regionale Lebensmittel. Rewe lädt Landwirte ein, ihre Produkte lieber über ihre Supermärkte zu verkaufen als an Konsumenten direkt. Was raten Sie ihnen?

Zoubek: Ein Monopol hat Bauern nie gutgetan: Dessen Brot ich esse, dessen Lied ich singe. Große Konzerne sind verpflichtet, Gewinne zu maximieren. Als Qualität definieren sie Optik und Uniformität. Ihr Fokus ist der Preis. Der Landwirt dient nur als Rohstoffproduzent. Wir selbst laden Konsumenten ein, ihnen zu zeigen, wie Landwirtschaft funktioniert. Es braucht diese Brücke mehr denn je.

STANDARD: ÖVP-Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger wirft den Handelsketten vor, Bauern und Lieferanten zu erpressen. Zu Recht?

Zoubek: Mutig. Aber nicht die Politiker, sondern Konzerne sagen, was zu tun ist. 90 Prozent des Lebensmittelhandels sind in der Hand von vier Konzernen – Oligopolen, die Bauern keinen Spielraum lassen. Ich kenne wenige Landwirte, die eine Kalkulation ihrer Produkte machen. Denn was hilft es ihnen, die Entstehungskosten zu kennen, wenn diese dem Käufer wurscht sind. Weil es einen Tagespreis, weil es einen Marktpreis gibt.

STANDARD: Schützt die neue Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken Lieferanten vor Willkür des Handels?

Zoubek: Erfährt eine Handelskette, wer sich über sie beschwert hat, ist der Betrieb stigmatisiert. Beliefern braucht er dann keinen mehr. Die Marktmacht des Handels ist dafür mittlerweile zu groß. Nicht einmal die Politik hat mehr die Möglichkeit, sie zu unterbinden.

STANDARD: In Summe fließt nur ein Zehntel der Agrarproduktion in den Lebensmittelhandel. Lebensmittel im Wert von fast 13 Milliarden Euro werden exportiert. Verdienen Bauern wirklich mehr, wenn Konsumenten im Supermarkt teurer einkaufen?

Zoubek: Der Preis wird international gemacht. Es gibt keine billigen Lebensmittel. Dennoch müssen sie es sein. Und was nichts kostet, ist auch nichts wert. Das fördert es, sie wegzuwerfen. Viele haben ein falsches Bild von Landwirtschaft. Es scheint ja auch stets alles verfügbar zu sein und wird innerhalb von drei Stunden geliefert. Wir geben nur noch zehn Prozent des Haushaltseinkommens für Lebensmittel aus. Ihre Wertigkeit hat vor allem in den vergangenen Jahren rapide abgenommen. Es ist wichtiger, das modernste Handy zu haben.

Die Geschicke des Biohofs liegen mittlerweile auch in den Händen der vier Kinder. Der regelmäßige Familienrat wurde zum Gesellschaftertreffen.
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STANDARD: Bio, regional, CO2-neutral, recycelt sind gut und schön: Aber vielen Menschen fehlt dafür schlichtweg das Geld.

Zoubek: Dass sich das eine Verkäuferin mit Familie nicht leisten kann, ist klar. Aber gebe es Kostenwahrheit, wären konventionelle Lebensmittel teurer. Wir würden weniger wegwerfen, nur weil es krumm ist, zu klein, groß, nicht den Handelsstandards entspricht. Oder: Warum müssen Bio-Kartoffel gewaschen sein? Als ob Erde giftig wäre. Steuern sind zum Steuern da: Bio belastet die Umwelt nachweislich weniger. Warum entlastet es die Politik nicht?

STANDARD: Ist Kostenwahrheit nicht illusorisch, weil sie sich in einem Dschungel der Warenströme verliert?

Zoubek: Marketing, Verarbeitung, Transport, Lagerung, Monopolkosten überlagern den Preis der Rohstoffe. Direktvermarktung aber leistet einen wesentlichen Beitrag für höhere Bauerneinkommen.

STANDARD: Supermärkte heften es sich auf ihre Fahnen, Bio demokratisiert und für alle zugänglich wie erschwinglich gemacht zu haben.

Zoubek: So einfach geht Bio, heißt es etwa auf Produkten wie Teigwaren. Der Hartweizen dafür kommt aber aus Kasachstan. Der Biobauer dort bekommt 13 Cent fürs Kilo, in Österreich zahlt man ihm zumindest 40 Cent. Doch wer weiß das schon? Wo ist die Wahrheit bei all diesen schönen Angeboten? So vieles wird verschleiert. Warum gibt es noch immer keine klare Herkunftsauszeichnung? Warum werden immer Hintertürchen gesucht?

STANDARD: Landwirtschaft ist hochsubventioniert. Sehen Sie einen Ausweg aus dieser Abhängigkeit?

Zoubek: Es ist demütigend, dass wir Bauern Förderungen haben müssen. Dass vieles gestützt werden muss, um es existieren zu lassen. Was gut funktioniert, ist eine Symbiose von Landwirtschaft mit dem Fremdenverkehr, wie es etwa Salzburg vorlebt. Völliger Widerspruch ist es, wenn der Bauer im Waldviertel auf den Feldern neben Erholungssuchenden mit der Giftspritze fährt.

Biokistl vor die Haustüre: Bis zu 8000 Konsumenten werden wöchentlich von Glinzendorf aus beliefert.
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STANDARD: Ihr Betrieb wächst neben Wien in anderen Ballungsräumen, dabei auch mit Partnern vor Ort. Wo sehen Sie die Grenzen Ihrer Expansion?

