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Sebastian Kurz gab am Samstagabend seinen vorübergehenden Rücktritt als Kanzler bekannt. Er will aber ÖVP-Obmann bleiben und Klubchef im Parlament werden, bis die Vorwürfe gegen ihn aufgeklärt sind.

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Im März 2018 reißen die Chats von Thomas Schmid plötzlich ab. Dies allerdings mit Ansage: "Ich mag das alles nicht mehr machen", schrieb der damalige Generalsekretär des Finanzministeriums wenige Wochen davor noch einem Kabinettskollegen. Die Ermittler gehen davon aus, dass Schmid in diesem Zeitraum die Zuständigkeit für jene Vorgangsweise an andere Personen abgab, die dieser Tage als Causa Inseratenkorruption bekannt geworden ist.

Es geht um "parteipolitisch motivierte" und teils geschönte Umfragen, die Mitstreiter wie Schmid im Dienst von Sebastian Kurz gemeinsam mit der Meinungsforscherin B. angefertigt haben sollen, um Kurz 2017 als ÖVP-Chef und später als Kanzler zu positionieren. Die Zeitung "Österreich" habe diese Umfragen samt wohlwollender Berichterstattung abgedruckt – im Gegenzug für Inserate. Sie sollen obendrein "zuerst verdeckt" über die Mediengruppe Österreich und danach von B.s Unternehmen "mittels Scheinrechnungen" über das Finanzministerium abgerechnet worden sein.

Und zwar nicht mit dem Wissen des bis Ende 2017 amtierenden Finanzministers Hans Jörg Schelling (ÖVP), wie er dem STANDARD auf Nachfrage mitteilt. Im Gegenteil sei Schelling nach seiner eigenen Erinnerung vor dem mutmaßlichen Deal eine Inseratenkampagne der Österreich-Gruppe vorgeschlagen worden, "die ich sofort gestoppt habe". Für die Ermittler bleibt die Frage offen, ob dieser mutmaßliche Deal nach März 2018 weiterging. Einige Chats legen das zumindest nahe.

Der eine für die Kohle, der andere für den Content

Anfang 2018 war Schmid gemäß früher öffentlich gewordener Chatverläufe mit dem Kopf schon ganz woanders. Konkret beim Aufbau der Österreichischen Beteiligungs AG, deren Chef er 2019 wurde. Auch hier zeichneten die Ermittler nach, dass Schmid die Ausschreibung auf sich zugeschnitten haben könnte. Kurz soll ihm bei seinem Aufstieg behilflich gewesen sein. Stichwort: "Kriegst eh alles, was du willst".

Zeit für einen Kabinettskollegen fand Schmid trotzdem. Im Jänner 2018 instruierte er diesen bezüglich "Österreich". Er skizzierte im Chat die Ausgangslage: "Helmuth Fellner – für die Kohle Wolfgang Fellner – für den content." Jenen Kollegen wollte Schmid dem Herausgeber des Mediums, Wolfgang Fellner, bei einem Essen als seinen "Nachfolger" im Finanzministerium anpreisen und erklärte ihm, dass er sich als Ansprechpartner vorstellen und "Storys" ausmachen müsse, wie der einst mächtige Beamte in sein Handy tippte.

Warum das alles? Der Kabinettsmitarbeiter monierte eingangs bei Schmid, dass "Österreich" einen Brüssel-Besuch des damals frischgebackenen Finanzministers Hartwig Löger (ÖVP) praktisch ignoriert habe. "Das liegt daran dass wir denen keine Geld Zusagen gemacht haben", schrieb Schmid. "Die stehen noch auf null."

Postenwechsel eines Pressesprechers

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) glaubt aber noch einen anderen Anhaltspunkt dafür gefunden zu haben, dass der mutmaßliche Umfragendeal auch nach der Übernahme des Kanzleramts durch Kurz weiterlief.

Die Spur führt zu Johannes Frischmann. Der Pressesprecher des Finanzministeriums wechselte 2017 noch im Wahlkampf ins Team von Kurz. In einem Chat am 21. März 2018 erkundigte sich Meinungsforscherin B. bei Schmid, ob er "eine schnelle Umfrage zur Akzeptanz budgetrede" brauche. Schmid verwies in dieser Sache auf Frischmann. Zwei Tage später erschien in "Österreich" tatsächlich ein Artikel mit dem Titel "Umfrage: 72 % wollen Nulldefizit". Frischmann wird in der Causa ebenfalls als Beschuldigter geführt. Für ihn gilt, wie für alle Genannten, die Unschuldsvermutung.

