Sebastian Kurz tritt nur zur Seite, wie es im Wording der ÖVP heißt.

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Alexander Schallenberg, der jetzt den Kanzler geben soll, ist ein enger Vertrauter von Sebastian Kurz. Er war Minister von seinen Gnaden, einer, der immer treu und ohne Schmerzgrenze das vertreten hat, was ihm an Linie vorgegeben wurde. Vor allem ist Schallenberg auch ein Garant dafür, dass Kurz ins Kanzleramt zurückkehren kann, wenn sich die Wogen glätten, auch parteiintern.

Nicht mehr haltbar

Als Kanzler war Kurz nicht mehr haltbar. Nicht einmal für die ÖVP. Die Dichte der Vorwürfe und letztlich der Druck der Landeshauptleute waren dafür ausschlaggebend, dass Kurz den Misstrauensantrag am Dienstag nicht abgewartet hat, sondern das Heft des Handelns in die Hand genommen hat.

Für viele Menschen in diesem Land ist aber auch diese Rochade nicht tragbar. Das Bild, das sich aus den Chats ergibt, zeigt einen Politiker, der offensichtlich ein moralisches Manko hat. Das, was auch bei den Landeshauptleuten zu einem Umdenken geführt hat, waren weniger die strafrechtlich relevanten Vorwürfe. Das war die skrupellose Arroganz, die frivole Abgehobenheit, mit der Kurz und seine Prätorianer seinen Aufstieg vorbereitet und umgesetzt haben.

Gezielte Diffamierung, sabotierte Projekte

Manche Medien wurden mit großzügigen Inseratengaben beeinflusst, um nicht zu sagen eingekauft. Umfragen wurden frisiert. Vor allem aber: Politische Mitbewerber, aus der Sicht von Kurz Gegner, egal ob in den eigenen Reihen und bei anderen Parteien, wurden gezielt diffamiert. Politisch sinnvolle und wertvolle Projekte wurden sabotiert, weil man anderen keinen Erfolg gönnen wollte. Und dann lästerte Kurz öffentlich über jenen Stillstand, den er und seine politischen Komplizen herbeigeführt hatten. Dass Kurz Parteifreunde als "Arsch" bezeichnet, mag man ihm fast noch nachsehen. "Ich bin auch nur ein Mensch mit Emotionen und Fehlern", sagte Kurz am Samstagabend. Eh.

Letztendlich zeigt das, was man über den 35-Jährigen gelernt hat: eine moralische Verderbtheit, die ihn für eine tragende Rolle in der österreichischen Politik disqualifiziert – oder disqualifizieren sollte. Denn Kurz hat gar nicht vor, die Fäden aus der Hand zu geben. Das ist mit seinem Machtverständnis nicht vereinbar. Er bleibt Parteichef und wechselt in den Nationalrat, dem er in der Vergangenheit immer mit Skepsis, mit kaum verhohlener Abneigung begegnet ist.

Das Statement von Sebastian Kurz im Video
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Wie geht's in der Koalition weiter?

Wie das in der Koalition weitergeht, wird spannend. Die Grünen haben einerseits erreicht, was sie gefordert hatten: eine "untadelige Person" als Kanzler. Klar ist aber auch, dass Kurz und ein paar in der ÖVP stinksauer sind, weil sich die Grünen gegen die türkise Lichtfigur gestellt haben. Die Rache wird nicht lange auf sich warten lassen. Die Grünen geben sich keinen Illusionen hin: Das wird nicht lustig werden, und sie werden noch weniger durchbekommen als bisher.

Schallenberg ist auch nicht gerade ihr Freund: Die Grünen erinnern sich gut daran, dass er ihre Forderung nach Aufnahme von Flüchtlingen aus den Elendslagern auf Lesbos höhnisch als hysterisches "Geschrei" abgetan hat.

Auch in der ÖVP blickt man der Fortsetzung dieser Koalition nicht mit Freude entgegen. Das Wesentliche aus türkiser Sicht ist aber erreicht: Man bleibt als dominierende Kraft in der Regierung und behält so die Kontrolle. Auch wenn die Volkspartei dieser Tage von der Staatsanwaltschaft als Beschuldigte geführt wird, Kurz sei Dank. (Michael Völker, 9.10.2021)