Zoubek: Ich sehe uns als Wegbereiter. Wir zeigen, dass Landwirtschaft auch anders geht. Ich habe viele Fehler gemacht, Geld in den Sand gesetzt, aber daraus gelernt. Wir wissen heute, was geht und was nicht. Ich will in meiner Expansionsbesessenheit das Konzept der professionellen Direktvermarktung nach außen tragen. Man kann unser System nicht kopieren, man muss es kapieren.

STANDARD: Sie wollten einst Meinl Standorte abkaufen. Reizen Sie mehrere Geschäfte zusätzlich zu Hauszustellung und Hofladen nach wie vor?

Zoubek: Damals fand ich keine Mitstreiter. Heute gibt es Menschen, die das spannend finden. Wir müssen uns gut vorbereiten, auf dem Markt herrscht brutale Verdrängung. Aber es wird uns gelingen, dem System Supermarkt etwas entgegenzuhalten. Ich will nicht nur gegen etwas sein, sondern Alternativen aufzeigen. Ich will in meinem Leben keine verbrannte Erde hinterlassen, sondern eine sinnvolle Spur.

STANDARD: Regionale Selbstbedienungsboxen schießen derzeit wie die Schwammerln aus dem Boden. Graben sie Ihnen den Markt ab?

Zoubek: Ich halte sie für gut. Aber ich glaube an Menschen als soziale Wesen. Wir haben Bedürfnis nach Austausch, Kommunikation und Geschichten, nicht nach Gschichtln. Diese Boxen sind reine Verteilstationen. Das Leben ist bunter. Ich finde es auch immer wieder schade, wenn wir allesamt im Park sitzen und SMS schreiben, anstatt mit dem Gegenüber ins Gespräch zu kommen.

STANDARD: Ist regional mittlerweile das bessere Bio?

Zoubek: Bis wir Bananen bei uns anbauen können, wird es hoffentlich noch eine Weile dauern. Bei Ausschreibungen wird bisher kein Wert darauf gelegt. Regional hat mit Wertschöpfung zu tun, aber brutal gesagt heißt es, dass in der Region gespritzt wird. Der Begriff ist nicht definiert. Bio ist besser, nachhaltiger und enkeltauglicher.

STANDARD: Wie viel kaufen Sie für Ihre Kunden aus dem Ausland zu?

Zoubek: Wir lassen nichts mit dem Flugzeug transportieren. Bananen kommen mit dem Schiff aus einer Kooperative in Ecuador. Ja, wir haben auch internationale Ware. Denn ich bin nach wie vor der Meinung, dass es nachhaltiger ist, im Winter Frisches aus warmen Gebieten wie Sizilien zu holen, als bei uns Glashäuser zu beheizen.

Die Folienhäuser bleiben auch im Winter unbeheizt.
Foto: Christian Fischer

STANDARD: Sie steigen in den Anbau von Obst ein. Pestizide sind auf Apfelplantagen ein ständiger Begleiter. Wie schwierig ist der Umstieg auf Bio?

Zoubek: Es sind 70 Hektar in Klostermarienberg. Der Name allein ist schon schön. Es ist eine Obstanlage mit Wasser, Infrastruktur, Sortier-, Schäl- und Verpackungsanlagen. Wir können 1000 Tonnen Äpfel lagern. Doch die nächsten drei Jahre werden schwierig. Wir wollen Sorten, die sich für Bio gut eignen. Wir investieren viel, ohne dabei zu verdienen. Biopflanzenschutz bringt optisch weniger schöne Äpfel hervor. Und wir haben die Mengenerwartung zurückgesteckt. Wir werden unseren Kunden erklären, was Umstellung heißt und warum Äpfel Schalenfehler haben können. Außerdem werden wir beobachten, wie sich die Vielfalt an Insekten durch Bio ändert.

STANDARD: Jüngst wurden Pestizide für den Apfelanbau in Wohnräumen nachgewiesen. Was läuft hier falsch?

Zoubek: Wirkstoffe auf den Produkten werden toleriert. Auch wir Biobauern sehen sie durch Abdrift in Blattproben. Glyphosat ist in der Nabelschnur Neugeborener nachweisbar. Im Marchfeld ist Grundwasser nicht mehr trinkbar. Wo sind die Verantwortlichen, wenn es neue Erkenntnisse dazu gibt? Offenbar gilt: hinter mir die Sintflut.

STANDARD: Hinter Ihnen stehen Ihre vier Kinder. Wie gewinnt man seine ganze Familie für den Betrieb und hält familiäre Konflikte heraus?

Zoubek: Ich habe bei meinem Vater erlebt, wie ein Betrieb stirbt. Er war Patriarch, hat vieles gut gemacht, aber die Zeiten hatten sich verändert. Er hat mit Landmaschinen gehandelt. Aber was macht ein Importbetrieb in der EU bei offenen Grenzen? Wir haben uns in der Familie vor sieben Jahren einen externen Coach geholt und miteinander reden gelernt. Es ist etwas anderes, ob ich Kinder als Kinder sehe oder als Geschäftspartner. Da braucht es eine andere Sprache, einen anderen Umgang. Wir haben mit einem Betriebsberater jede Eventualität definiert: von der Anteilsbewertung bis hin zur Mehrheit für Entscheidungen.

STANDARD: Ihre Mitarbeiter vergleichen sich auf Ihrer Homepage mit einem Gemüse. Welches wären Sie?

Zoubek: Ich glaube ein Salathäuptel. Ein Kopfsalat. Fein, aber vielschichtig. Oben offen, mit einem starken Zentrum und Wurzeln, auf jeden Fall sehr erdig. (Verena Kainrath, 10.10.2021)