Seither dürfte die türkise Kommunikation über das das sogenannte "B.-Österreich-Tool" eingestellt worden sein. Zumindest hat die Staatsanwaltschaft dazu nichts Schriftliches mehr parat. Stutzig macht die Ermittler in dieser Hinsicht allerdings, dass die Medienarbeit der Regierung 2018 gesetzlich im Kanzleramt "zentralisiert" und fortan von Kurz-Medienstratege Gerald Fleischmann, ebenfalls Beschuldigter in der Causa, geführt wurde.

Dies könne aus Sicht der WKStA bedeuten, dass der mutmaßliche Umfragendeal gemeinsam mit den "dafür wesentlichen Akteuren auf Seiten der ÖVP" im Kanzleramt weiterbetrieben worden sei, während das Finanzministerium "weiterhin über die bis 2020 erfolgten Studienbeauftragungen die Zahlungsflüsse sicherstellt", heißt es in den Akten. Die Smartphones von Fleischmann und Frischmann wurden erst vergangene Woche sichergestellt, deren Auswertung wird dauern – falls nicht bereits alles gelöscht wurde.

Umfragen schwankten

Das Unternehmen von B. lieferte jedenfalls bis zuletzt regelmäßig Umfragen zur heimischen Innenpolitik an "Österreich". In den vergangenen Monaten waren da allerlei Bestandsaufnahmen dabei: ein "davonziehender" Kanzler nach der Wiederwahl auf dem Parteitag Ende August, ein "bärenstarker" oberösterreichischer Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) vor der Landtagswahl, aber es gab auch eine "Umfrage-Dusche" für das türkis-grüne Bündnis Anfang des Jahres. Ob das "B.-Österreich-Tool" auch in der jüngeren Vergangenheit noch eine Rolle gespielt haben könnte, bleibt vorerst offen.

Da ab März 2018 keine Chats mehr zur Nachlese verfügbar sind, warfen die Ermittler also einen Blick in die Forschungsförderungsdatenbank. Und stellten fest, dass seit 2016 über eine halbe Million Euro an Förderungen an B. bzw. an ihr Unternehmen gingen. Seit 2016 schwankte zwar die Auftragslage, sie nahm aber eher zu als ab: Im Jahr 2016 waren es laut WKStA etwa 76.800 Euro an Förderungen, im Wahljahr 2017 über 140.880 Euro und in den darauffolgenden drei Jahren etwa 118.800, 131.040 und 119.880 Euro.

Keine Belege für spätere Deals

Die Staatsanwaltschaft betont allerdings: "Hinsichtlich der elf weiteren Studien zwischen Juli 2018 bis Dezember 2020 (...) ist auszuführen, dass derzeit kein eindeutiger Nachweis vorliegt, dass diese ebenfalls wie die vorherigen zur Verrechnung von Umfragen der ÖVP-Vertreter benutzt wurden."

Wo aber sind alle diese Studien? Zwei davon aus dem Jahr 2019 tauchen in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) auf, darin heißt es, diese seien für den internen Gebrauch erstellt worden, dasselbe gilt für eine Studie zu Medikamentenfälschungen von der Karmasin Reasearch & Identity GmbH. Die Firma gehört der ehemaligen ÖVP-Ministerin und Marktforscherin Sophie Karmasin. Sie soll gemeinsam mit B. die womöglich folgenschwere Umfragenvereinbarung eingegangen sein und umgesetzt haben.

Andere Studien, etwa eine Umfrage aus dem Jahr 2020 zur Bewertung der Corona-Hilfsmaßnahmen und eine zum Wirtshauspaket aus demselben Jahr, sind öffentlich über das Finanzministerium einsehbar. Noch am Donnerstag hieß es aus dem Finanzministerium zum STANDARD, man suche die Studien gerade.

Was die Corona-Studie angeht, so hält die WKStA erstens fest, dass davon auszugehen sei, dass Blümel sie kennt – man hat sie auf seinem Handy gefunden. Zur Erinnerung: Im Jahr 2017 fragte Schmid Blümel, ob er mit "Österreich" zufrieden sei: "Helfen Sie dir in wien?", fragte er. Die Antwort: "Daaaaanke Thomas! :-)". Zweitens stellt die WKStA aber auch klar, dass eine "spezifisch parteipolitische Fragenstellung" bei den Studienergebnissen nicht erkennbar sei.

Sophie Karmasin erklärte 2017 ihren Rückzug aus der Politik, wenig später wurde sie von Wolfgang Fellner als regelmäßige Politikanalystin für "Österreich" vorgestellt. Im Jänner 2019, als man gerade nach Aufsichtsräten für die Öbag suchte, schrieb Schmid an Löger: "Sophie Karmasin wäre gut steuerbar". (Jan Michael Marchart, Gabriele Scherndl, 10.10.2021)